Jüdisches Filmfestival JFBB 2025- Wahre und erfundene Geschichten aus dem jüdischen Leben
Auch im 31. Jahrgang bietet das grösste jüdische Filmfestival Deutschlands wieder eine gute Mischung aus unterhaltsamen Spielfilmen und interessanten Dokumentationen quer durch das ganze Spektrum des Films. Gemein haben alle Beiträge, dass sie etwas mit jüdischem Leben zu tun haben. Das Festival findet vom 6. bis 11. 5.25 in mehreren Berliner Kinos (Filmkunst 66, Moviemento, Krokodil und Bundesplatz-Kino) statt, sowie im Potsdamer Filmmuseum und dem Thalia Potsdam. Neben den Spielfilm- und Dokumentarfilm-Wettbewerben gibt es die Mischsektion Kino Fermished, Kurzfilmprogramme, Diskussionsrunden und eine kleine Retrospektive zum Thema Antizionismus und Antisemitismus im Sozialismus und danach – 6 Tage zum filmischen Geniessen und zum Diskutieren in den Kinos. Gerade in der heutigen Zeit mit dem Wiedererstarken der Rechten und der Rechtsradikalen weltweit ist dies wichtiger denn je.
Unter den Spielfilmen besticht Highway 65 von Maya Dreifuss als spannender Thriller, der nicht nur gut unterhält, sondern auch das Geflecht zwischen mächtigen Wirtschaftsbossen mit der Polizei sichtbar macht. Daphna wird als Polizistin von Tel Aviv ans Ende des Highway 65 in die Kleinstadt Afula versetzt. Sie ist gelangweilt vom dortigen Dienst. Als ein bekannter Kleinkrimineller mit einem vermeintlich gestohlenen Handy verhaftet wird, gerät sie in einen richtigen Fall. Die Besitzerin Orly ist seit einer Woche spurlos verschwunden. Orly war einst Schönheitskönigin und ist die Witwe eines gefallenen Soldaten. Die Schwiegereltern tun so, als ob das Verschwinden des Mädchens nichts Besonderes ist. Als sie tot im Feld gefunden wird, und sich herausstellt, dass die Tote schwanger war, gerät ihr Schwiegervater, ein reicher Bauunternehmer, in Verdacht. Doch der ist mächtig und lässt Daphna in den Streifendienst versetzen. Doch die ermittelt weiter, auch wenn sie damit ihre Sicherheit gefährdet. Ein Krimi zwischen Witz und Spannung, der zeigt, wie Leben in Kleinstädten funktioniert.
Eid von Yousef Abo Madegem ist der erste in Israel produzierte Film eines Beduinen-Regisseurs. Er erzählt die Geschichte des jungen Beduinen Eid, der ein Trauma aus seiner Jugend mit sich trägt: die Vergewaltigung durch einen Bekannten seines Vaters. Immer wieder kehrt er in die Höhle, in der es passierte, zurück und macht sich selbst Vorwürfe. Er schreibt an einem Theaterstück, das er mit seiner grossen Liebe in Paris ins Theater bringen will. Schreiben als Zuflucht und Verarbeitung der Vergangenheit. Als er zwangsverheiratet wird, scheinen seine Träume zu platzen. Seine Frau, die er nicht anrührt, will trotzdem bei ihm bleiben und erweist sich als gute Partnerin, wird er von Arbeitskollegen stets gemobbt und seiner Familie als Loser gesehen. Ein starkes psychologisches Drama, welches auch die Probleme der beduinischen Minderheit sichtbar macht. Sein Hauptdarsteller Shadi Mar’is ist eine echte Entdeckung, von dem man bestimmt noch hören wird.
Bild mit freundlicher Genehmigung JFBB
The Hungarian Dressmaker von Iveta Grofova aus der Slowakei führt uns in die faschistische Slowakei im Jahre 1943. Das KZ Theresienstadt ist in der Nähe, sowohl SS-Leute, als auch slowakische Hlinka-Gardisten streifen durch das Dorf. Marika ist Schneiderin, gerade zur Witwe geworden und von ungarischer Herkunft. Auch das macht ihr Probleme, sind die Ungarn nicht gut gelitten. Als sie nach der Arisierung der Schneiderei dort alleine verbleibt, soll sie von einem Nazi-Offizier beschlagnahmte Kleider für dessen Frau umnähen. Ein Hlinka-Gardist wird ihr Geliebter. Aber nur um den versteckten jüdischen Jungen im Stall zu schützen. Aber auch mit den beginnenden Problemen will er sich nicht immer nur verstecken. Der Film zeigt in Schwarz/Weiss-Bildern und mit Hilfe der Tonspur die Verzweiflung und Todesangst der Frau und die komplizierte, vielschichtige Beziehung zum versteckten Kind.
