58. internationale Hofer Filmtage 2024 – Junge Filme in familiärer Atmosphäre
Seit 58 Jahren gibt es die Hofer Filmtage nun schon. Seit Beginn vor allem als Festival junger deutscher und internationaler Regisseure hatten hier schon diverse später berühmt gewordene amerikanische Regisseure ihre ersten Filme oder Werkschauen und waren auch in Hof zu Gast (von Roger Corman über John Carpenter bis Sofia Coppola). Nach dem Tod von Gründer Heinz Badewitz vor einigen Jahren brachte sein Nachfolger Thorsten Schaumann frischen Wind ins Programm. Neben vielen deutschen Filmen liefen in diesem Jahr auch viele internationale, vor allem aus Österreich, der Schweiz und Frankreich.
Die Retrospektive war in diesem Jahr Howard Ziehm gewidmet, der im August verstorben ist. Aufhänger war die österreichische Dokumentation Finding Planet Porno: The Wild Journey Of American Cinema’s First Outlaw von Christian Genzel. Howard Ziehm drehte 1970 mit Mona, The Virgin Nymph den ersten expliziten Spielfilm, der einen regulären US-Kinovertrieb bekam, noch zwei Jahre vor Deep Throat und zu Zeiten als Pornographie noch illegal war. Später schuf er die berühmt – berüchtigten Trashfilme Flesh Gordon und Flesh Gordon Meets The Cosmic Cheerleaders. Beide Filme waren neben anderen auch in Hof im Kino zu sehen. Der Film erzählt seine Geschichte vor allem in Interviews mit Ziehm selbst, der ungeschönt und ehrlich über seinen Werdegang erzählt. Auch viele seiner Weggefährten und ehemaligen Darsteller kommen zu Wort. Daraus ergibt sich nicht nur seine Lebensgeschichte, sondern durch Filmausschnitte und Zeitkolorit auch ein faszinierendes (anderes) Bild vom Amerika seit den 60er Jahren.
Gewinner von gleich drei Preisen wurde der Spielfilm Jupiter von Benjamin Pfohl. Er erhielt den Hauptpreis des Festivals, den Förderpreis deutscher Filme, den Preis für das beste Szenenbild und den Kritikerpreis. Die Menschheit stammt von Jupiter. Das glaubt die Familie der 14-jährigen Lea (Mariella Aumann). Die Schwierigkeiten mit ihrem kleinen autistischen Bruder haben ihre Eltern (Laura Tonke und Andreas Döhler) in die Arme einer Sekte getrieben. Ihr Anführer (Ulrich Matthes) plant den Selbstmord seiner Mitglieder, damit ihre Seelen mit Hilfe eines Himmelskörpers auf ihren alten Heimatplaneten zurückkehren können. Als Lea beim Wochenendausflug merkt, was Sache ist, steht sie vor der Frage: sterben und mit den Seelen der Eltern zum Jupiter fliegen oder doch lieber fliehen und auf der Erde weiterleben. Ein starker Film mit guten Schauspielern, der nächstes Jahr ins Kino kommen wird.
In The man from Rome vom niederländischen Regisseur Jaap van Heusden wird Priester Fillippo (Michele Riondino) aus Rom in eine holländische Kleinstadt geschickt, um zu untersuchen, ob eine weinende Marienstatue wirklich ein Wunder ist. Der ist für seine grundsätzlichen Zweifel berüchtigte Mann, bekommt es hier mit der verstummten Terese (Emma Bading) zu tun, die das „Wunder“ als erste beobachtete, sowie ihrer resoluten Mutter. Und auch der Rest des Ortes steht ihm feindlich gegenüber, als sie merken, dass er zweifelt. Schliesslich kämpft der Ort mit einem Trauma, seit vor vier Jahren ein Schüler elf seiner Schulkameraden erschossen hat. Terese kam damals davon. Als andere wundersame Ereignisse geschehen, beginnt auch Filippo zu zweifeln, ob es nicht doch ein Wunder gibt. Ein Film der zeigt, was es heisst ein Trauma zu überwinden und die Frage stellt, was ein sogenanntes Wunder eigentlich ist. Der Film startet am 12.12 in Deutschland.
