I Kóri („Die Tochter“) – griechische Ödnis im Forum
Wie war das noch mit den vielen Fröschen, die man küssen muss, bevor einer sich zum Prinzen wandelt? In der Version für ein Film-Festival gilt durchaus Ähnliches: gerade in den „avantgardistischen“ Sparten muss man etliche Gurken ertragen, bevor man auf eine lohnende Entdeckung stösst.
„Die Tochter“ des griechischen Filmemachers Thanos Anastopoulos ist ein unerfreuliches Beispiel für solchen Verdruss des Berlinale Besuchers. Ohne jeden Vorspann -sollte man hier sagen, ohne Vorwarnung?- schickt dieser Film den Zuschauer in eine Baustellen Tristesse, und beginnt erst einmal mit einer ausgesprochen gründlichen Demonstration dafür, wie man beim Film Ressourcen nutzlos verquast. Beliebige, fast stets wesentlich zu lange Einstellungen erzählen weder auch nur den Ansatz einer Geschichte, noch verraten sie etwas über den Ort des Geschehens, von seiner Trostlosigkeit einmal abgesehen. Nur ein Beispiel: ca. 45 Sekunden dürfen wir zusehen, wie ein Lastwagen von einem Parkplatz gestartet, dann gewendet wird und schliesslich losfährt. Wer fährt ihn? Wohin? Wieso? Wir erfahren es nie. Der Film wimmelt von solchen, stets viel zu ausführlichen Einstellungen auf irrelevante Banalitäten.
Irgendwann taucht dann völlig unmotiviert -man wähnte sich fast schon in einer missratenen Dokumentation über „Griechenland in der Finanzkrise“- die Protagonistin auf, jene titelgebende Tochter, die laut Pressetext verzweifelt über das Verschwinden ihres Vaters ist. Glaubhafte Verzweiflung zeigt Savina Alimani in keiner der langen, sehr langen 87 Minuten dieses Films. Schlecht gelaunt wirkt sie (der Zuschauer teilt diese Haltung alsbald), frühreif, renitent, reichlich skrupellos und unsympathisch. Der dünne Plot ist schnell erzählt: Das Mädel nimmt die Sache selbst in die Hand, indem sie nach einigen unzusammenhängenden Recherchen den Sohn des Bauunternehmers und Chef ihres Vaters entführt und ihn in einem Holzlager versteckt hält. Ihr Vater ist mittellos, nachdem jener ihn länger nicht mehr bezahlt hat.
Warum der Kleine das alles willen- und widerstandslos über sich ergehen lässt, bleibt eine der vielen Fragen, die Anastopoulos gar nicht erst zu beantworten versucht. Selbst als das Gör mal eben mit dem Gedanken spielt, den Jungen vermittels einer Schleifmaschine zu attackieren, folgt das Opfer ihr bereitwillig. Ein Ausflug ins Splattergenre bleibt uns, wenigstens das, dann doch erspart.
Die Story ist damit praktisch schon zu Ende. Die Tochter sucht den illiquiden Unternehmer auf und erlebt einen hysterischen Ausbruch der Mutter des vermissten Sohnes, auch dies ein verschenkter Moment, nicht gut gespielt, nicht gut gemacht. Mit nicht einer Figur dieses Films entsteht so etwas wie Empathie. Die Entführerin kehrt immer wieder in das Versteck zurück, mal sich wie eine Ersatzmutter um ihr Opfer kümmernd, mal kindlich mit ihm spielend, dann wieder eine unmotivierte Grausamkeit gegen ihn erwägend.
Hin und wieder wird versucht, ein klein wenig Thriller-Spannung zu erzeugen -werden die Kinder entdeckt, als Bauarbeiter Holz aus dem Depot schleppen? Wird der Junge beim zweiten Einsatz der Schleifmaschine tatsächlich verstümmelt?- was genauso inkonsequent verläuft und genauso schief geht wie die anderen Ansätze dieses Streifens. Besonders ärgerlich eine Sequenz in der Mitte, als die Eltern des Entführungsopfers plötzlich im Depot sind und auf ihren Sohn stossen, als hätte es die Entführung nie gegeben oder als sei sie ganz unvermittelt beendet. Hat hier der Regisseur versucht, etwas nicht linear zu erzählen? Spukt ihm der Begriff Dekonstruktion im Kopf herum? Egal. Solche Stilmittel erfordern ein Können, von dem dieser Filmemacher Welten entfernt ist.
Wer diesen Film nicht vorzeitig verlässt -in der vom Rezensenten besuchten Vorführung taten das Etliche- und auch mit einiger Anstrengung wach bleibt, darf am Ende froh sein, dass es vorbei ist. Knapp eineinhalb Stunden verschwendete Zeit. Schade ist es um die Chance. Der Plot hätte so viel Potential gehabt. Das allgegenwärtige Thema Griechenland in Umbruch und Krise, einmal aus einer völlig ungewohnten Perspektive gezeigt. Aber nein, selbst die Szenen einer Demonstration samt Gewaltausbruch wirken wie eine Pflichtübung, wie das Abhaken eines Punktes aus dem ersten Brainstorming.
Ausserhalb der Berlinale lohnt noch nicht einmal eine Warnung vor diesem Film. Denn dass er in einem nennenswerten Umfang kommerziell gezeigt wird, dafür dürfte kaum eine realistische Gefahr bestehen.
Frank B. Halfar
I Kóri (The Daughter), von Thanos Anastopoulos, mit Savina Alimani, Aggelos Papadimas, Yorgos Symeonidis, Grienchenland/Italien, 2012, 87 min.
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