Route 181 – Fragments of a Journey in Palestine-Israel: Der ununterbrochene Krieg in Palästina
In Zeiten umgreifender Relativierung und Missachtung aller Fakten, in Zeiten technologisch perfektionierter Manipulation und erfolgreich verdummender Rhetorik, kann dem Amsterdamer Dokumentarfilmfestival IDFA nur gratuliert werden, einen Film zu präsentieren, der dringliche Klarheit zu liefern vermag.
Foto mit freundlicher Genehmigung Momento Distribution
Erinnert sei, um das hier eben Gesagte zu dokumentieren, an den „Skandal“ während der letzten Berlinale, wo während der Preisverleihung der Filmemacher Ben Russell einen pro-palästinensischen Aufruf tätigte und sofortigen Frieden forderte, ein Aufruf, der wenige Stunden später in der deutschen abendlichen Tagesschau als „antisemitisch“ deklariert wurde, erinnert sei ebenfalls an eine Rede des Generalsekretärs der Vereinten Nationen, António Guterres, der schlicht daran erinnerte, das der israelisch-palästinensische Krieg nicht mit dem Angriff der Hamas begonnen habe, worauf er sogleich Guterres von israelischer Seite zur Persona non grata erklärt wurde, verbunden mit der Drohung, UN-Mitarbeitern könnten nicht mehr in die von Israel kontrollierte Territorium einreisen. Hier könnten noch Hunderte andere Beispiel können folgen, beispielsweise die Diffamierung der internationalen medizinischen und nahrungstechnischen Hilfen für die eingeschlossene Bevölkerung Gazas als terroristisch unterwandert.
Um so wichtiger ist folglich die Präsentation eines Dokumentarfilmes aus dem Jahr 2002, entstanden in Zusammenarbeit zwischen dem palästinensischen Filmemacher Michel Khleifi und dem israelischen Filmemachers Eyan Sivan. Sie machen sich gemeinsam auf zu einer Reise durch ihr Land Palästina-Israel, der Spur einer Strasse genannt Route 181 folgend, die genau an der von der UN im Jahr 1947 ratifizierten Grenze zwischen Israel und Palästina entlang führt. Diese Resolution trennte Palästina in zwei Staaten: 56% für die jüdische Minorität, 44 %% für die arabische Majorität, im Zentrum eine internationale Zone. Diese theoretische Linie, die als Lösung präsentiert wurde, löste den ersten Arabisch-Israelischen Krieg aus, der bis heute nicht beendet ist.
Durchaus aktuell wirkt dieser Film, der schlicht Menschen aller Couleur und Lager zu Wort kommen lässt. Hier werden die drei manischen Phantasmen der israelischen Position immer wieder aus verschiedenen Perspektiven herauf beschworen, die bis heute ungebrochen appliziert werden. Ersten: das gesamte Territorium ist der „biblisch bezeugte“ Besitz Israels, zweitens: nichts (keine Kultur) war vorher hier, drittens: mit den Arabern kann man nur aus der Position der Stärke und Übermacht verhandeln, wirkliche Friedensverhandlungen mit gegenseitigen Kompromissen würden nur als Schwäche gedeutet werden und verfehlten ihr Ziel, viertens: nur durch die totalen Zerschlagung der arabischen Kräfte wird es Frieden geben können, fünftens: der Siedlungsbau dient ausschliesslich dem Sicherheitsschutz Israels.
Noch klarer findet man die Position von einem Siedlungsbauer bereits während der ersten Minuten in Route 181 ausgesprochen: „Nur ein toter Araber ist ein guter Araber.“
Sehr alte Palästinenser*innen erinnerte sich noch an ein friedliches Zusammenleben mit den ersten israelischen Siedlern, die sich auf ungenutzten Territorien niederliessen. Doch schon vor der UN-Resolution begann die gewaltsame Vertreibung der Bewohner arabischer Städte. Und nun, sagt eben die gleiche Zeugin, „umzingeln sie uns und nehmen uns die Lebensgrundlagen“.
Der Zulauf grosser jüdischer, gewiss traumatisierter Bevölkerungsmengen vor allem aus Europa während und kurz nach dem Weltkrieg nach Israel führte zu dem genannten UN-Projekt einer neuen Landverteilung, die kurz darauf den arabischen Angriff auf die verlorenen Territorien provozierte. Der militärischen Aktionen wurden schnell zurückgeschlagen und eine aktive Vertreibungspolitik setzte ein, gestützt durch Landkäufe arabischer Besitztümer; Die Verkäufersagen kaum die Konsequenzen voraus. Die zionistische Bank Anglo-Palestian Company stellte Gelder zum Ankauf vor allem durch die Jewish National Foundation zur Verfügung. Darauf folgten die nun „legalen“ Vertreibungen der arabischen Bevölkerung von ihren ehemaligen Ländern, forciert noch durch die zweite „Legitimierung“ der Staatsgründung Israels.
Vergleicht man die Karten der israelischen Territorien vor der UN-Resolution, der Verteilung 1947 und die aktuelle Situation an, erübrigen sich alle Fragen, wer wen angreift und austilgt. Tatsache ist, dass die militärische Naivität und Hybris arabischer Staaten angesichts der Konfrontation mit der US-Militärmacht, deren sich Israel nach wie vor bedienen kann, nur Israel zunutze kam, da deren Rückschläge die eigentlichen Gewinne waren. Angriffe dienen der israelischen Okkupationsinteressen unter dem ideologischen Deckmantel der „Sicherheitspolitik“.
