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Besuch aus der Vergangenheit: Frantz von François Ozon

Vermutlich sollte man das nicht zu laut sagen, um nicht die Zunft zu entzweien, die wir am Leben zu erhalten bemüht sind. Doch versteht es sich eigentlich von selbst, dass es zu jedem Film so unterschiedliche Meinungen gibt wie Zuschauer, die ihn sehen. Aus diesem Grund präsentieren wir von Zeit zu Zeit entgegengesetzte Kritiken – die sowohl in ihrer vertretenen Meinung als auch in der Sprache variieren, in der sie verfasst wurden. Hier finden Sie die negative Kritik von Malik Berkati auf Französisch: Frantz de François Ozon : après la bataille, la langueur.

Besuch aus der Vergangenheit: Frantz von François Ozon
Von Teresa Vena

François Ozon setzt sich mit seinen Filmen, die sich im Allgemeinen einer eindeutigen Kategorisierung widersetzen, von der aktuellen französischen kinematografischen Produktion ab. Er mischt vielfach Burleske, Komödie, Musical und Melodrama. Ozons Geschichten spielen selten in der Gegenwart, meistens eignet sich der Regisseur eine bestimmte Epoche an, die er nach seinen Vorstellungen adaptiert, bis sie als fantastische Parallelwelt fungiert. Ging es bisher mit einer Vorliebe für die 1970er und 1980er Jahre mehr um die jüngere Vergangenheit, spielt Frantz nun am Ende des Ersten Weltkriegs.

Misstrauisch gesehene Freundschaft

1919 besucht ein junger französischer Soldat (Pierre Niney) in Quedlinburg das Grab eines ein Jahr zuvor im Krieg gefallenen deutschen Soldaten. Im Anschluss sucht er die Eltern (Ernst Stötzner und Marie Gruber) des Toten auf, die im ersten Moment von seiner Anwesenheit überfordert sind, doch dann in ihm einen alten Freund des Sohnes Frantz (Anton von Lucke) zu erkennen glauben. Beim älteren Ehepaar lebt zudem Frantz’ Verlobte (Paula Beer), der der Fremde ebenfalls in kurzer Zeit ans Herz wächst.

Magda (Marie Gruber) Anna (Paula Beer) und Hoffmeister (Ernst Stötzner) bitten Adrien (Pierre Niney) auf Frantz Geige zu spielen © X-Verleih
Magda (Marie Gruber) Anna (Paula Beer) und Hoffmeister (Ernst Stötzner)
bitten Adrien (Pierre Niney) auf Frantz Geige zu spielen
© X-Verleih

Im Dorf stösst die Verbrüderung der Familie mit Adrien allerdings auf Unverständnis, ist der doch Franzose und repräsentiert somit den Feind, der die Schuld am Tod vieler Söhne der Stadt trägt. Adrien seinerseits ist offensichtlich schwer traumatisiert von seinen Erlebnissen im Krieg, zusätzlich kämpft er mit einem persönlichen Geheimnis, das zwischen ihm und der deutschen Familie steht.

Lubitsch als Vorbild

Als Inspirationsquelle führt Ozon den Film von Ernst Lubitsch Broken Lullaby (auch The Man I killed) von 1932, der sich wiederum auf ein französisches Theaterstück von Maurice Rostand L’homme que j’ai tué (1930) bezieht, an. Obwohl die Handlungen der beiden Filme weitgehend deckungsgleich sind, handelt es sich um zwei eigenständige Werke, da Ozon mit der Wahl einer anderen Erzählperspektive als bei Lubitsch eine entscheidende dramaturgische Neuerung einbringt. Das Geheimnis Adriens bleibt dem Zuschauer so lange wie möglich vorenthalten und lässt ihm Spielraum für eigene Ausmalungen. Auf diese Weise weiss der Autor die Spannung zu halten.

Hoffmeister (Ernst Stötzner) ist verbittert über Frantz Tod © X-Verleih
Hoffmeister (Ernst Stötzner) ist verbittert über Frantz Tod
© X-Verleih

Im Wesentlichen setzt Ozon auf eine reduzierte Anzahl von Schauplätzen und Figuren, die dem Film einen Kammerspielcharakter geben. Die Besetzung, Rekonstruktion des Dekors und die Mischung zwischen den beiden Sprachen, Deutsch und Französisch, lassen den Film authentisch wirken. Als eindrücklich erweist sich zudem die Entscheidung für die dominierende schwarz-weisse Fotografie, die stellenweise gezielt von einer zurückhaltenden, blassen Färbung durchbrochen wird: Ein Wechsel, der für das Schwanken der Protagonisten zwischen verschiedenen Gefühlsebenen steht und dermassen natürlich wirkt, dass er eher unbewusst wahrgenommen wird. Frantz bewahrt – bis auf das Ende, dem etwas Aufgesetztes anhaftet – einen einheitlichen bildästhetischen und erzählerischen Fluss und funktioniert als zeitloses Melodrama.

Eine unmodische Parabel

Auf den ersten Blick kommt einem der Film in gewisser Weise anachronistisch vor, unzeitgemäss und eine Epoche betrachtend, die kaum mehr im allgemeinen Bewusstsein vorherrscht. Die Hinwendung zum unmodisch Retrospektiven, der ihnen eine surreale Note gibt, ist grundsätzlich allen Ozon-Filmen eigen. Die Beschäftigung mit dem Ersten Weltkrieg, der als Symbol des sinnlosen Krieges schlechthin gilt und offenbar in der französischen Kultur eine stärkere Erinnerungspräsenz hat als in der deutschen, kann auch als friedenspolitisches Plädoyer in einer kriegerischen Gegenwart gesehen werden.

Regie: François Ozon; Darsteller: Paula Beer, Pierre Niney, Ernst Stötzner, Marie Gruber, Johann von Bülow, Anton von Lucke, Cyrielle Clair, Alice de Lencquesaing; Deutschland, Frankreich; 2016; 113 Minuten.

Kinostart Romandie: 7. September 2016 – Deutschland: 29. September 2016 – Deutsche Schweiz: 6. Oktober 2016.

Teresa Vena

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Rédactrice / Reporter (basée à Berlin)

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