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Künstliche Intelligenz heute: ein Fokus Programm des Thessaloniki Documentary Festival Teil 4 – iHuman von Tonje Hessen Schei

Die Entscheidung Dimitris Kerkinos, auch den bereits 2019 erstellten Film iHuman von Tonje Hessen Schei in Thessalonikis KI Focus Programm zu integrieren, ist durchaus verständlich. Dieser Film bietet eine Art alarmierende Hochrechnung der unterschiedlichsten Zukunftsszenarien, die wir durch KI Applikationen zu erwarten haben.

KI als Ende der humanen Kultur und Lebensform

iHuman von Tonje Hessen Schei
Foto mit freundlicher Genehmigung Kinosmith Inc

Wer sind wir? Was ist unser Platz in der Welt? Was ist Intelligenz? Diese Fragen stellen sich dringlich in der aktuellen Konfrontation mit KI. Sind die neurologischen Prozesse des Gehirns reproduzierbar durch Silikon-Atome in Computern? Sind neuronale Netzwerke auch im KI Maschinen fabrizierter? Und wenn KI selbst KI programmiert, wird dies unsere letzte Erfindung sein, da von diesem Moment an wir nicht mehr nachvollziehen können, was geschieht?

Welche Begehrens- und Verhaltensstruktur werden wir der KI einzuprogrammieren versuchen? Wird es in die von China vorgegebene Richtung gehen, eine widerspruchsfreie Gesellschaft zu produzieren, in der Abweichler „reguliert“ werden? Gegen wir auf politische Erziehungsanstalten zu, wie die in Xinjiang, in denen bereits 20000 Uiguren verschwunden sind?

Zweifellos werden Roboter dialog- und lernfähiger werden. Sie agieren smarter und schneller als Menschen. Spätestens wenn sie in die Instrumente des Militär- und Polizeidienste eingebaut werden, stellt sich die Frage nach Regulationen, doch diese scheinen illusorisch. Auf der einen Seite steht die wissenschaftliche Neugier selbst dagegen, die stets das überhaupt Mögliche auch zu praktiziert: Dieser Impetus wird sich kaum modifizieren lassen. Zum anderen wird niemand im militärisch industriellen Komplex Einschränkungen akzeptieren, die die Effizienz der Waffensysteme mindern könnten in einem feindlichen Konkurrenzfeld, das wirkliche Kontrolle undenkbar macht.

KI erfasst eine immer grössere Menge von Daten, die umfassende menschliche Verhaltensprofile bis in intime Bereiche hinein erstellen. Verhalten- und Denkweisen werden kalkulierbar und kontrollierbar. Aufgrund der Analyse jeder spezifischen Begehrensstruktur ist es möglich, diese punktgenau mit manipulativen Inhalten anzusteuern. Perfektionierte Manipulation ist die Folge.

Bereits heute muss man sich fragen, wie zu leben sei in einem nach-privaten Zeitalter. Digitale Avatars können aus der Analyse von Genomen, Emotions- und Verhaltensmustern erstellt werden und in Testsituationen beobachtet werden. Menschliches Agieren wird vorhersehbarer.

Bei aller Einigkeit hinsichtlich der unübersehbaren Risiken einer zu schnellen Produktion und Autoproduktion (!) von KI bleibt angesichts der aktuellen internationalen Lage eine faktisch notwendige internationale Kollaboration undenkbar. Die Vision einer Erdoberfläche überzogen mit Solarzellen und Datenzentren nimmt an Wahrscheinlichkeit zu. Höhere Datenkomplexität verlangt immer mehr Energie. Doch ein wirklicher Widerstand gegen die sich abzeichnende Erosion der natürlichen Umwelt wird nicht einmal auf politisch relevanten Niveau thematisiert. Dagegen zelebriert sich eine Ideologie, dass hier die Menschheit etwas schafft, dass sie selbst transzendiert.