Silvan und Khleifi dokumentierten ihre Begegnungen auf ihrer Landdurchquerung. Da findet sich gar Stimmen, die bedauert, dass Israel die Vertreibung von Palästinenser und Araber nicht nach dem Vorbild der Demontierung der Indianer in den USA vorangetrieben hat. So würde man heute in Frieden leben.
Die Fahrt entlang der Grenzziehung der Route 181, die faktisch niemals existiert hat, führt zu vielen weiteren Begegnungen in diesem viereinhalbstündigen Werk. Israelische Stimmen wie
„Wir bilden die Zivilisation für die Menschen in Gaza, da, wo vorher nur Farmer waren. Lass die Araber doch die Palästinenser nehmen. Sie haben den Krieg begonnen und verloren. Sie sind Tiere, keine Menschen“.
Gleichzeitig dokumentieren sie Slogans wie „Death to Arabs“. Dagegen würde ein Slogan wie „Death to Israeli“ eine nationale Medienkampagne der Empörung auslösen. Doch in der israelischen älteren Bevölkerung gibt es auch solche, die sich erinnern, dass bis auf einige Aktivisten die Araber schlicht in Frieden leben wollten, noch um 1948, als ihre Städte bereits überrannt zu werden begannen.
Foto mit freundlicher Genehmigung Momento Distribution
Die eigentliche Bedrohung aus israelischer Sicht ist die Bevölkerungszunahme der Araber und Palästinenser. Während einer Stadtratssitzung, beobachtet das Filmteam tumultartige Auseinandersetzungen angesichts dieses Problems, das durch die Bildung eines Ghettos kontrolliert werden soll. An die nicht-israelischen Bevölkerungsteile werden keine Baugenehmigungen mehr vergeben. Auch Israel hat die Resolution der UN faktisch nie respektiert.
Wir folgen der weiteren Reise der Dokumentarduos, das stets dezent im Hintergrund bleibt. Lediglich ihre fragenden Stimmen während ihrer Begegnungen ertönen im Off. An einer Produktionsstätte für Drahtzäune, die Israel zur Sicherung ihrer Siedlungsgebiete nutzt, erfahren die Filmemacher, dass hier ein unter Verbot internationales Richtlinien stehendes Material gefertigt wird, welches nur bei Gefängniseinrichtungen Anwendung finden darf. Elektrozäune bilden die konsequente Fortsetzung dieser inhumanen „Sicherung“. Auch Wälder werden abgeholzt, wenn sie dem Militär die Sicht versperren.
In einem zionistischen Integrationszentrum treffen wir auf verarmte und desorientierte Äthiopier, denen in hebräischer Sprache, deren sie kaum mächtig sind, gedankt wird, für „das wundervolle Land, dass ihr uns gabt“, eingeladen zu einem Wein-Getränk, das nicht zu ihrer Tradition gehört. Weiterhin begegnen wir einer Frau, die von ihrer Folter in israelischer Haft berichtet, aus der sie fast erblindet entlassen wurde. Wir erfahren von der Massenermordung Zusammengetriebener in einer Moschee der Stadt Lot 1948 und von weiteren 5000 Vertriebenen, deren Häuser und Güter gut organisiert verkauft wurde. Selbst auf der Flucht wurden sie noch misshandelt, Frauen vergewaltigt.
Wir erfahren von allseits aktiv vorangetriebenen Neubepflanzungen in den israelischen Siedlungen, um deren Besitzansprüche zu markieren, und dass von 70% arbeitslosen Palästinensern, auf die weiterhin permanent Druck zum Verkauf ihrer Häuser ausgeübt wird. Ihre Zirkulation wird zunehmend kontrolliert und eingeschränkt. Selbst der Schulgang oder Fahrten zum Krankenhaus können in Spiesrutenläufe ausarten. Ausgangssperren werden spontan deklarierter und zuweilen nicht informierte Spätheimkehrer auf dem Rückweg zu ihrer Ortschaft erschossen. Zugänge zu Wasserstellen werden erschwert und Plantagen zuweilen geplündert oder zerstört. Die Kaufmacht Israels ermöglicht es, arbeitslose und ertragslose Palästinenser zur Installation von Schutzwälle um israelische Siedlungen oder zum Bau der Siedlungen selbst zu engagieren.
Die Filmemacher treffen ebenso auf ehemalige jüdische Soldaten, die sich gut an die Vertreibung und Ermordung der ursprünglichen Bevölkerungen erinnern, Frauen und Kinder eingeschlossen. Sie waren – wie sie insistieren – lediglich Befehlsempfänger. Oft weigern sie sich, über ihre menschlichen Gefühle zu sprechen.
Der letzte Abschnitt der Route 181 ist all den Juden, vor allem denen aus Marokko stammenden, gewidmet, die mit falschen Versprechungen nach Israel gelockt wurden. In ihren Herkunftsländern konnten sie noch ein friedliches Zusammenleben zwischen Arabern und Juden erleben. Sie erinnern sich selbst an Araber, die Juden vor den Exterminationsaktionen der Nazi-Deutschen schützten, indem sie ihnen Versteck boten. Einmal eingetroffen in Israel, sind sie nicht nur mit der Substanzlosigkeit der materiellen Versprechungen konfrontiert, sondern mehr als das, wie es eine ältere Frau auf den Punkt bringt, mit dem schmerzhaften Mangel an Lebensfreude („Joy of Life“).
Von Eyal Sivan, Michel Khleifi; Frankreich, Belgien, Vereinigtes Königreich, Deutschland; 2003; 270 Minuten
Dieter Wieczorek
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