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56. Internationale Hofer Filmtage – Gesellschaft im Focus

Wie seit jeher in Hof standen auch in diesem Jahr hauptsächlich Filme junger Regisseure im Mittelpunkt. Dabei konnten vor allem die internationalen Filme punkten. Bei den deutschen Beiträgen ragten vor allem die Dokumentarfilme heraus.

Eröffnet wurde das Festival mit Olaf Jagger von Heike Fink. Comedian Olaf Schubert findet beim Aufräumen im Keller des Vaters Tonbänder von seiner verstorbenen Mutter, die fürs DDR-Radio Mick Jagger von den Rolling Stones interviewt. Doch davon war ihm und seinem Vater nichts bekannt. Er beginnt herumzureisen und nachzuforschen, bis er schliesslich überzeugt ist, dass Mick Jagger sein richtiger Vater ist. Das kommt wie ein Dokumentarfilm daher und ist auch amüsant anzusehen. Allerdings nutzt sich die Idee gegen Ende ein wenig ab. Der Film gewann den Förderpreis Neues Deutsches Kino und wird am 6.4.23 ins deutsche Kino kommen.

Der Publikumspreis ging verdient an den französischen Film Maria träumt von Lauriane Escaffre und Yvonnick Muller. Als Maria (Karin Viard) wegen dem Tod ihrer Arbeitgeberin ihre Stelle als Haushaltshilfe verliert, findet sie schnell einen neuen Job als Putzfrau in der Kunsthochschule. Dort gibt es viele amüsante Momente, die man durchaus auch als Kritik am Kunstbetrieb sehen kann. Durch ihre Begegnung mit einer Studentin (Noee Abita), mit der sie sich anfreundet, lernt sie alles lockerer zu sehen und mehr auszuprobieren. Und sie findet im Hausmeister Hubert (Gregory Gadebois) eine neue Liebe. Eine sympathisch- witzige Geschichte mit guten Schauspielern. Der Film startet in Deutschland am 19.1.23 im Kino.

— Ralph Fiennes – The Menu
Foto: Eric Zachanowich. Courtesy of Searchlight Pictures. © 2022 20th Century Studios All Rights Reserved.

Bereits am 17.11. startet The Menu von Mark Mylod. In einem Feinschmeckerrestaurant auf einer Insel treffen sich reiche Leute, eine Foodkritikerin, Betrüger und viele andere vom Starkoch (Ralph Fiennes) eingeladene Personen. Doch bald wird klar, dass das Essen nur ein Vorwand war, um die Leute auf die Insel zu locken und mit ihnen abzurechnen. Doch eine Frau (Anya Taylor-Joy), die eigentlich nicht eingeladen war, durchschaut das Spiel. Ein faszinierender Genremix mit teils drastischen Szenen, der in einem Rundumschlag, nicht nur die Haute Cuisine, sondern auch auf vieles Falsches in der Gesellschaft, anprangert. Und das äusserst unterhaltsam und spannend.

Bi Roya (Without Her) von Arian Vazirdaftari aus dem Iran gewann den neuen Preis Pharos shiver screen award, der den besten Science-fiction, Fantasy oder Spannungsfilm auszeichnet. Eine Frau, die in einigen Tagen mit ihrem Mann nach Dänemark ausreisen will und vorher noch eine Augenoperation hat, will einer jungen Frau helfen, die behauptet, ihr Gedächtnis verloren zu haben. Sie nimmt sie mit nach Hause und ahnt nicht, was ihr blüht. Der Film entwickelt sich vom Krimi (ein Freund und Kollege von ihr ist verschwunden, es gibt plötzlich Probleme mit der Ausreise,…) zum sehr merkwürdigen Sci-fi, der an Filme wie Doppelgänger oder Invasion der Körperfresser erinnert, aber trotzdem etwas anders ist.

