j:mag

lifestyle & responsible citizenship

Cinéma / KinoCulture / KulturRecit / Bericht

Achtung Berlin Filmfestival 2025 – Vielfalt des jungen Berliner Films

Wie in jedem Jahr zeigte das Festival Filme, die entweder einen Berliner Regisseur oder eine Berliner Produktionsfirma haben oder in Berlin gedreht wurden.

Eröffnet wurde das Festival mit Blindgängern von Kerstin Polte. Im Hamburger Schanzenviertel wird eine Bombe aus dem Zweiten Weltkrieg, ein sogenannter Blindgänger, gefunden. Als Otto, der Chef des Entschärfungskommandos (Bernhard Schütz) ausfällt, will Lane (Anne Ratte Polle) übernehmen. Doch sie hat Panikattacken, wird aber von der Kommandopsychologin Ava (Haley Louise Jones) gedeckt, die in sie verliebt ist. Weitere Personen, wie die unbefriedigte Frau Ottos, eine alte Frau, die ihre Wohnung nicht verlassen will und ein illegaler Asylant, der sich bei ihr vor der Polizei versteckt, bilden die Figuren in einem guten Ensemblefilm, bei dem die Geschichten der Figuren ineinander verwoben sind. Der Film braucht sich hinter Vorbildern wie den Filmen von Robert Altman nicht zu verstecken. Der Film läuft in Deutschland ab 29.5. im Kino.

Rote Sterne überm Feld von Laura Laabs
© Carlos Vasquez amerikafilm

Der grosse Gewinner als bester Spielfilm, für das beste Drehbuch und die beste Kamera wurde Rote Sterne überm Feld von Laura Laabs. Eine Aktivistin (Hannah Ehrlichmann) flieht nach einer Aktion mit Hissung roter Flaggen über den Reichstag in ihr Heimatdorf in der ostdeutschen Provinz. Dort beginnt sie einen Workshop mit Schülern, in dem sie unsere Gesellschaft hinterfragt und einen Film über die Vorgänge in Bad Kleinen dreht. Als ein Skelett aus dem Moor geborgen wird, beginnt sie zu untersuchen, wer diese Moorleiche gewesen sein könnte. Drei Möglichkeiten bilden sich dabei heraus: ein desertierter Wehrmachtssoldat aus dem Zweiten Weltkrieg, ein LPGler (Andreas Döhler), der nach der Wende seinen Betrieb weiterführte, aber scheiterte und ein Mann vom BND, über den sich Gerüchte im Dorf ranken. Und was hat ihr Vater Hermann Beyer damit zu tun? Der Film springt hin und her zwischen Zeit und Raum, verfolgt gleichzeitig die Geschichte der Aktivistin, die der drei vermuteten Moorleichen und zeigt gleichzeitig die deutsche Geschichte der letzten hundert Jahre. Und stellt Fragen: Kann man aus der Geschichte lernen, oder macht man dieselben Fehler immer wieder. Oder kann man die Geschichte wirklich verändern? Was prägt die Wahrnehmung der Menschen und kann man sich immer auf Gesehenes verlassen? Ein ungewöhnlicher, starker Film, dem man trotz seiner Sprünge noch gut in der Geschichte folgen kann. Der Film wird ins Kino kommen.

Ein Film, der viel Vergnügen bereitet, ist Nulpen von Sorina Gajewski. Ramona (Bella Lochmann) und Nico (Pola Geiger) sind Freundinnen, gerade aus der Schule raus und wollen eigentlich nur faul in der Wohnung herumsitzen und den Sommer geniessen. Als sie das Fenster eines Nachbarn mit einer Zwille kaputt schiessen, sollen sie als Wiedergutmachung auf dessen seltenen Vogel aufpassen. Doch er fliegt ihnen weg und nun müssen sie die Wohnung verlassen, um ihn wiederzufinden. Begleitet werden sie dabei von Ramonas kleinem Bruder (Rio Kirchner), der sich zwischendurch auch immer mal absetzt. Sie lassen sich durch Berlin treiben, stossen auf Demonstrationen, treffen alte Bekannte und eine Jungsbande mit Molotowcocktail und finden den Vogel, verlieren ihn aber gleich wieder. Dabei unterhalten sie sich die ganze Zeit, was den grossen Unterhaltungswert des Films ausmacht. Die amerikanischen Vorbilder sind ein Mix aus Slackermovie und Mumblecore. Der Film ist nur 75 Minuten lang, aber man könnte den Beiden auch gut zwei Stunden zusehen. Es bleibt zu hoffen, dass der Film noch einen Verleih finden wird.