Der Erstlingsfilm des Franzosen Jonathan Taieb Alterlove zeigt zwei junge Menschen, die sich in einem Bistro treffen und die Nacht an verschiedenen Orten in Paris miteinander verbringen. Jade (Kim Higelin) hat den Glauben an die Liebe und die Welt verloren, Leo (Victor Poirier) versucht ihr zu zeigen, warum sich das Leben lohnt. So schlendert man durch nächtliche Straßen, geht in ein Dunkelrestaurant, zerschlägt Geschirr zum Stressabbau in einem dafür gebauten Laden und erlebt noch vieles anderes. In einem Taxi haben sie ein erhellendes Gespräch mit dem Fahrer (Christopher Lambert). Ein schöner und ungewöhnlicher Film, bei dem man seinen beiden Hauptakteuren gerne folgt.
In En attendant la nuit von Celine Rouzet folgt man der Familie Feral, die in eine ruhige Kleinstadt umzieht. Dort will man als normale, ruhige Familie gesehen werden, auch wenn die Familie ein Geheimnis hat. Der Sohn Philemon (Mathias Legout-Hammond) ist ein Vampir. Er hat es eigentlich gut unter Kontrolle, seine Mutter (Elodie Bouchez) arbeitet bei der Blutbank und bringt Blutkonserven mit nach Hause. Trotzdem wird er bei den Jugendlichen verspottet, führt er sich doch recht seltsam auf. Als er sich in seine Nachbarin Camila verliebt und ihr das Blut von einer Wunde leckt, erwacht sein Blutdurst. Und das Blut des Familienhundes stoppt den Drang auch nicht. Ein ungewöhnlicher Vampirfilm, der mit den normalen Regeln des Genres bricht, aber trotzdem in die Katastrophe führt. Die Regisseurin wollte eigentlich einen Film über ihren Bruder, der Aussenseiter war und schliesslich starb, machen, konnte dies aber nicht, und machte deshalb einen Vampir aus ihrem Bruder.
Noémie Merlant ist seit einigen Jahren aufstrebender Schauspielstar in Frankreich. Nun hat sie ihren zweiten Regiefilm Les Femmes au balcon (The Balconettes) gedreht. Drei Freundinnen treffen sich auf einem Balkon in Marseille während einer Hitzewelle. Nicole (Sandra Codreanu) ist Autorin in spe und will einen Roman über den Mann auf dem Balkon gegenüber schreiben, den sie heiss findet und den sie immer beobachtet. Ihre Mitbewohnerin Ruby (Soheila Yacoub) ist Cam-Girl und hat viele bezahlende Follower auf ihrer Computerseite. Als die Schauspielerin Elise (Noémie Merlant) vor ihrem Mann aus Paris nach Marseille flieht, um über die Beziehung nachzudenken, lernen die drei, nachdem Elise den Wagen des Nachbarn gerammt hat, diesen kennen. Sie folgen einer Einladung in die Wohnung des Fotografen, was mit Vergewaltigung und dem Tod des Fotografen endet. Doch wie nun die Leiche entsorgen und was mit den Geistern tun, die Nicole fortan erscheinen. Vordergründig ist der Film eine Komödie mit Splatterszenen und ist eine sehr wilde Mischung. Aber eigentlich ist es ein erstklassiger #MeToo-Film. Themen wie sexuelle Selbstbestimmung, Vergewaltigung und Belästigungen und was dann passieren kann, werden hier auf höchst unterhaltsame Weise dargeboten, für ein grosses Publikum und schaffen genau dadurch, dass der Zuschauer über diese Themen nachdenkt.
