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IDFA 2024: Lie to Me – Das gefährliche Feed Back des Virtuellen oder wie man in wenigen Sekunden sein gesamtes Vermögen verliert

Lie to Me des norwegischen Regisseurs Bår Tyrmi widmet sich dem wohl nicht einmaligen, aber in seiner Grössenordnung wohl unvergleichlichen Skandal der Kryptowährung Onecoin. Das weltweit grösste Dokumentarfilmfestival IDFA in Amsterdam offerierte in seiner diesjährigen „Best of Fests“ Sektion dieses warnende Werk.

Lie to Me von Bår Tyrmi
Foto mit freundlicher Genehmigung IDFA Festival

Es erinnerte schon an ein Mix aus einer Hollywood-Oskarverleihung und suggestiv drohenden Reden der Evangelikaler und anderer Religionsführer, wie die neue Hohepriesterin des Onecoin und ihr Team auf die Bühne trat. Inszeniert in feierlichem Rahmen versprach sie die neue Kryptoeinheit würde schon den Bitcoin überholen. Tausende folgten und investierten. Die Firmen OneCoin Ltd (Dubai) und OneLife Network Ltd (Belize) hosten den Geldverkehr. Beide Unternehmen wurden von der charismatischen Deutsch-Bulgarin aus dem Schwarzwald Ruja Ignatova, neben ihrem Mitstreiter der ersten Stunde, Sebastian Greenwood gegründet.

Demagogisch talentiert versprach sie ihren Mitläufern nicht nur ungeahnten Reichtum, sondern die Zugehörigkeit zu einer Elitegesellschaft, die im richtigen Moment zu handeln weiss.  Derart pompös inszeniert, könnt kaum Zweifel an der Seriosität des Unternehmens aufkommen. Umgeben von Enthusiasten mit starrem Blick kamen weltweit Milliarden an Investitionskapital zusammen. In Deutschland allein kauften schätzungsweise 60.000 Menschen Onecoin.

Als der Blockchain Experte Bjorn Kienholz Bjercke engagiert wurde, seine Kenntnisse zur Installation eines Chain für die neue Kryptowährung zu erstellen, geriet er schon bald ins Zweifeln, als er online eine Zeremonie sah, die dessen Existenz bereits verkündete, bevor vor eine seine Arbeit begonnen hatte. Weiter Forschungen liessen ihn bald zu dem Schluss kommen, dass die eingezahlten Beiträge nicht wirklich auf aktive und gedeckte Konten eingezahlt wurden, sondern nur auf simulierte, nominellen Konten der Teilnehmer übertragen wurden. Ein über ein Bankensystem gedeckter Blockchain existierte nicht.

Als er seine Zweifel zu publizieren begann, wurde er in aggressivster Weise nicht nur verbal attackiert und bedroht, sondern auch juristisch als Profitschädiger unter Druck gesetzt. Er musste untertauchen. Weitere einflussreiche Zweifler machten ähnliche Erfahrungen. Sie wurden als Hasser (Hater) oder Verräter (Traitor) bezeichnet und geahndet.

2017 entstand die Platform „Deal Shaker“, um Onecoin in ein reales Kaufmittel zu transformieren. Jedoch nur für eine beschränkte Anzahl von Produkten. Für jeden Kaufpreis mussten 25% an Onecoin gezahlt werden und zwar in Euro. „Deal Shaker“ wurde geformt vom australischen Banker Duncan Arthur, ein enger Mitarbeiter der ersten Stunde, bis zu seinem Austritt 2019. Als auch ihm seine Zweifel zur Gewissheit wurden, nahm er Kontakt zu Bjercke auf. Mehr als das informierte er die US-Finanzsicherheitsbehörden und ging daher bei der Einreise in die Staaten als Insider-Zeuge und Informant straffrei aus, während der Assistent und Nachfolge-Geschäftsführer Ruja Ignatovas, ihr Bruder Konstantin, im gleichen Moment festgenommen wurde. Da auch er jedoch später kollaborierte, wurde als wichtiger Insider-Informant zur Analyse des komplexen Finanzmodells, nur milde abgestraft, während der Mitbegründer des Onecoin, Sebastian Greenwood, 2023 in den Vereinigten Staaten u. a. wegen Betrugs zu einer Gefängnisstrafe von 20 Jahren verurteilt wurde.
Dem  Handelsblatt zufolge ist bis heute „völlig ungewiss“, ob sich Einträge der Schneeballgemeinde nachträglich ändern lassen. Onecoin lässt sich ebenfalls nicht auf öffentlichen Wechselbörsen handeln.