Mediterranean Fever von Maha Haj, der bereits in Cannes Furore machte, erzählt von Waleed, Schriftsteller mit Schreibblockade und Familienproblemen. Als ein neuer Anfang nervtötender Nachbar im israelischen Reihenhaus einzieht, der Schulden bei Geldeintreibern hat und selber leicht kriminell ist, sieht er seine Chance gekommen. Der Nachbar soll ihn in eine ihm fremde Welt einführen und damit den Stoff für ein neues Buch liefern. Aber ist dies der wirkliche Grund? Ein interessanter Film, bei dem die Sympathien am Schluss überraschend wechseln.

In June Zero, dem neuen Film von Jake Paltrow, in Israel gedreht, wird ein geflüchteter Teenager aus Libyen 1962 zum Helfer und Ideengeber beim Bau der Krematoriumsanlage für die Hinrichtung Adolf Eichmanns. Verwobenen mit der Geschichte von mehreren anderen Personen, wie einem Auschwitzüberlebenden und Hauptanklägers im Prozess, einem marokkanischen Gefängniswärter und einem Bauunternehmer, der die Verbrennungsanlage unbedingt bauen will, wird die Geschichte Jahre später von dem Jungen einer Journalistin erzählt. Doch die glaubt ihm nicht. Und wieviel ist davon wirklich war?

A Place of Dignity von Matias Rojas Valencia ist eine Koproduktion zwischen Chile, Deutschland und mehreren anderen Ländern. Onkel Paul (Hans Zischler) ist der Sektenchef der Colonia Dignidad in Chile. Pablo, ein chilenischer Junge, wird von einem Priester in das deutsche Center für ein Stipendium gebracht. Durch seine Augen wird man Zeuge vom üblen Treiben in der Sekte, wie Kindesmissbrauch oder Folter von chilenischen Regierungsgegnern in geheimen Kellern. Was Jahrzehnte lang verschwiegen und von Chile und der deutschen Botschaft gedeckt wurde, ist mittlerweile bekannt. Der Film ist nicht der Stärkste zum Thema, aber durch die Sichtweise des Kindes und die Darstellung von Hans Zischler trotzdem interessant.

In Trois nuits par semaine von Florent Gouelou aus Frankreich verliebt sich ein Fotograf (Pablo Pauly) in eine Dragqueen (Roman Eck) in Paris. Eigentlich seit Jahren mit seiner Freundin Samia (Hafsia Herzi) zusammen ist er plötzlich fasziniert von dieser anderen Szene. Als er den Auftrag annimmt, eine Tournee und einen Wettbewerb zu fotografieren, kommt er dem Mann hinter der Performerin näher. Das kommt recht unverkrampft und locker rüber, auch wenn das Verständnis von Samia etwas sehr unproblematisch wirkt.

Homeshoppers Paradise von Nancy Mac Granaky- Quaye
Foto mit freundlicher Genehmigung Hofer Filmtage

In Homeshoppers Paradise von Nancy Mac Granaky- Quaye ist nach langer Zeit mal wieder Nastassja Kinski zu sehen. Das ist schön, auch wenn es nur eine Nebenrolle als Homeshoppingkanal-Produzentin ist und Rolle und Filmauswahl eher ungewöhnlich sind. In dem deutschen (Fernseh-)film will ein amerikanischer Produzent den darbenden Sender wieder flott machen, indem er den Moderator entmachtet und dessen Tochter, die ihn seit Jahren hasst, zu seinem Nachfolger macht. Doch die Punkerin hat andere Ziele. Das ist komplett unwahrscheinlich, aber doch überraschend unterhaltsam.