Mels Block war eine der positiven deutschen Überraschungen. Regisseur Mike Sternkiker erzählt von Mel (Caro Cult), einer reich gewordenen Influencerin mit eigenem In-Getränk. Die wurde früher gemobbt und auch von ihrer Mutter nicht wirklich verstanden. Die junge Melanie (Maja Enger) fand nur eine Freundin in der alten Frau Renate (Barbara Schnitzler), die ihr beigebracht hatte, dass sie immer an sich glauben soll. Sie kauft den alten Plattenbau, in dem sie einst gewohnt und gelitten hat und kehrt für einen Tag dorthin zurück, um mit den alten Zeiten abschliessen zu können. Doch das Wiedersehen mit alten „Freunden“ und Bewohnern wird schlimmer, als sie befürchtet hatte. Und der Politiker, dem er dort angeblich hilft, will sie nur als Werbeträger ausnutzen. Ein starker Film über das (Nicht)überwinden alter Traumata, das Funktionieren in der Politik, mit zwei starken Hauptdarstellerinnen und dem preisgekrönten guten Kostümbild. Bis jetzt ohne Verleih, was aber hoffentlich noch werden wird.
Rabia von Mareike Engelhardt erzählt von der Französin Jessica (Megan Northam), die das Leben mit ihrem Vater und im Job als Krankenhauspflegerin nicht mehr aushält und auf Internetversprechungen über ein tolles und erfülltes Leben im Islamischen Staat hereinfällt. In Raqqa angekommen kommt sie ins Haus von Madame (Lubna Azabal), die Mädchen als Ehefrauen an die sogenannten Freiheitskämpfer vermittelt. Doch als ihr zukünftiger Ehemann sie vergewaltigen will, wehrt sie sich. Praktisch unvermittelbar geworden, dient sie sich Madame als Gehilfin an. Und wird selbst zur strafenden Verräterin, bis sie nach dem Selbstmord einer ehemaligen Freundin endlich flieht. Ein Film, der gut zeigt, wie junge Menschen in diesen Teufelskreis geraten und wie die dortigen Mechanismen ablaufen. Der Film startet im Januar im Kino.
Hotel Silence ist der neue Film der Schweizerin-kanadischen Regisseurin Léa Pool. Jean (Sebastien Ricard) ist des Lebens überdrüssig und fährt nach einem gescheiterten Selbstmordversuch in ein Land, in dem vor kurzem noch Krieg herrschte (vermutlich ein Ex-Jugoslawisches Land). Dort will er in einem gerade wiedereröffneten Hotel endlich sterben. Doch entkommt er dort der Einsamkeit, als er sich mit den Hotelbesitzern anfreundet und dort beginnt handwerkliche Arbeiten auszuführen. Auch anderen Leuten beginnt er zu helfen und findet so wieder zurück ins Leben. Der Film, die Adaptation eines isländischen Romans, trumpft mit einem grandiosen Hauptdarsteller auf und zeigt, wie Helfen in einem Kollektiv Einsamkeit zu überwinden vermag. Und wie es in einem Land kurz nach einem Krieg zugeht. Leute die Kostbarkeiten stehlen wollen und Mafia inklusive.
Weitere Spielfilme, die man bei Gelegenheit nicht verpassen sollte: Mexico 86 von Cesar Diaz über guatemaltekische Widerstandskämpfer, die nach Mexiko fliehen müssen (mit Berenice Bejo), Halav (The Milky Way) der israelischen Regisseurin Maya Kenig über eine Mutter, die sich aus Geldgründen bei einer Muttermilchfirma verdingt, Hochstapler und Ponies von Timo Jacobs, der in seinem typisch lakonischen Stil eine Geschichte über einen Drehbuchraub, der immer mehr zum Krimi wird, zeigt und Meet The Barbarians von Julie Delpy über eine französische Kleinstadt, in der syrische Flüchtlinge untergebracht werden.
