Viharsarok – ein ungarisch-deutscher Versuch über homosexuelle Emanzipaton, wo sie noch das Gegenteil von selbstverständlich ist
Schwule Fussballer sind dieser Tage ja ungemein angesagt als Thema öffentlicher Diskussion, insofern kann man dem ungarischen Regisseur Ádám Császi zumindest ein Trendbewusstsein nicht absprechen, macht er doch genau so jemanden, einen homosexuellen Kicker, zum tragischen Helden und Mittelpunkt seines Films. Es ist der erste Spielfim des Ungars, dessen Biographie zwei Kurzfilme, sowie Musikvideos und Werbung umfasst.
András Sütö gibt diesen Szabolcs, ein bei einem deutschen Verein spielender Nachwuchsstar, dessen Verhältnis zu seinem deutschen Clubkamerad und Mitbewohner Bernard zunächst vor allem als Konflikt gezeigt wird. Das Team hat gerade eine Niederlage eingesteckt, wurde vom Trainer zusammengestaucht und man sitzt niedergeschlagen in der Umkleide. Als auch Bernard ihm Vorwürfe macht, wird es dem Ungar zu bunt, er haut ab, nur weg von diesem Leistungsdruck, dem fremden Land, dem nicht mehr geliebten Sport.
Da lockt der in heimischer dörflicher Umgebung – man konnte auch von Einöde sprechen- ererbte grossväterliche Hof. Zurück zu den Ursprüngen, zu selbstbestimmtem Handeln. Bienen will er fortan dort züchten, sein Leben als Imker bestreiten. Der einsam gelegene Hof ist eine verfallene Bruchbude, die erst einmal renoviert werden muss. Da trifft es sich gut, dass der muskulöse junge Mann aus dem Dorf, der eigentlich den Motorroller von Szabolcs stehlen wollte, handwerklich begabt ist und als Busse für den missglückten Diebstahl seine Mitarbeit anbietet. Dieser Áron (Ádám Varga) kommt auch tatsächlich immer wieder aus dem Dorf, um mit an dem schier aussichtslosen Unterfangen herumzuschrauben und zu -hämmern, die Ruine wieder bewohnbar zu machen. Dabei sucht er unverkennbar die körperliche Nähe des Aussenseiters. Szabolcs macht nie auch nur einen Versuch, in der Dorfgemeinschaft anzukommen, sein einziger Umgang ist sein Vater in einer nahe gelegenen Stadt, mit dem er eine beständige Auseinandersetzung über die aufgegebene Karriere als Profi-Fussballer führt.
Eine gemeinsame Fahrt auf dem Motorrad lässt die beiden jungen Männer dann auf Tuchfühlung gehen, Alkohol sorgt für die noch fehlende Enthemmung, und Szabolcs fällt über Áron her, der es nicht ungern geschehen lässt.
Die Dorfgemeinschaft bekommt bald Wind von der Sache, waren doch schon die auffällig häufigen Besuche von Áron bei dem fremden jungen Grundbesitzer Gegenstand mokanten Tratsches. Als Áron sich seiner pflegebedürftigen Mutter anvertraut, ist die Katze alsbald aus dem Sack, und der junge Mann sieht sich Torturen physischer und verbaler Gewalt ausgesetzt. Toleranz gegenüber ungewohnten Lebensentwürfen darf von dieser Dorfbevölkerung nicht erwartet werden, und Homosexualität ist ihr das übelste, verwerflichste und verachtenswerteste überhaupt.
Áron ist einem unlösbaren Dilemma ausgesetzt: er will Teil dieser Dörfler sein und bleiben, er will auch seine Freundin nicht verletzen, aber es zieht ihn auch immer wieder zu Szabolcs hin, so sehr er sich selbst dagegen wehrt und so viele Konflikte zwischen den beiden auch entstehen, so viel er zusammengeschlagen und gedemütigt wird.
In diese Situation platzt nun Bernard, durch ein Telefonat des ratlosen Szabolcs herbeigerufen. Der Deutsche repräsentiert den absoluten Gegenentwurf zu den örtlichen Verhältnissen. Sein Schwulsein ist ihm selbstverständlich, seine offenbar schon lange bestehenden Gefühle für Szabolcs nichts, was irgendwie versteckt werden müsste. Die drei lavieren für eine kurze Zeit zwischen einer von Eifersüchteleien geprägten “ménage à trois” und einem in der Luft liegenden Experiment, es zu dritt zu versuchen und dem Rest der Welt zu trotzen hin und her, bevor Bernard dann doch das Weite sucht, nachdem Szabolcs sich entschieden hat, Áron in dieser feindseligen Umgebung nicht alleine lassen zu können.
Es folgt ein etwas unvermitteltes, tragisches Ende, welches der mit Instinkt und etwas dramaturgischer Erfahrung versehene Zuschauer meilenweit hat kommen sehen.
Der Film entlässt sein Publikum einigermaßen ratlos. Das Potenzial des Plots wird nicht annähernd ausgenutzt, die Ansätze sind da, verpuffen aber auch schnell wieder. Das gilt insbesondere für die recht kurze Phase, als den drei jungen schwulen Männern die Utopie eines Lebens zu dritt greifbar scheint. Doch Császi macht wenig aus dieser Konstellation, dem Moment, in dem Viharsarok zu einem bemerkenswerten Film hätte werden können, er gibt diese Versuchsanordnung einfach nur sehr schnell wieder auf.
Den Schauspielern kann kein Vorwurf gemacht werden. Sebastian Urzendowsky, ein hoch kompetenter Bühnen- und Filmdarsteller, dem schon grosse Parts gelungen sind, hat als Bernard kaum Material, sein Spiel zu entfalten. András Sütö gibt den Szabolcs lakonisch, mal trotzig und etwas larmoyant, dann wieder ganz jugendlicher Held und Verführer. Ádám Varga hat als Áron den interessantesten Part mit dem offensichtlichsten inneren Konflikt. Wie es ihm nicht gelingt, dem verfallenen Hof, dem Ort der Versuchung fernzubleiben, das hat Augenblicke der Spannung und der Dramaturgie, von denen man dem Film erheblich mehr gewünscht hätte. Leider versagt das Drehbuch auch Áron eine echte charakterliche Entwicklung.
Was bleibt, sind ein paar gelungene Momente, die Grossaufnahmen des heruntergekommenen Hofes (Kamera: Marcell Rev), die Choreographie von Szabolcs und Áron, mit der die Handhabung eines Fensters zum Tanz gerät, der viel über die erotische Spannung zwischen den beiden und die nie auflösbaren Hindernisse zwischen ihnen erzählt. Diese Augenblicke lohnen es, den Film anzuschauen, sagen aber auch viel über das, was er verschenkt, was aus ihm hatte werden können. Der englische Titel des Streifens ist “Land of Storms”. So sehr viel mehr als ein Sturm im Wasserglas wird, und das ist wirklich schade, leider nicht entfacht.
Viharsarok; von Ádám Császi; mit András Sütö, Ádám Varga, Sebastian Urzendowsky; Ungarn / Deutschland; 2014; 105 min
Frank B. Halfar, Berlin
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