Generation Tochter von Marielle Sjomo-Samstad zeigt die Probleme der Tochter einer ehemaligen und immer noch gesuchten RAF-Terroristin. Seit Jahren lebt sie mit ihrer Mutter untergetaucht und ständig umziehend in kleinen Kaffs in Deutschland. Als ein korrupter BKA-Mann sie dazu erpresst, neue Überfälle zu begehen und ihm das Geld zu geben, macht sie bei den Überfällen mit. Doch als sie sich in die Tochter eines ihrer Opfer verliebt, will sie aussteigen. Die RAF-Geschichte dient hier eigentlich nur als Alibi für einen gut gemachten Krimi und die Selbstbestimmung einer Tochter.

In Das Recht der Stärken von Sebastian Peterson explodiert eine Autobombe vor einem Berliner Kino. Die vermeintliche Attentäterin, die eigentlich selbst ein Opfer ist, stirbt dabei. Erzählt wird nun die Geschichte der jungen Bloggerin, die eigentlich nur rebellisch gegen alles ist, aber anfangs wegen Likes, später wegen vermeintlichen Freunden immer tiefer in die rechte Szene abrutscht und dort nur als Mittel zum Zweck dient. Quasi ein Lehrstück, aber ein interessant und gut gespieltes.

Unter den vielen starken Dokumentarfilmen stachen 5 Filme vor allem heraus:

Acht Geschwister von Christoph Weinert erzählt die faszinierende Lebensgeschichte von acht Geschwistern von der Geburt bis heute. Auf einer Reise zum Hof ihrer Kindheit entsteht das Porträt einer Familie durch Interviews und sehr geschickt eingeschnittene Originalaufnahmen, die wohl nicht alle Eigenaufnahmen der Familie sind, aber erstklassig passende zum jeweiligen Thema. Ein Film, der einen Kinostart verdient hätte.

Acht Geschwister von Christoph Weinert
Foto mit freundlicher Genehmigung Hofer Filmtage

Silver Hair Still Rocks von Matthias Lukoschek und Andrea Ruthlein präsentiert das Leben auf der sogenannten Hippie-Insel Goa von einst bis heute. Die Regisseure, selbst Stammgäste der Insel, zeigen in Interviews und Originalaufnahmen, wie Goa in den siebziger Jahren zum Paradies der Hippies und Aussteiger wurde, wie friedlich man mit der einheimischen Bevölkerung zusammen lebte und wie sich zunächst durch veränderte Musiken und schliesslich Kommerzialisierung die Insel verändert wurde, bis zum heutigen Tage. Dies ist interessant, wenn auch am Schluss ein wenig sehr werbemässig.

Die schwedisch-schweizerische Doku Live Till I Die porträtiert Monica, Pflegerin in einem Pflegeheim am Rande von Stockholm und ihre Beziehung zu ihrer Lieblingspatientin Ella, die kurz vor dem Tod steht. Ein Film, der zeigt, wie vorbildlich es in einem Pflegeheim zugehen kann, wenn sich wirklich um die alten Menschen gekümmert wird. Aber auch wie sehr es das Pflegepersonal belastet und ein Todesfall mitnimmt.

Robin Bank von Anna Giralt Gris zeigt wie der katalanische Aktivist Enric Duran es geschafft hat, eine halbe Million Euro von 39 Banken zu stehlen. Bereichert hat er sich damit nicht, er spendete es wohltätigen Organisationen und druckte Zeitungen, die das Bankensystem anprangern. In der zweiten Hälfte versucht die Regisseurin, den inzwischen untergetauchten Mann zu treffen und zu interviewen. Der hat inzwischen neue Pläne auf internationale Ebene in London. Der Film läuft in Deutschland bereits im Kino.

The Deminers von Michael Urs Reber zeigt Minenräumer aus Afrika, die die Hinterlassenschaften auf den Falklandinseln entfernen. Inzwischen ist der Strand wieder Minenfrei. Die Arbeiter verdienen dort gutes Geld, mit dem sie ihre Familien gut versorgen können und sich in Afrika ihre Träume verwirklichen. Dafür sehen sie ihre Familien aber für gefühlte Ewigkeiten nicht.

Harald Ringel

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