Im Rosengarten von Leis Bagdach erzählt die Geschichte zweier Halbgeschwister. Yak (Kostya Ullmann) ist Rapstar, der in einer Sinnkrise ist und gerade auf der Bühne zusammengebrochen. Als er einen Anruf aus Köln erhält, dass sein Vater im Koma liegt, fährt er dorthin. Vor dreissig Jahren hatte dieser ihn und seine Mutter verlassen, die sich daraufhin umgebrachte. Dort trifft er auf seine Halbschwester Latifa (Safinaz Sattat), die fast nur Arabisch spricht. Zunächst versucht er sie bei einem alten Freund (Tom Lass) abzuladen, nimmt sie dann aber zu seinen Grosseltern mit, die Fremden gegenüber sehr negativ eingestellt sind, was damals auch zum Selbstmord der Mutter und zum Gehen des Vaters führte. Als sie vor Rechtsradikalen in einer Kneipe flüchten und von Asylanten versteckt und zu einem Fest eingeladen werden, beginnen sie sich langsam zusammenzuraufen. Ein sympathischer Film, der gleichzeitig die Selbstfindung des Hauptdarstellers zeigt und ein Plädoyer für die Offenheit gegenüber Menschen anderer Herkunft ist. Und dies gut gespielt in einem angenehm zu guckenden Film. Hoffentlich bald im Kino.

In Ungeduld des Herzens von Lauro Cress will der Bundeswehrsoldat Isaac (Giulio Brizzi) bei Ilona (Livia Mattes) zu landen und will ihre Schwester Edith (Ladina von Frisching) zum Bowling zwingen. Doch die fällt hin, weil sie gelähmt ist. Als er sich entschuldigen will, merkt er, dass Edith auch gerne Motorrad und Motocross gefahren ist, wie er. Bald ist er ständig bei ihnen zu Hause, und auch der Vater (Thomas Loibl) scheint sympathisch zu sein. Obwohl er inzwischen mit Ilona geschlafen hat, fühlt er sich immer mehr zu Edith hingezogen und sie verliebt sich in ihn. Beide sind der Meinung, dass sie durch eine gefährliche Therapie geheilt werden kann. Eine Geschichte über eine ungewöhnliche Liebe, die aber durch Gegebenheiten und Besessenheit etwas bewirken zu können, zum Scheitern verurteilt ist. Interessant.

Bei den Dokumentarfilmen gewann Nacht der Kojoten von Clara Trischler. Das mexikanische Grenzdorf El Alberto verliert immer mehr Leute durch illegale Einwanderung in die USA. Der Film porträtiert Bewohner des Dorfes und ihre neue Einnahmequelle: das Nachstellen von illegalen Grenzübertritten für Touristen über die sogenannte Kojotenroute. Virgilio ist jetzt Grenzpolizist, nachdem er aus den USA abgeschoben wurde. Er hat Angst, dass sein Sohn gehen wird und er ihn dann nie wiedersieht. Oder die 11-jährige Rebecca, die bei der Oma lebt und ihre Eltern nur noch per Videocall sieht. Rein gelungenes vielschichtiges Porträt eines und seiner Bewohner, ohne Wertung in Form eines Bilderbogens.

Nacht der Kojoten von Clara Trischler
© Horse&Fruits2024

Wo/men von Kristine Nrecaj und Birthe Templin zeigt das Leben von sechs Burrneshas. Nach dem Buch der Bergvölker in Albanien können Frauen, wenn es keinen männlichen Erben im Haus gibt, als ein Mann leben. Dies wurde früher oft gemacht, aber heute wird eigentlich keiner mehr Burrnesha, da sich die Gesetze geändert haben. Man sagte, Gott hat mich so gemacht. Für sie war es oft die einzige Möglichkeit, ihre Familie wirtschaftlich zu unterstützen. Gleichzeitig war es oft der einzige Weg, einer Hochzeit zu entgehen oder einfach nur nicht sexuell belästigt zu werden. Bei vielen war es aber auch der Wunsch von Jugend an, als Mann zu leben. Also oft das, was man heute als trans bezeichnet. Die Burrneshas erzählen von ihrem Leben, ihren Hoffnungen und zeigen, dass auch heute noch Frauen oftmals als weniger Wert als Männer betrachtet werden. Eine der Sechs lebt heute mit amerikanischem Pass in Amerika. Bleibt zu hoffen, dass sie nicht von Trumps Regeln getroffen wird. Erhellend. Der Film startet am 15.5. im Kino.