Heute wird geschätzt, dass im Zeitraum zwischen 2014 und 2017 die mittlerweile abgetauchte und international gesuchte erste Hauptgeschäftsführerin Ruja Ignatova etwa vier Milliarden Dollar durch Multilevel-Marketing hortete. Ihr Geschäftsmodell basierte auf Direktvertrieb, der Kunden zu Vertriebspartnern machte, um aktiv Anreize zur Gewinnung neuer Teilnehmer zu schaffen. Ein in Bår Tyrmi Dokumentarfilm anonym bleibender Bankbetrugspezialist mit direkten Zugang zu realen Banktransfer in Realzeit weltweit, bestätigt noch einmal die Inexistenz der Transfers in reale Konten. Unbeeindruckt wächst die Online-Gemeinde nach wie vor. Da es sich um Milliardengeschäfte handelt, konnte es ein Lebensrisiko sein, diese öffentlich infrage zu stellen. Mittlerweile ist das Thema auch von grossen Medien abgedeckt. Jedoch arbeiten die wirklichen Ermittler weiterhin im Untergrund. Mittlerweile bildete sich auch eine „Victim Support Group“ auf WhatsApp.

Der „Verräter“ Duncan Arthur allerdings lebt weiterhin unter falschem Namen. Er wäre nicht der erste kompetente Ankläger, die unter rätselhaften Umständen verschwinden würde. Zu den Schlüsselfiguren der Onecoin Vereinigung gehören seit den Anfängen neben der Krypto-Queen bulgarische Mafiosi, arabische Scheichs, Ex-Spione und dubiose Banker. Mittlerweile wurde eine Onecoin-Nachfolgeorganisation „One Ecosystem“ gegründet, die sich von den bisherigen “Fehlern“ frei spricht und einen Neustart verspricht. Daher glauben die Mitläufer immer noch an einen möglichen Geldgewinn. Es scheint schwer, aus einer Glaubensgemeinschaft auszutreten, von der man auch materiell abhängig geworden ist.

Das Handelsblatt formuliert den Skandal einen Gutachter zitierend etwas vorsichtiger und lässt sogar zumindest für einige Anleger die Hoffnung auf Rückerstattung offen. Ihm folgend könnte man Onecoin als einen „privater Blockchain“ beschreiben, der seinen Quellcode verbirgt und starke Zweifel aufwirft, ob die Transaktionen, die den Kundinnen und Kunden in ihren Accounts angezeigt wurden, tatsächlich direkt über die Blockchain verbucht wurden. Der Gutachter äussert die Vermutung, „ein zusätzliches Buchungssystem“ habe existiert. Weiterhin zitiert das Handelsblatt den Düsseldorfer Anwalt Johannes Bender, der überzeugt davon ist, dass „Onecoin-Investoren“ falls sie ihr Geld über deutsche Gesellschaften mit Konten bei deutschen Banken eingezahlt haben, auf eine Erstattung ihrer Inventionen hoffen können.

Bår Tyrmi Dokumentarfilm ist hoch informativ. Er beruht weitgehend auf Interview und Archivbildern. Teilweise werden sogar Quasi-Spionage-Aktionen in Szene gesetzt. Es handelt sich folglich um einen Dokumentfilm, der in Form und Ästhetik keine Risiken einnimmt. Nicht innovativ, ist er doch ein wichtiges Element der Information und Warnung zugleich. Onecoin ist nicht der einige Geldabsorber.
In der deutschen Mediathek lässt sich übrigens eine Variation des Dokumentarfilms unter dem Titel Die Hochstaplerin: Der grosse Krypta-Betrug ansehen, der grösstenteils aus identischen Filmsequenzen besteht.

Lie to My von Bår Tyrmi, Norwegen, 2024, 94 Minuten

Dieter Wieczorek

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Dieter Wieczorek

Journaliste/Journalist (basé/based Paris-Berlin)

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