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Berlinale 2021 – Panorama: Der menschliche Faktor (Human Factor), ein Familiendrama mit Thriller-Komponente

Eine lange Kamerafahrt durch ein scheinbar verlassenes Haus. Eine Familie fährt vor dem Haus vor, um ein langes Wochenende in seinem belgischen Ferienhaus zu verbringen. Doch bereits in den ersten Momenten bekommt man den Eindruck, dass mit dieser Familie nicht alles in Ordnung ist. Damit beginnt der neue Film des Italienischen, in Deutschland arbeitenden Regisseurs Ronny Trocker. Bekannt wurde dieser 2016, als sein erster Langfilm Die Einsiedler gleich in Venedig angenommen wurde. Und er bleibt auch in seinem zweiten Film den Themen Einsamkeit und dysfunktionale Beziehungen treu. Als Jan (Mark Waschke), der Mann, vom Einkauf zurückkommt, hört er oder ignoriert er (wie so vieles wird dies nicht völlig klar) Hilferufe seiner Frau Nina (Sabine Timoteo). Einbrecher seien im Haus und geflüchtet. Auch die Kinder Emma (Jule Hermann) und Lucas (Spencer Bogaert) haben nicht wirklich etwas gesehen. Weder sie noch die Polizei finden irgendwelche Spuren, nur die zahme Ratte von Lucas ist verschwunden. Man ist beunruhigt, will am nächsten Tag abreisen, bleibt aber doch und verbringt den Tag mit verschiedenen Aktivitäten. Nur Jan behagt der Besuch seines Schwagers mit dessen Ehemann nicht besonders (zu seiner Frau: Würdest Du Dich mehr um Deine Kinder kümmern, statt um Deinen Bruder,…).

— Sabine Timoteo, Mark Waschke – Der menschliche Faktor (Human Factors)
© Klemens Hufnagl / zischlermann filmproduktion

Plötzlich springt der Film zurück in die Vorgeschichte. Jan und Nina sind die Chefs einer erfolgreichen Werbeagentur, bei der sie eindeutig der kreative Kopf ist. Er hingegen will des Geldes wegen einen lukrativen Deal mit der Wahlkampagne einer umstrittenen Partei eingehen. Sie will das nicht. Es gibt sogar eine Farbbeutelattacke auf ihr Büro. Die Kinder sind weitgehend in ihrer eigenen Welt, um nicht zu sagen ziemlich alleine gelassen. Sie kommunizieren mit ihrem Vater nur, wenn sie müssen. Z.B. wenn die Tochter einen Schulbrief unterschrieben haben will, bei dem es um unerlaubte Fehlzeiten geht. Er unterschreibt zwar, bricht aber sein Versprechen nicht zum Schulleiter zu gehen.

Was nun folgt, ist dreimal dieselbe Geschichte vom Anfang, nur jeweils aus der Sicht von Nina, Lucas und Emma.  Ist der Einbruch überhaupt passiert? Haben die Freunde von Amelie (Martha Schneider), der Freundin von Emma, mit ihren merkwürdigen Internet-Pranks und ihren Masken etwas damit zu tun? Was geschah wirklich mit der Ratte? Durch diesen Kunstgriff verdichtet sich die Handlung immer mehr, und zeigt erst durch dieses Kaleidoskop, wie es wirklich war. Dies verdeutlicht wie sehr eine Geschichte durch die verschiedene persönliche Wahrnehmung gefärbt und beeinflusst wird. In der Ehe zwischen Nina und Jan stimmt schon länger einiges nicht mehr, aber als sie durch einen Zeitungsartikel erfährt, das ihr Mann die Wahlkampagne angenommen hat, ohne mit ihr darüber zu sprechen (Schlagzeile: Jan Peeters und seine Frau…), steigt sie aus der Firma aus und die Beziehung scheint an Ende.

Die Handlung des Films ist anfangs durch die Zeitsprünge etwas unübersichtlich, man gewöhnt sich aber ziemlich schnell daran. Neben den Hauptthemen Einsamkeit trotz Ehe und Familie und der Schwierigkeit  in wie weit Wahrnehmung und Realität zusammen passen, ist ständig auch unterschwellig Rassismus spürbar. Und auch am Ende bleibt einiges offen und für verschiedene Interpretationen frei. Auch das Ende hängt von der persönlichen Wahrnehmung ab. Und wie heisst es so schön im Abspannlied: Niemand hört was ich schreie.

Neben den gut agierenden Schauspielern ist vor allem die Kameraführung von Klemens Hufnagel hervor zu heben. Seine Einstellungen und Kamerafahrten verstärken das Spiel der Schauspieler noch erheblich. Kein einfach zu konsumierender Film, aber einer, wo man, wenn man bis zum Ende aufmerksam bleibt, belohnt wird.

Von Ronny Trocker; mit Mark Waschke, Sabine Timoteo, Jule Hermann, Spencer Bogaert, Martha Schneider, Wanja Valentin Kube; Deutschland Italien, Dänemark; 2021; 103 Minuten.

Harald Ringel

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