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59. Internationale Hofer Filmtage 2025 – Ein Blick auf junge Filme aus aller Welt

Auch in diesem Jahr war das familiärste Filmfestival Deutschlands ein Ort für viele Filmentdeckungen aus vielen Ländern. Auch an deutschen und internationalen Gästen mangelte es nicht. Die diesjährige Hommage galt der deutschen Regisseurin Julia von Heinz. Fast alle ihre Filme waren zu sehen, darunter Und morgen die ganze Welt und Treasure.

— Julia von Heinz
Foto mit freundlicher Genehmigung Internationale Hofer Filmtage

Der neue Film von Alante Kavaite Belladone vereint einige Alt- und Jungstars aus Frankreich zu einer starken Mischung aus SciFi, Krimi und Drama. Die litauische Regisseurin, die 2015 den schönen Film The summer of Sangaile drehte, lebt seit 1992 in Frankreich und ist nun endgültig im französischen Kino angelangt. In der nahen Zukunft werden alte Leute in besonderen Gebieten abgesondert, um das Leben und die Produktivität der jüngeren nicht zu stören. Gaelle (Nadia Tereszciewicz) lebt mit acht alten Menschen auf einer abgelegenen Insel und kümmert sich um sie. Als eine Ärztin (Daphne Patakia) mit ihrem Bruder und ihrer Tochter auf die Insel kommt, beginnt eine unruhige Zeit. Plötzlich sterben nicht nur die Hühner eines nach dem anderen, sondern auch die alten Bewohner (u.a. Miou Miou, Patrick Chesnais und Alexandra Stewart). Haben die Besucher etwas damit zu tun ? Ein starker Film, der bis zum Schluss spannend bleibt, aber auch die Frage aufwirft, ob man alten Leuten auch ihre Freiheit lassen sollte.

Ein weiterer starker Franzose war C’est si bon von der bekannten Regisseurin Diane Kurys, die seit 1977 viele gute Filme gemacht hat (Diabolo Menthe, Sagan). In ihrem neuen Film zeigt sie die letzten Jahre im Leben des Ehepaares Yves Montand und Simone Signoret. Er, immer auf der Suche nach neuen Romanzen, aber trotzdem liebte er sie immer mehr als alle seine Affären. Sie, bis zum Tod zutiefst verletzt von seiner Affäre mit Marilyn Monroe und zunehmend enttäuscht von seinen ständigen neuen Affären. Trotzdem liebte sie ihn und wollte sich, ausser in kurzen Momenten, nie von ihm trennen. Beide starben dann auch kurz hintereinander. Ein faszinierendes Schauspielerporträt, stark gespielt von Roschdy Zem und Marina Fois, der eine stets starke Simone Signoret zeigt und einen nicht sehr sympathischen Yves Montand.

Der amerikanische Indie-Film Becoming Vera von Sergio Vizuete ist die Geschichte einer 18-jährigen Pianistin. Einst Pflegekind schlägt sie sich mit Gelegenheitsjobs durch und wohnt meist in ihrem Auto. Als sie einen Job zum Anstreichen in einem Musikstudio annimmt, bekommt sie unerwartet die Chance, zu komponieren. Endlich könnte sie ihren Traum von einer Karriere mit Latin Jazz verfolgen. Doch der Studioboss nutzt sie nur aus und spielt ihre Komposition einer Freundin zu. Doch sie gibt nicht auf. Ein sympathischer Film um Durchhaltevermögen und Selbstvertrauen mit einer guten Hauptdarstellerin (Raquel Lebish), von der man bestimmt noch öfter etwas sehen wird.

Cosi com’e (As it is) ist der zweite Spielfilm des italienischen Regisseurs Antonelli Scarpelli, der in Deutschland lebt und arbeitet. Er hat eine Autofiktion geschaffen, die seine echten Eltern als seine Eltern zeigt und auch sonst viel seiner eigenen Geschichte beinhaltet. Aber trotzdem ist es kein Dokumentarfilm, sondern ein Spielfilm mit vielen ausgedachten Elementen. Wenn man nicht Janina Fautz, die einzige bekannte Schauspielerin in der Rolle der Freundin des Sohnes, erkennen würde, würde man denken, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelt. Die Eltern eines desillusionierten Sohnes, der Regisseur werden will, besuchen ihn in Köln, wo er nur bei Freundinnen wohnt und nicht wirklich weiss, was er mit seinem Leben anfangen soll. Doch er lässt sich kaum sehen und auch seine Freundin wird sich von ihm trennen. Ein sehr ruhiges Stück Film, dem man interessiert zuschauen kann.

Cyberpunk Romance ist der erste Spielfilm von Joscha Douma. In der Zukunft gibt es die Möglichkeit, sich Ports in den Kopf einsetzen zu lassen. Diese USB-haften Anschlüsse im Kopf lassen sich Gehirne mit Computern verbinden. Das gibt die Möglichkeit, viel Neues zu erlernen und direkt im Kopf abzurufen. Aber auch verschiedene Köpfe können sich verbinden. Eine Gruppe von Neurohackern probiert alles. Nun, Mona, die Freundin von Milo, lehnt die Technologie ab. Als er ins Koma fällt und kein anderer ihn erwecken will, lässt sich Mona einen Port einpflanzen. Doch in seinem Kopf ist nicht alles, wie sie dachte. Ein interessanter Film, der zeigt, wie gefährlich und leicht missbrauchbar moderne Technologien sein können.

