Visions du Réel 2025 – To Use a Mountain von Casey Carter: Die tödliche Atomtechnologie und die Missachtung konstitutioneller Rechte
Nyons Vision du Réel Festival offeriert ein weiteres Beispiel autodestruktiver Tendenzen in den USA: Sie waren eine glückliche und autonome Gemeinde auf indianischen Grund. Eingekauft werden musste lediglich Zucker, Pfeffer und Salz. Doch dann kam der Tag im Jahr 1982, als sie erfuhren, dass ihr Land als mögliche dauerhafte Stätte für 77000 Tonnen atomaren Müll des höchsten Gefährdungsgrades deklariert worden war. Der Zerfall ihrer sozialen Gemeinschaft begann. Servicestationen wurden aufgegeben, Arbeitsplätze verschwanden, Anbauflächen gingen verloren. Hinzu kommt, dass der Wind den radioaktiven Staub über die Grenzen der Sicherheitszonen hinweg hinein auch in benachbarten Zonen treiben würde, darunter auch Nationalparks. Die nächsten 400 Generationen werden mit einer gefährlichen Ausstrahlung des Materials konfrontiert bleiben.
Foto mit freundlicher Genehmigung Visions du Réel
Casey Carter lässt seinem in Nyon weltpremierten Werk To Use a Mountain eine Vielzahl von Betroffenen aus unterschiedlichen Staaten, namentlich in Louisiana, Utah, Texas, Nevada, Mississippi und Washington State, zu Wort kommen, allesamt unmittelbar konfrontiert mit radioaktiven Müllstätten oder Atomkraftanlagen, die nicht nur Flussströme, sondern auch das Grundwasser kontaminierten. Sie berichten von Tiersterben, Nahrungskontaminationen und dem Verlust ihrer natürlichen Lebensräume und Lebensformen. Allein am wasserreichsten, 1953 Kilometer langen Columbia River im westlichen Nordamerika, sind neun Reaktoren in unmittelbarer Flussnähe errichtet, die die Fischreservate kontaminieren.
Regelmässig blendet Carter Ausschnitte des Textes des „Nuclear Waste Policy Act“ des US Departments of Energy ein, die die Abfallstätten zu determinieren anstreben. Diagramme, Grafiken und geologische Strukturen werden vielfach eingeblendet, nicht immer verständlich in dieser unkommentierten Unvermitteltheit. Auch hätte man sich gewünscht, eine klare Unterscheidungsstruktur zu haben zwischen den bereits von Radioaktivität Betroffenen und den durch die möglichen Lagerungsstätten Bedrohten.
Jedoch prägen diese Einblendungen den starken emotionalen Eindruck einer Überlagerung der betroffenen Anwohner durch technische und statistische Materialien, in denen sie nicht mehr erscheinen, eliminiert durch grafische Muster. Carter, gleichzeitig geschult in Physik, Photographie, Architektur und Designs, rekonstruiert durch seine Data-Visualisierungen und Kartographie-Implantate die transhumane analytische Perspektive auf die nur noch als Abstraktion existierende bedrohten Einwohner.
Insgesamt besuchte Carter sechs dieser zur Wahl stehenden Risikoorte atomarer Abfallstätten. Zumeist handelt es sich um indianisches Land, das rechtlos annektiert wird, ohne Diskussion oder Anhörung der Betroffenen. Aktivisten, die auf Kongressen vversuchen,ihr konstitutionelles Recht einzuklagen, finden kaum Gehör, ihr Widerstand bleibt fast immer wirkungslos. Teilnehmer an Strassenprotesten werden inhaftiert. Bis heute steht eine definitive Entscheidung über die endgültige Handhabung des radioaktiven Mülls aus.
Neben einer Fülle von Interviews bietet Carter in seinem Werk Archivaufnahmen von Bauarbeiten, Bohrungen und Protestmärschen. Auch die Folgen explodierende Atombomben werden eingeblendet, ein wohl nicht unbedingt notwendiger, spektakulärer Effekt, denn Sprengstoff beinhaltet der Film bereits genug.
Carters Werk wurde in Nyon mit dem Special Jury Award geehrt.
Von Casey Carter; Vereinigten Staaten; 2025; 99 Minuten.
Dieter Wieczorek
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