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achtung berlin 2023 – Mutter/Tochter und andere Familienprobleme

Mit der Preisverleihung ging das 19.Berlin-Festival zu Ende. Auch in diesem Jahr gab es wieder einige gute junge deutsche Filme zu entdecken.

Den Preis für den besten Spielfilm bekam Monolith von Julius Schultheiß, der bereits 2016 mit seinem Film Lotte den Hauptpreis gewonnen hatte. Es ist die Geschichte von Samir (Thomas Halle), einem verdeckten Ermittler, der islamistische Attentate verhindern soll, indem er sich selbst als Attentäter anbietet. Das führt zu Problemen mit seiner Freundin, die er nicht verlieren will, die aber die Schwester von Basil, einem der Leiter der islamistischen Gruppierung ist. Die Vorgesetzten glauben Samirs Ausführungen nicht so recht. Und dann taucht auch noch Henry auf, ein undurchsichtiger Informant. Ein durchaus interessanter Film, dem man aber anmerkt, dass nicht viel Geld vorhanden war.

Monolith von Julius Schultheiß
Bild mit freundlicher Genehmigung achtung berlin

Bester Dokumentarfilm wurde 3 Frauen von Maksym Melnyk. Stuschschyza (übersetzt kalter Ort) ist ein kleines Dorf in der Ukraine. Das Problem des Ortes ist, dass es keine jungen Leute mehr gibt. Der Regisseur porträtiert 3 Frauen, die gegensätzlicher nicht sein können. Da ist die alte Bäuerin, die nicht wirklich weiss, ob sie in der Ukraine, Polen oder der Slowakei lebt. Schliesslich ist man ja im Dreiländereck. Sie hatte immer ein schweres und entbehrungsreiches Leben. Der Regisseur und sein Kameramann werden zu ihren Ersatzsöhnen, auch wenn sie zur Premiere in Deutschland nicht kommen würde, weil sie Deutsche eigentlich nicht mag. Eine Postbeamtin fürchtet, dass es ihr Postamt bald nicht mehr geben könnte und eine Biologin, die in der Gegend Tierforschung betreibt, um ihre Dissertation zu schreiben, ist schon glücklich, wenn sie Kot von bestimmten Käfern findet. Auch ein Pro-Russe kommt zu Wort und die Wahl von Präsident Selenskyj ist  Thema. Ein guter Porträtfilm, von dem es allerdings ähnliches in den letzten Jahren schon häufiger gegeben hat.

Die Preise für Beste Regie (Ann Oren) und die beste Produktion bekam der bereits im Vorbericht erwähnte Film Piaffe. Dort ebenfalls erwähnt war Vamos a la Playa, für den das Darstellerteam den Darstellerpreis bekam.

Den zweiten Darstellerpreis erhielt Milena Dreißig für ihre Neben-Rolle in Alaska. Der Film erhielt ausserdem den Preis für die beste Kamera (Jean-Pierre Meyer-Gehrke) und die lobende Erwähnung für das Drehbuch  von Autor und Regisseur Max Gleschinski. Der Film erzählt die Geschichte von Kerstin (Christina Große), die nach dem Tod von ihrem Vater, den sie jahrelang gepflegt hatte, allem entfliehen will. Sie beschliesst auf der Mecklenburgischen Seenplatte eine längere Zeit in ihrem alten roten DDR- Kajak zu verbringen. Eine Rückkehr in alte Kindheitstage sozusagen. Alima (Pegah Ferydoni) verbringt dort ihre Zeit eigentlich nur im Urlaub mit ihrem Freund, von dem sie sich aber trennt. Da kommen Gespräche mit Kerstin gerade recht. Verfolgt wird Kerstin von ihrem Bruder und seiner Frau (Milena Dreißig), die ihren Anteil am Erbe seines Vaters wollen. Das ist unterhaltsam anzusehen und wird bei seinem Kinostart einige Zuschauer anlocken.

— Barbara Philipp und Alina Stiegler – Sprich mit mir
Bild mit freundlicher Genehmigung achtung berlin

Den Preis für das beste Drehbuch erhielt Sprich mit mir von Janin Halisch, die das Buch in Zusammenarbeit mit Hannah Sioda geschrieben hat. Alina Stiegler (die für ihre Rolle bereits den Darstellerpreis beim Max-Ophüls-Award gewonnen hatte) spielt Karo. Die fährt mit ihrer Mutter (Barbara Philipp) im Urlaub nach Rügen. Sie ist gerade frisch getrennt und vermutet bei ihrer Mutter ebenfalls Männer-Probleme. Ihr Papa ist abgehauen als sie 12 war und sie war immer ein einsames Kind. Die Mutter hält alle Männer für Arschlöcher, aber sucht sich immer die grössten aus. Mutter und Tochter lieben sich, aber können nicht miteinander reden. „Wenn Mutti sagt, geh aus der Sonne, geht sie natürlich nicht.“ Und das führt zu Sonnenbrand. Im Hotel lernen sie einen Vater (Peter Lohmeyer) mit seiner Tochter kennen, der geschieden ist. Und Mutter und Tochter scheinen ihn beide sehr zu mögen. Der angenehm unverkrampft- realistische Film mit guten Schauspielern ist ein guter Vertreter von Filmen über dysfunktionale Familien.