Ein Abend im Dezember von Matthias Kreter
Foto mit freundlicher Genehmigung Fourmat Film

Ein Abend im Dezember von Matthias Kreter zeigt ein vorweihnachtliches Essen mit Familie und Freunden in der Nähe von Frankfurt. Die Schwester von Annika (Katharina Stark) will lieber feiern und bittet sie, ihr mit einer Ausrede Zeit bei den Eltern zu verschaffen. Angeblich hat sie noch eine Orchesterprobe in ihrer Schule. Beim Essen treten bereits schon einige Konflikte zu Tage, aber als im Fernsehen kommt, dass ein Club in Frankfurt mit einem Reisebus überfallen wurde und es Tote gab, gerät Annika in Panik. War ihre Schwester in dem Club ? Als plötzlich der Freund der Schwester auftaucht, mit dem sie angeblich unterwegs war, von dem sie sich aber getrennt hat, und sie nicht ans Telefon geht, muss sie den Eltern Bescheid sagen.Die Mutter (Nicole Marischka) dreht völlig durch und will da hin, der Stiefvater (Lukas Miko) ist mehr an seinen Bussen interessiert, von denen es einer gewesen sein könnte. Ein gutes Exemplar von einem Film über eine dysfunktionale Familie.

La Clef (The Key) von Paul Sportiello erzählt von einem Phänomen, das der Regisseur mal in der Zeitung gelesen hatte. Alain, Bruno und Z sind drei Leute in Paris, die sozial schwach sind und von niemandem mehr wahr genommen werden. Z, der nicht betteln will, hat eine eigene Form des Lebens gefunden. Er bricht in grosse Wohnungen ein und lebt dort unbemerkt mit. Er führt nun die beiden anderen in sein Handwerk ein. Und findet damit endlich eine echte Familie. Doch Alain und Bruno wollen wieder höher hinaus und lassen ihn mehr und mehr allein. Eine interessante Idee, die anhand dieser kleinen Konstellation zeigt, wie die Gesellschaft im Allgemeinen funktioniert.

Luisa von Julia Roesler erzählt von der behinderten Luisa, die recht glücklich in einer Behinderteneinrichtung lebt. Sie hat einen Freund, den sie liebt, der zeugungsunfähig ist. Als sie plötzlich schwanger wird, ist klar, dass einer ihrer Pfleger sie sexuell missbraucht haben muss. Sie treibt ab, aber der Schaden für die Pflegeanstalt ist da. Der Leiter der Anstalt (Peter Lohmeyer) versucht den Schuldigen zu finden. Ein Film, der zeigt, wie schwierig es für alle Beteiligten ist und wie leicht solche Missbrauchsfälle passieren können.

Muna Muna (Blooming) der Argentinierin Paula Morel Kristof spielt in einem abgelegenen Tal des Landes. Muna Muna ist der Name des gut riechenden , sogenannten Liebesgrases, welches in der Gegend blüht. Olga (Liliana Juarez) ist eine 60-jährige Krankenschwester, die schon lange keine Beziehung mehr hatte. Ihr Sohn will gerade mit seiner Freundin zum Studium nach Amerika ziehen, als sie den französischen Touristen Stefano kennenlernt. Der mag sie auch und verbringt eine Liebesnacht mit ihr. Sie malt sich eine Zukunft mit ihm aus, zumal sich herausstellt, dass die schwangere Frau, mit der er Urlaub macht, seine Schwester ist. Es stellt sich heraus, dass er verheiratet ist. Doch auch der Arzt, für den sie seit Jahren arbeitet, hätte sie gerne als Frau. Ein schöner Film über Begehrlichkeiten im Alter, gut gespielt und schön anzusehen.

Soft Leaves der Belgierin Miwako van Weyenberg erzählt von Yuna und ihrem Halbbruder, die beide Halbjapaner sind. Als Yuna noch klein war, ging ihre Mutter aus Belgien nach Japan zurück, um ihren kranken Vater zu pflegen. Sie liess sich scheiden und kehrte nie zurück. Als ihr Vater von einer Leiter rutscht und ins Koma fällt, kommt sie wieder nach Belgien. Aber nicht alleine. Yuna hat nun eine kleine Halbschwester, die sie nicht kennt und die nur Japanisch spricht. Der Halbbruder, der in Deutschland studiert will mit seiner Mutter eigentlich nichts zu tun haben. Als der Vater wieder aufwacht, muss er alles neu lernen und reagiert auch leicht jähzornig. Was wird mit Yuna werden – bleibt sie in Belgien oder geht sie mit der Mutter nach Japan ? Ein starker Film über das Erwachsenwerden und Probleme von Scheidungskindern, noch verschärfter zwischen verschiedenen Kulturen.