Die sich selbst programmierende KI, AGI, steht an, das Lernen zu lernen, und sich seine eigenen, von da an unvorhersehbaren Aufgaben zu schaffen. Die Ähnlichkeit der Patterns zwischen biologischer und technologischer Evolution zeichnet sich ab. Technologie wird selbst zu einer Naturkraft.

Nach Ilya Sutskever, israelisch-kanadischer Informatiker und Firmenmitgründer von OpenAI, besteht das zentrale Problem darin, die Intentionen der AGI mit menschlichen Interessen abzugleichen. Gelänge dies, wäre eine bessere Lebensform im Interesse eines Gemeinschaftswohls denkbar, misslingt sie, oder gerät sie in die Hand von einzelnen industriellen Komplexen, wird sich die Perfektion von Fake News unendlich steigern, assistiert von Cyberattacken und KI Waffensystemen. „KI hat die Fähigkeit, eine unendlich stabile Diktatur zu kreieren“.

Nach Michal Kosinsk (USA), Professor für Organisationsverhalten und Computerpsychologe an der Stanford Universität, wird die neue globale Informationsökonomie die Möglichkeit perfektionieren, Menschen in Echokammern einzuschliessen, zu polarisieren und zu extremistische Ausbrüche zu veranlassen. Auch wird maschinelle Intelligenz die Arbeitskraft wird Millionen ersetzen und folglich Arbeitsplätzen aller Art als ökonomisch unbrauchbar erscheinen lassen. Menschliche Aktivitäten werden obsolet.

Nicht unumstritten ist eine weitere Applikation der KI, die Interpretationen der Daten der Gesichtserkennung. Werden Pattern programmiert, die auf physiologischer Basis Wahrscheinlichkeiten der Tendenz zur Kriminalität, zum Widerstandsverhalten, zur Homosexualität, Depression und Suizidgefährdung vorhersagen, ist der Schritt zu desaströsen Kontroll- und Restriktionsmechanismen vorhersehbar. Selbst die Zukunft eines Neugeborenen kann bereits durch die Anwendung dieser Patterns eingeschränkt werden. Diese Kontrollmechanismen können auch Reaktionen verursachen, die gerade kontrolliert werden sollten. Widerstand gegen soziale Ungerechtigkeiten könnte eine „self-fulfilling prophecy“ in Szene setzen. Die Kontrolle verstärkte soziale Ungleichheit noch einmal. Hinzu käme noch eine perfektionierte Überwachungstechnologie, die es etwa möglich macht, das soziale Netz eines „Auffälligen“ im Rückwärtsgang zu rekonstruieren. Das Zeitalter der Totalkontrolle wäre eingeläutet. Noch meinen wir, diese potenziellen Technologien zu kontrollieren. Wie aber werden AIGs über deren Anwendung entscheiden?

Am Ende ihrer anspielungsreichen, zumeist auf Interviews beruhenden Dokumentarfilms, kehrt Tonje Hessen Schei noch einmal zu der wohl in diesen Tagen bedrohlichen Aspekt der KI zurück, den der autonomen Waffensysteme. Weigerten sich die grossen Techkompanien über Jahrzehnte hinweg, mit dem militärischen Komplex zusammenzuarbeiten, beginnen nun Google, Amazon, IBM und andere, ihre Daten zur Verfügung zu stellen, beispielsweise, um eine totale Luftüberwachung zu ermöglichen. Auch werden Daten tendenziell ansteigend den autonomen Waffensystemen verfügbar gemacht.

Technologie erschafft den Menschen neu. Die notwendige Adaptation hat bereits heute zur ansteigenden Abhängigkeit geführt. Der humane Lebensraum ist bereits heute zum Experimentierfeld anderer Intelligenzen geworden. Und dies ist nur der Anfang …

Von Tonje Hessen Schei; Norwegen, Dänemark; 2019; 99 Minuten.

Teil 1 hier zu lesen
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Dieter Wieczorek, Thessaloniki

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Dieter Wieczorek

Journaliste/Journalist (basé/based Paris-Berlin)

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