In Come Closer erzählt die Regisseurin Tom Nesher von ihren eigenen Erfahrungen mit dem Tod ihres Bruders. Eden und Nati sind Geschwister, die stets eine engste Beziehung hatten. Sie versprachen, immer füreinander da zu sein. Als Nati bei einem Unfall auf dem Weg zu seiner verschwiegenen Freundin stirbt, ist Eden untröstlich. Als diese Freundin bei der Beerdigung auftaucht, ist sie zunächst geschockt, dass er sie verschwiegen hatte. Doch sie beginnt immer mehr deren Nähe zu suchen, da dies das Nächste ist, wie sie ihrem Bruder noch kommen kann. Sie gehen schliesslich in eine lesbische Beziehung ein, bei der sich Edens Freundin wirklich in sie verliebt. Doch kann so eine Beziehung halten? Ein sehr persönlicher Film um Empathie, Liebe und Fixiertheit, der vor allem durch seine beiden Hauptdarstellerinnen Lia Elalouf und Darya Rosenn lebt und beim israelischen Filmpreis Ophir vier Hauptpreise gewonnen hat.
I Had The Heart von Oliver Kolker und Hernan Findling aus Argentinien erzählt die wahre Geschichte des Musik-Talentscouts Moti Cohen, der von der Tango-Musik seines Vaters Samuel nie viel gehalten hat. Für ihn galt nur Rock’n’Roll. Tango war für ihn die Musik der Väter und nicht jung und zeitgemäss. Seit er in den 90ern die Gruppe Panthers mit ihrem Hit I Had The Heart zu seinem zukünftigen Arbeitgeber brachte, hat er nicht mehr viel entdeckt. Seine Frau hat ihn verlassen und will mit seinem Sohn auswandern. Und das Geld reicht auch nicht mehr wirklich für die grosse Bar Mizwa seines Sohnes. Einziger Ausweg scheint der Tango. Sein Chef sucht einen Sänger, der Tangolieder singt. Moti überredet einen stotternden Automechaniker zum Auftritt und findet mit der Fusion von Rock und Tango zu seinem alten Erfolg zurück. Und beweist: Tango und Rock passen gut zusammen, gerade in Argentinien, wo der Tango seine grosse Basis hat. Ein echter Feelgood-Film mit guter Musik. Der Regisseur Oliver Kolker spielt auch die Hauptrolle des Moti Cohen.
Auch bei den Dokumentarfilmen findet sich viel Gutes im Programm
The Governor von Danel Elpeleg ist zugleich ein sehr persönlicher und ein kritischer Film über die Siedlungspolitik Israels. Als sie vor langer Zeit Interviews mit ihrem inzwischen verstorbenen Grossvater Zvi führte, konnte sie zunächst keinen Film daraus machen. Nun, Jahre später, fügt sie ein gut recherchiertes Bild über das Wirken ihres Grossvaters durch die damaligen Interviews und Befragungen von Historiker:innen und Zeitzeug:innen zusammen. Einst als Mann aus Polen kommend lernte Zvi arabisch in seinem Wohnviertel in Jaffa, wo hauptsächlich Beduinen lebten. Dies prädestinierte ihn zu seinem Job als Militärgouverneur in arabischen Dörfern kurz nach der israelischen Staatsgründung. Da musste die arabische Bevölkerung Genehmigungen für jede Kleinigkeit einholen, selbst für den Kauf eines Bettes oder den Arztbesuch eines kleinen Kindes. Und vieles wurde abgelehnt. So starb das erwähnte Kind, weil es drei Tage keinen Arzt besuchen durfte. Das alles diente der Verbreitung von Angst. Ziel war es, viele arabische Landbesitzer zum Verkauf ihres Landes zu drängen. Danach mussten die Leute ihr ehemaliges Land für Geld pachten. Der Film zeigt auch, dass dieses System bis heute immer wieder angewendet wird. Ziv war auch zuhause jemand, der immer der Boss únd Bestimmer sein wollte. Wirkliche Liebe konnte er seiner Frau nicht bieten, hat aber selber dafür gesorgt, dass seine Frau mit einem Liebhaber, der Kollege von ihm war, glücklich wurde.
Ein sehr interessanter und entlarvender Film, der zeigt, wie bestimmte Politik funktioniert.
Bild mit freundlicher Genehmigung JFBB
Jacob De Haan: A Voice Out of Time von Zvi Landsman porträtiert den jüdischen Autor aus den Niederlanden. Er wurde 1881 geboren und wurde als Schriftsteller bekannt. Berühmt wurde er aber erst mit seinem 1904 erschienenen Roman Pipelines, der offen eine homosexuelle Beziehung beschrieb. Dadurch ist er bis heute eine Schwulenikone in Holland. Dadurch, dass er aber auch aktiv im jüdischen Glauben war, sass er zwischen allen Stühlen. Er emigrierte 1919 nach Palästina und schrieb als Journalist für englische und niederländische Zeitungen. Er wollte bei der zionistischen Bewegung helfen, einen jüdischen Staat aufzubauen. Dort schlug ihm aber auch derselbe Gegenwind entgegen, wie in Holland. Schliesslich wurde er zum Sprecher der ultraorthodoxen Yishuv, die gegen einen israelischen Staat war. Er selber vertrat immer die Zweistaatenlösung. 1924 wurde er auf der Strasse erschossen, und der Film schafft es durch Interviews mit Kindern der Hagana-Mitglieder (der damaligen zionistischen Untergrundorganisation), die Wahrscheinlichkeit zu belegen, dass der ehemalige israelische Staatspräsident Jizchak Ben Zwi zumindest involviert war. Und die Ultraorthodoxen verehren De Haan immer noch, und übergehen einfach, dass er homosexuell und für die Zweistaatenlösung war. Investigativ und erhellend.