Auch bei den Dokumentarfilmen gab es einiges zu entdecken. In Nonkonform von Arne Körner erzählt der ehemalige Staatsanwalt und Schauspieler Dietrich Kuhlbrodt sein gesamtes Leben vor der Kamera. Er war einer der ersten Staatsanwälte der jungen Bundesrepublik, der versuchte Nazis zur Rechenschaft zu ziehen, was wegen angeblichen Formfehlern verhindert wurde. Gleichzeitig war von Jugend an dem Schauspielern sehr zugetan. Durch eine euphorische Filmkritik über den ersten Christoph Schlingensief-Film, wurde er zu einem Stammschauspieler bei dessen späteren Filmen und Theaterstücken. Und das, obwohl er als Staatsanwalt einiges gar nicht hätte spielen dürfen, wie z.B. den Mann der Ossis zu Wurst verarbeitet in Das deutsche Kettensägenmassaker. Aber er hatte immer Glück, dass seine Kollegen und Vorgesetzten solche Filme nicht geguckt haben. Auch wenn man ihn als Schauspieler schon vorher kannte, erfährt man in diesem Film noch viel Neues. Der Film kommt nächstes Jahr ins Kino.
Echte Schweizer von Luca Popadic porträtiert vier Schweizer, deren Eltern aus Serbien, Sri Lanka und Tunesien stammen und damals als Flüchtlinge aus wirtschaftlichen oder politischen Gründen in die Schweiz geflohen waren. Die Söhne sind inzwischen in leitenden Positionen in der Schweizer Armee. In der Schweiz funktioniert die Armee anders: Die Leute sind keine Berufssoldaten, sondern haben andere Berufe und sind zwei Wochen im Jahr Soldaten in verschiedenen Positionen. Doch wie ticken die sogenannten Secondos ? Welches Land ist für sie ihre richtige Heimat, im Falle eines Krieges beider Länder- für wen würden sie kämpfen? Und so gleich wie in der Theorie sind sie dann doch nicht.
Thematisch ähnlich ist der neue Film des Schweizer Regisseurs Samir: Die wundersame Verwandlung der Arbeiterklasse in Ausländer. Frei nach seinem Motto, das Private ist politisch. Als Sohn irakischer-Schweizer Familie war er Teilnehmer seit den 68er-Revolten und Zeitzeuge der letzten 70 Jahre. Sein neuer Film ist ein Abriss der Geschichte der Arbeiterbewegung in der Schweiz und vor allem der italienischen Gastarbeiter und wie sie über die Jahre mitgespielt wurden. Und wer heute quasi die Italiener von früher sind. Sehr interessante 129-Minuten-Geschichte, wie ja eigentlich immer bei Samir-Filmen.
Pandoras Vermächtnis von Angela Christlieb beleuchtet Leben und Werk des berühmten Regisseurs der frühen Jahre der Filmgeschichte G.W.Pabst, gesehen mit den Augen seiner lebenslangen Frau Trude. Aus ihren Aufzeichnungen und mit Hilfe und Erzählungen der drei Enkelkinder unter Verwendung vieler Filmausschnitte entsteht das Porträt der ganzen Familie Pabst. Und man erfährt, wie G.W. tickte. So wollte er nicht, dass seine Frau in Filmen mitspielt (ausser weniger Ausnahmen in seinen Filmen), hatte Affären mit seinen Schauspielerinnen und war auch in der Familie eher ein Despot. So musste seine Frau mehrfach abtreiben, weil er nicht wirklich Kinder wollte. Seinen Sohn, bei dem er sich gegen seine Frau nicht durchsetzen konnte, behandelte er auch nicht gut. Dies änderte sich etwas in der Nazizeit, als er keine Propagandafilme drehen wollte und vor allem später, als er alt und krank war.
Da kann man sich schon auf das Festival 2025 freuen. Vom 21.-26.10.25 plus 7Streamdays.
Harald Ringel, Hof
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