Cairo International Film Festival 2025 – Goldene Pyramide für Dragonfly von Paul Andrew Williams
Eine Woche lang stand Kairo im Zeichen des Films, am zentralen Gelände des 45. Jahrgangs des Festivals rund um die Oper auf der Nilinsel und in weiteren Spielstätten wurden 153 Filme aus 53 Ländern gezeigt. Dabei bietet das Festival stets einen guten Überblick über die arabische Produktion.
Tim Ellrich hat für sein in Deutschland leider zu wenig beachtetes Drama im Im Haus meiner Eltern einen weiteren Preis gewonnen, den Fathy Farag Special Jury Prize der Critics Week des Festivals. Ebenso begeistert wurde Christian Petzolds Miroirs Nr. 3 und Was Marielle weiß von Frédérik Hambalek vom ägyptischen Publikum aufgenommen. Den Blick auf die deutsche Filmszene rundeten zwei Filme ab, die die arabische Region direkt berühren. Der Dokumentarfilm Azza von Stephanie Brockhaus, eine deutsch-saudi-arabische Koproduktion, folgt einer Fahrlehrerin, die gerade genug verdient, um ihren Lebensunterhalt zu bestreiten. Der Film gibt Einblicke in ihren Alltag, die Situation von Frauen in der reglementierten Gesellschaft und in die Seele der alleinerziehenden Mutter, die um das Recht kämpft, ihre Kinder regelmässig zu sehen. Denn nach saudischem Recht hat alleine der Mann nach einer Scheidung das Sorgerecht. Leider kommt der Film ein wenig vom Thema ab und verliert sich in einem Selbstfindungstrip in die Wüste.
Noah vom in Berlin geborenen und aufgewachsenen Ali Tamim, der an der Filmuniversität Babelsberg Konrad Wolf mit diesem Film seinen Abschluss machte, wählt einen ähnlichen Ausgangspunkt wie Ulaa Salim Danmarks sønner (Sons of Denmark), 2019 in Kairo von der FIPRESCI als bester Film im internationalen Wettbewerb ausgezeichnet. Nach dem Tod eines Mädchens mit Migrationshintergrund eskaliert die Gewalt in einem migrantisch geprägten Viertel Berlins. Ein türkischstämmiger Polizist gerät zwischen die Fronten, während die Geschichte von zwei Geflüchteten aufgeblättert wurde. Die Koproduktion mit dem rbb im „Leuchtstoff-Programm“ besticht durch den Versuch, innovativ und mit modernen Stilmitteln zu erzählen. Der Film wirkt insgesamt eher wie ein gesellschaftliches Statement, wie ein Schrei, wahrgenommen zu werden. Was sich dann vor allem auf der Tonebene negativ auswirkt. Viele Selbstreflektionen der Figuren und Dialoge wirken wie aufgesetzte Statements. Wie schon in Hof bei vielen Debüts fiel auf, dass die Schauspielerinnen und Schauspieler eher theatralisch proklamieren statt alltagsnah sprechen.
Goldene Pyramide für Dragonfly
Zum grossen Abräumer der festlichen Abschlussgala wurden zwei Filme: Dragonfly von Paul Andrew Williams, der bereits eine ansprechende Festival-Karriere hinter sich hat, wurde von der Jury unter Leitung des türkischen Regisseurs Nuri Bilge Ceylan mit der Goldenen Pyramide ausgezeichnet, den Preis als beste Hauptdarstellerin teilen sich wie bereits in Tribeca Andrea Riseborough und Brenda Blethyn. Die Jury lobte die „tiefgründige Erkundung von Einsamkeit, Erinnerung und menschlicher Resilienz sowie die feinfühlige Erzählweise.“
Der bis zur letzten Minute spannende Psycho-Thriller rankt sich um zwei Nachbarinnen, die sich miteinander anfreunden, als die Ältere der beiden pflegebedürftig wird. Doch bald wächst der Verdacht, dass die Hilfe nicht so uneigennützig ist, wie es nach aussen scheint. Der Film ist eine schockierende Bestandsaufnahme des unzureichenden Systems der häuslichen Pflege, die gerade dazu einlädt, dass sich übergriffige Nachbarn der Hilflosen annehmen. Es ist vor allem auch ein emotional stimmiger Blick in die Seele von zwei Menschen, die sich gegenseitig vertrauen müssten, um die Situation zu meistern.