Open Wound ist ein Dokumentarfilm des beduinischen Regisseurs Yousef Abo Madegem, dessen Spielfilm Eid ebenfalls im Programm ist, zusammen mit Ofir Trainin. Als die Terrororganisation Hamas am 7.10. israelische Bürger ermordeten und entführten waren 18 Tote Beduinen, 7 wurden entführt. Sie haben nun Probleme mit beiden Seiten. Für viele Israelis sind sie nun unerwünschte Araber, für die Araber und auch die Hamas sind sie israelische Staatsbürger. Beduinen haben Verwandte und Freunde in Gaza, genauso wie in Israel. Die Regisseure sprechen mit 5 Betroffenen über die Situation. Und auch hier zeigt sich wieder, dass die normalen Leute eigentlich nur eines wollen: in Frieden leben. Gleichzeitig reflektiert Madegem über die Aufnahme seines Films Eid beim Jerusalem-Filmfest, wo er mit Standing Ovations gefeiert wurde.
Jews of the Wild West von Amanda Kinsey befasst sich mit bekannten und weniger bekannten jüdischen Emigranten nach Amerika. Der Film zeigt viele verschiedene Biografien und Geschichten in Form eines Bilderbogens. So die des berühmten US- Marshalls Wyatt Earp, der durch den Gunfight im OK-Corall immer noch weltberühmt ist. Oder Gilbert M. Andersson aka Maxwell Aronson, der der Darsteller des Bronco Billy im ersten Western aller Zeiten The Great Train Robbery war, oder des berühmten Guggenheim-Klans, der heute vor allem als Museumsbesitzer und Kunstmäzene bekannt ist. Aber auch Geschichten von normalen Bürgern wie Whiskyhändlern oder Farmern kommen vor. Ein Film, der zeigt, dass auch im Wilden Westen viele Leute jüdischen Glaubens waren, die auch dort vor allem bei der Ankunft in New York mit Antisemitismus zu kämpfen hatten, und oft deshalb in den Westen aufgebrochen sind.
In Blum: Masters of Their Own Destiny von Jasmila Zbanic ist das Porträt von Emerik Blum. Geboren in Sarajevo, überlebte er die Shoah und wurde zum Gründer des Konzern Energoinvest. Sein Motto war: „Jugoslawiens Kommunismus ist nicht rot, sondern rosa.“ Wenn man ihn nach seinem Konzern fragte, sagte er immer, das ist nicht meine Firma. Er legte wenig Wert auf viel Geld oder persönliche Ehrungen. Er handelte nach dem Prinzip Arbeiterselbstverwaltung und Innovation. Wie voraus er seiner Zeit schon damals war, kann man daraus ablesen, dass er Frauen wie Männer gleich bezahlte, alle zu (Fort-)Bildungen schickte und auch Urlaub und Freizeitgestaltung für alle einführte. Er schuf damit ein funktionierendes, harmonisches Kollektiv. Später wurde er Bürgermeister von Sarajevo und war der Supervisor der Olympischen Winterspiele 1984. Die sonst für ihre Spielfilme bekannte Regisseurin montiert hier aus Interviews, Archivbildern und Fernsehberichten das faszinierende Porträt eines Mannes, der Gutes für die Gesellschaft wollte und zeigte, dass Wirtschaft auch anders geht.
Art Spiegelman: Disaster Is My Muse von Molly Berstein und Philip Dolin zeichnet Leben und Werk des Comic-Zeichners nach. In Gesprächen mit ihm, Kollegen wie Robert Crumb, Weggefährten und vor allem seiner Frau Francoise Mouly, der Chefredakteurin des New Yorker, erfährt man seine Lebensgeschichte. Sein berühmter Comic Maus, der sogar den Pulitzerpreis gewann, basiert auf der wahren Geschichte seiner Eltern, die im KZ waren. Mäuse sind hier die Juden, Katzen die Nazis. Aber mit dem Ruhm und den Ehrungen kamen auch Dinge wie eine Schreibblockade und der Wunsch möglichst nicht ständig nur über Maus befragt zu werden. Erst in den letzten Jahren hat sich das wieder geändert und so demonstriert er jetzt auch gegen Trump.
Harald Ringel
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