Regisseur und Schauspieler Timo Jacobs  betritt mit seinem neuen Film Tod meiner Jugend Neuland. Er verfilmte die wahre Geschichte von Kai Peter, der in seiner Jugend viel durchmachen musste. Wurde er im Kinderheim und bei seiner Ausbildung sexuell belästigt. Er kehrt mit Frau und Kind in seine alte Heimatstadt zurück und arbeitet an der Schule seines Sohnes als Hausmeister. Als er einem seiner Peiniger begegnet, rastet er aus und wird von den dunklen Bildern aus der Vergangenheit verfolgt. Um dem entgegenzuwirken, will er sich als Comedian versuchen. Doch das ist schwierig. Ein interessanter Film zum Thema, in dem Jacobs auch die Hauptrolle spielt und mit anderen bekannten Schauspielern wie Sasha Gersak, Nadeshda Brennicke und Detlef Buck als Arzt prominent besetzt ist.

Voor de meisjes (Our girls) des holländischen Altmeisters Mike van Diem erzählt von einem befreundeten Ehepaar mit zwei Töchtern, die jährlich im gemeinsamen Haus in den Alpen Urlaub machen. Als die beiden Mädchen einen bösen Unfall haben, bei dem eine im Koma landet und der anderen zunächst vermeintlich wenig passiert ist, fallen die Masken. Eigentlich ist die Beziehung der beiden Ehepaare nicht so gut, wie es zunächst erscheint. Alle versuchen herauszufinden,was wirklich passiert ist und wollen gleichzeitig die eigene Tochter zu schützen. Als eine der beiden einen Transplant der anderen braucht, wird alles über Bord geworfen. Da gibt es keine Freundschaft, keine Manieren oder keine Wahrheitsliebe mehr. Ein Paradebeispiel für die Comedy Humane.

Der neue Film der Schweizer Regisseurin/Schauspielerin Lisa Brühlmann (Blue my mind) When We Were Sisters erzählt von zwei Töchtern, die sich zusammenraufen müssen. Die Mutter von Valeska hat einen neuen Freund, der mit seiner Tochter Lena zum gemeinsamen Urlaub in Griechenland kommt. Die Mädchen können sich anfangs nicht leiden, werden aber bald gute Freundinnen. Doch ihre Eltern krachen sich immer mehr und trennen sich schliesslich. Ein Film über Freundschaft und Sehnsucht nach Familie. Lisa Brühlmann inszenierte mit sich in der Rolle der Mutter einen gut funktionierenden Film, der gleichzeitig auch sehr unterhaltsam ist.

Auch einige gute Dokumentarfilme waren im Programm

Orwell:2+2=5 ist ein erstklassiger Dokumentarfilm über die letzten Lebensjahre und das Werk des Schriftstellers George Orwell. Und über seinen letzten Roman 1984. Orwell ist heute ein Synonym für die Vorhersehung des allgegenwärtigen Big Brother. Mit vielen Filmausschnitten, Originalaufnahmen und Briefzitaten. Doch der Film geht weit darüber hinaus: Er zeigt autoritäre Mechanismen der Welt von heute wie Überwachung, Zensur, politische Korruption, Kriege, Fake News, Verlockungen der Macht und andere Übel der heutigen Welt. Und alles belegt mit Nachrichtenausschnitten, die Zusammenhänge mit Orwells Voraussagen zeigen. Regisseur Raoul Peck, vor allem bekannt durch Lumumba und seine Haïti-Dokumentationen, hat hier seinen stärksten Film vorgelegt. Produziert zusammen mit dem amerikanischen Spitzendokumentarregisseur Alex Gibney. Sehr interessant und fesselnd über die ganze Zeit und das trotz der zwei Stunden Länge.

Orwell: 2+2=5 von Raoul Peck
© NEON

Ein Dokumentarfilm für Kinofreunde ist Kinoleben-Über das Tübinger Arsenal und andere Programmkinos von Goggo Gensch. Er verfolgt die Geschichte und Schliessung des Tübinger Arsenalkinos von Stefan Paul. Und zeigt mal wieder, wie abhängig vor allem die kleinen Programmkinos von den Vermietern sind. Aber auch von anderen Arthauskinos wird berichtet. Dabei ist die Auswahl sehr subjektiv und als Berliner vermisst man Kinos wie das Fsk oder das Arsenal. Trotzdem sehr interessant.

Sehr interessant auch Manche mögens falsch von Stanislaw Mucha. Der Film porträtiert das chinesische Dorf Dafen, das mittlerweile als der grösste Produzent von nachgemalten Bildern gilt. Da gibt es Gerhard Richter für 30 oder Vincent van Gogh für 45 Euro. Bilder von dort werden in die ganze Welt importiert.

Das Ungesagte von Patricia Hector und Lothar Herzog zeigt Interviews mit den letzten noch lebenden Zeitzeugen, die auf eindringliche Weise die Perspektive von Beteiligten, Mitläufern und der Bevölkerung während der Nazizeit schildern. Zugleich untersucht der Film, warum nach dem Krieg so lange über diese Zeit geschwiegen wurde.

Harald Ringel

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