Nasser-Brüder triumphieren auch in Kairo
Erwartungsgemäss wurde die hochaktuelle, ebenso mit deutschem Geld entstandene Produktion Once Upon a Time in Gaza von Tarzan and Arab Nasser als bester arabischer Film geehrt. Die Zwillinge und Hauptdarsteller Majd Eid freuten sich auch die entsprechenden Auszeichnungen durch die Jury. Die Handlung des Films, der am 12. Februar 2026 in die deutschen Kinos kommt, führt ins Jahr 2007 in Gaza. Der Student Yahya freundet sich mit Osama, dem charismatischen Besitzer eines Falafel-Imbisses, an. Die beiden entwickeln eine ganz eigen Geschäftsidee: Auf ihren Touren zur Auslieferung von Falafel verticken sie Drogen und geraten ins Visier von korrupten Polizisten und Beamten.
In der Auswahl von Filmen in der arabischen Reihe des Festivals fehlte Ägyptens Oscar Einreichung Happy Birthday, der seine Premiere beim sehr viel finanzkrätigeren Festival von El Ghouna wenige Wochen zuvor feierte. Hinter dem Festival im Retortenbadeort stehen vor allem private Investoren, während Kairo, das älteste Filmfestival im arabischen Raum, von der ägyptischen Regierung finanziert wird, und um Sponsoren ringen muss. Umso wichtiger ist für seine Zukunft die von Festivalpräsident Hussein Fahmi angekündigte Zusammenarbeit mit der Qatar Media City, die Kairo mit dem Doha Film Festival verbindet.
Künstlerische Liaison und Kinogeschichte Saudi-Arabiens
Der Preis für den besten Dokumentarfilm ging an Souraya Mon Amour von Nicolas Khoury und beleuchtet die enge Zusammenarbeit des bekanntesten libanesischen Regisseurs Maroun Baghdadi und seiner einstigen Muse und Lebensgefährtin Souraya Baghdadi. Der Film sei für sie wie eine Therapie gewesen, mit der sie dieses Kapitel endlich abschliessen könne, gestand die in Frankreich lebende Schauspielerin in unserem Gespräch.
Auch der saudi-arabische Regisseur Ali Saeed arbeitet in Anti-Cinema mit vielen wertvollen Funden aus den Archiven. So fand er Bilder von der Expedition eines Franzosen, der 1918 Aufnahmen in Dschidda machte. Wenig später folgte die erste Vorführung eines Films in dem arabischen Land – danach wurde die siebte Kunst das erste Mal verboten. Es folgte ein Auf und Ab mit einer Liberalisierung in den 1960ern und einem erneuten Verbot von Filmtheatern 1979, was zu einer blühenden Landschaft von Filmtheatern auf Innenhöfen und Klubs sowie einem lebhaften Handel mit Videos führte.
In Dschidda machten sich einige Filmenthusiasten auf, ein Festival zu gründen, das nach den ersten zaghaften Anfängen verboten wurde. Heute ist das Red Sea Festival eines der reichsten Festivals weltweit und zieht mit seiner Finanzkraft zahlreiche Stars an. Der Filmfund ist in vielen Produktionen dabei, auch in diesen Film steckte er Geld. Eine Aufführung lehnte das Festival bislang aus formalen Gründen ab.
Starkes politisches Statement am Ende des Festivals
Zum Schluss setzte Kairo noch ein starkes politisches Zeichen mit dem bereits in Venedig gefeierten Film The Voice of Hind Rajab von Kaouther Ben Hania, der ebenso ins deutsche Kino kommt wie im Mai Palestine 36 von Annemarie Jacir mit Hiam Abbas. Die Schauspielerin, die in wenigen Tagen ihren 65. Geburtstag feiert, wurde in Kairo ebenso für ihr Lebenswerk geehrt wie die ungarische Regisseurin Ildikó Enyedi, zu deren Ehren Silent Freund seine Uraufführung im arabischen Raum erlebte.
Katharina Dockhorn, Kairo
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