Künstliche Intelligenz heute: ein Fokus Programm des Thessaloniki Documentary Festival Teil 2 – Les Sacrifiés de l’IA (In The Belly of AI) von Henri Poulain
In Thessalonikis Programmblock zur KI kontrapunktiert Henri Poulain in In The Bely of AI die Perspektive der AI als ein autonomer, sich selbst generierender Prozess mit seiner technologischen Abhängigkeit. Tausende Mindestlohnempfängern, meist junge Menschen der südlichen Hemisphären, speisen die AI täglich mit Daten. Diese Ausgebeuteten arbeiten in Isolation und dürfen weder über ihre Aufgaben, noch über ihre Arbeitsbedingungen unter Androhung von Haft- und Geldstrafen Auskunft geben. Viele unter ihnen sind traumatisiert, da sie ununterbrochen mit den denkbar schockierendsten Bildern und Videosequenzen konfrontiert werden, die Realgewalt, Mord, Folter, Kindesmisshandlung und alle denkbaren Perversionen zeigen. Eine psychologische Betreuung wird ihnen nicht zur Verfügung gestellt. Sie arbeiten grösstenteils im Überstundenmodus. Nur anonym wagen sich einige unter ihnen vor Poulains Kamera. Ihre Realität wird zynisch konterkariert durch Techkompanien, die diese Arbeiter in frischer Arbeitskleidung als Beispiel vorführen, der Armut entkommen zu sein.
Die Dunkelseite der KI: Soziale und ökologische Konsequenzen
Faktisch handelt es sich um eine Sackgasse, da die Datenimporteure ihre produktivste Lebensphase mit einer terrorisierenden Arbeit vergeuden, die ihnen keine Möglichkeit offen hält, eine andere Ausbildung zu finden. Sie sind blockiert, in permanenter Abhängigkeit.
Hinzu kommt als weitere Schattenseite der KI der fundamentale Aspekt des erforderten sehr hohen Energieaufwandes, die immer grösseren Datenbanken anfordern. Die hier entstehenden Naturschäden samt deren humanen Konsequenzen werden systematisch ignoriert. Extraktionen führen zu Landverödungen und Wassermangel für die Bevölkerung. Angesichts dringend notwendiger Massnahmen hinsichtlich des Klimawandels wird hier ein selbstmörderisches Projekt in Szene gesetzt.
Die Technoindustrie antworte auf solche Vorwürfe zumeist mit der Argumentationsstrategie, nicht für die nächste, sondern für eine ferne Zukunft zu arbeiten. Sie zelebriert die Ideologie eines Transhumanismus, die verspricht, das menschliche Leben beschwerdefrei zu machen und gar mögliche Unsterblichkeit in Aussicht zu stellen. Körper werden neu figurierte, Gehirne um ein Vielfaches intelligenter werden. Autonom generierte Intelligenz (AGI) erscheint in dieser Logik als das Beste, dass Menschen je hervorgebracht haben. Der Aufbruch zur Kolonisierung des bekannten Universums wird als die angestrebte Zukunft gefeiert. Mit diesen Kolonialsisierungsphantasmen reproduziert der Kapitalismus ein weiteres Mal seinen desaströsen Zentralmechanismus.
Deutlich wird hier, der nach dem Einbruch religiöser Gläubigkeit, dem immer noch unverkrafteten Tod Gottes, eine neue gottgleiche Verheissung propagiert wird, die die AIG als Platzhalter aufruft. Transhumanität ersetzt die schmerzhaft verlorenen menschlichen Paradiesprophezeiungen. Der aktuelle Mensch gewinnt sein Selbstbewusstsein und Wertgefühl lediglich als würdiger Transmitter hin zu einer neuen göttlichen Instanz, die jedes Opfer der Natur und der möglichen vielfältigen Lebensformen rechtfertigt.
Eine Debatte um diese neue Weite-Ferne-Ideologie hat nie begonnen. Die aktuellen profitierenden technologischen Machtblöcke haben nicht nur kein Interesse daran, sondern setzen ihre Machtmechanismen ein, sie bereits im Keim zu ersticken. Riesige Geldmengen werden in eine unkalkulierbare Zukunft investiert, die nötig wären, ein menschenwürdiges Leben in einer intakten Natur noch zu ermöglichen. Die Technokompanien haben die nötigen Mittel, um politische Entscheidungen weltweit für ihre Interessen zu instrumentalisieren. Regeln, Gesetze, Arbeitsbedingungen, Sicherheitsbestimmungen, Schutzmassnahmen finden kaum noch Beachtung in erodierenden Demokratien.
Henri Poulain gibt den Opfern dieser destruktiven Zukunfts-Ideologie das Wort und resümiert die humanen Kosten der KI. Auch dieser Film müsste seinen Platz an Schulen und Universitäten finden, um überhaupt erst eine Diskussion über mögliche Widerstandsformen gegen diesen Ausverkauf humaner Zukunft zu imitieren.
Von Henri Poulain; Frankreich; 2025: 75 Minuten.
Dieter Wieczorek, Thessaloniki
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