Einfach machen ! She-Punks von 1977 bis heute des Schweizer Regisseurs Reto Caduff zeigt Bands und ihre Mitglieder ab 1977, die als reine Frauenbands im aufkeimenden Punk begonnen haben, Musik zu machen. Oft nur mit einigen Riffs dabei (Punk halt), aber immer mit Begeisterung. Gezeigt werden einige Bands aus Deutschland und der Schweiz in Interviews mit den Bandmitgliedern heute (unter ihnen Gudrun Gut, Bettina Köster und Klaudia Schifferle) in vielen Originalaufnahmen von damals und zugehörigen politischen Bildern wie z. B. von Züri brennt. Nachdem einige von Ihnen jahrelang pausierten, haben sich jetzt viele wieder zusammengefunden und treten teils unter den alten Bandnamen wieder auf. Auch dies ist mit vielen Konzertausschnitten Teil des Films. Und es ist auffällig, dass zumindest einiges bereits Ende der Siebziger durchaus der Neuen deutschen Welle, die ja offiziell erst 1983 aufkam, zugeordnet werden kann. Der Film startet am 1.5. im Kino.

Ein weiterer Musikfilm, allerdings mit anderer Musik, war Barbara Morgenstern und die Liebe zur Sache von Sabine Herpich. Barbara Morgenstern gilt als Pionierin des modernen Elektro-Pops. Nun begibt sie sich mit ihrem neuen Album in anderem Licht auf neue Pfade: ein Album ganz ohne elektronische Klänge, komplett eingespielt nur mit Instrumenten. Der Film folgt dem Schaffensprozess der Musikerin von Anfang bis Ende. Am Anfang sitzt die Regisseurin bei Barbara im Wohnzimmer und man sieht dem Entstehen erster Texte und Melodien zu, man ist bei Proben mit den Musikern dabei, bei den Aufnahmen im Berliner Hansa-Studio, beim Probehören mit Freunden, bei Aufnahmen zum Musikvideo, aber auch bei der Gestaltung des Plattencovers oder der Planung der Tournee. Der Abschluss sind Bilder des ersten Konzerts zur neuen Platte. Es ist faszinierend, dem Schaffensprozess zuzusehen und entspricht im Prinzip dem vorigen Film der Regisseurin, die den Schaffensprozess behinderter Künstler begleitete. Der Film startet am 15.5.

Bei We All Bleed Red folgt Josephine Links dem berühmten deutschen Fotografen Martin Schoeller. Berühmt wurde er vor allem durch seine Porträtfotos von Hollywood-Grössen wie Jack Nicholson oder Meryl Streep. Aber er legte immer Wert darauf, auch normale Menschen zu porträtieren und machte nie Unterschiede zwischen den Menschen auf seinen Fotos. Er gewinnt das Vertrauen seiner Motive, in dem er Ihnen zuhört und oft zu so etwas von Vertrautem wird. Die Kamera folgt ihm beim Aufbau von Ausstellungen (da verzichtet er auch schon mal auf das Porträt von Christopher Walken, weil es ihm zu wenige normale Menschen sind), bei den Aufnahmen zu seiner neuen Fotoserie über Transvestiten und zeigt ihn im Wohnzimmer mit Fotos. Das alles macht ihn nicht nur zu einem erstklassigen Fotografen, sondern auch zu einem sehr sympathischen Menschen. Der Film startet am 21.8.

Im Prinzip Familie von Daniel Abma zeigt eine Wohngruppe für Kinder im Wald am Ufer eines Sees. Die Erzieher:innen kümmern sich um alle notwendigen Hausarbeiten wie Kochen, Waschen und Einkaufen, die Kinder in die Schule fahren und Freizeit mit ihnen zu gestalten. Aber sie sind viel mehr. Für die Kinder, die ohne ihre Familie aufwachsen, meist nur mit gelegentlichen Besuchen oder Telefonaten; sind sie die Schulter zum Anlehnen, die Tröster, eben der eigentliche familiäre Kontakt. Trotzdem wollen fast alle Kinder wieder zu ihrer Mama/ ihrem Papa zurück. Und wenn es mal ein Kind tatsächlich schafft, ist es für die Erzieher:innen eine zweischneidige Sache: Sie freuen sich für das Kind, sind aber gleichzeitig traurig, das Kind, um das sie sich meist lange gekümmert haben, nicht mehr zu sehen. Ein herzerwärmender Film, der zeigt, dass es immer noch gute Menschen gibt. Der Film läuft am 5.6. an.

Harald Ringel

© j:mag Tous droits réservés

Harald Ringel

Rédacteur / Reporter (basé/based Berlin)

Harald Ringel has 56 posts and counting. See all posts by Harald Ringel

Laisser un commentaire

Votre adresse e-mail ne sera pas publiée. Les champs obligatoires sont indiqués avec *

*