Tamara von Jonas Ludwig Walter behandelt das Mutter/Tochter –Thema auf andere Art. Der Film, der leider keinen Preis gewann, erzählt von Tamara (Linda Pöppel), die 1990 geboren zur Nachwendegeneration gehört und den ehemaligen Osten und ihre Mutter mit eindeutiger DDR-Vergangenheit früh verlassen hat. Eigentlich kommt sie nur zu einer Geburtstagsfeier zu Besuch, doch dann stirbt ihr Vater, den sie sehr geliebt hat, bei einem Unfall mit Fahrerflucht. Deshalb bleibt sie nun erst mal und es kommt zur Konfrontation mit ihrer Mutter. Auch hier ein gut gespielter realistischer Film zu einem Thema, welches es in der ehemaligen DDR häufig gibt.

Geranien von Tanja Egen war ein weiterer guter Film zum Mutter/Tochter- Thema, den bereits im Vorbericht erwähnt wurde.

Enttäuschenderweise auch preisfrei, und das, obwohl der einzige Film mit einer Standing Ovation am Schluss, ist Franky Five Star von Birgit Möller. Franky (Lena Urzendowsky) lebt mit ihrer Freundin Katja in einer Wohnung zusammen. Franky hasst es Klamotten zu kaufen, die man nicht braucht, jobt in einem Getränkemarkt und will endlich mal Sex haben. Nachbar Roman ist der Auserwählte, doch der will nicht so recht. Als sie Katjas Freund Hasi kennenlernt, verliebt sie sich in ihn, obwohl er gar nicht ihr Typ ist. Doch sie hat eine Besonderheit: in ihrem Kopf gibt es ein Hotel mit 4 anderen Personen, die in bestimmten Situationen ihren Körper und ihren Willen übernehmen. Ein völlig durchgeknallter Film mit Fantasy-Elementen, der richtig Spass macht. Der Film startet demnächst in Deutschland im Kino.

Der Dokumentarfilm Die toten Vögel sind oben von Sönje Storm porträtiert ihren Urgrossvater Jürgen Friedrich Mahrt, der von 1882- 1940 lebte. Eigentlich Bauer wurde dieser im ersten Weltkrieg zum Fotografen ausgebildet. Aus dem Krieg zurück begann er seinen Bauerhof zu vernachlässigen, verkaufte Hektare von seinem Grund, um sich eine bessere Kamera kaufen zu können und machte mit Unterstützung seiner Frau immer mehr Fotos in Schleswig-Holstein. Er dokumentierte damit Land und Leute und hielt schon damals Veränderungen der Umwelt fest. Moore hatten es ihm besonders angetan. Und er hinterliess eine riesige Sammlung ausgestopfter Vögel, Schmetterlinge und Käfer und getrocknete Pilze. In seinem Leben erfuhr er nicht viel Aufmerksamkeit, ausser Aufträgen für Fotos in Sammelalben. Aber heute sind seine Objekte ein unschätzbarer Fundus und werden im Museum ausgestellt (u. a. im Zoologischen Museum Hamburg). Der Film, der den Preis der ökumenischen Jury gewann, zeigt die faszinierende Lebensgeschichte eines Mannes, den die Umweltbewegung heute lieben würde. Der Film läuft in Deutschland am 31.8. an.

Die toten Vögel sind oben von Sönje Storm
© Stormfilm

Der bizarrste Preis war der Preis für die beste Dokumentarfilmkamera an Jan Peters für Eigentlich eigentlich Januar. Er dreht seine Tagesbuchfilme stets mit alten Super 8-Kameras und entwickelt diese im Eimer mit Haushaltsmitteln selbst. Mit dem Preis erhält er Digitales Kamera- Equipment für 1500 Euro. Da weiss er nicht, was er damit soll, wie er amüsiert feststellte.

Die Dokumentation Hao Are You von Dieu Hao Do erzählt von seiner eigenen Familiengeschichte. Durch den Vietnamkrieg flohen nach dem Fall von Saigon 1,5 Millionen Menschen vor den Kommunisten. Die Familie des Regisseurs, die zur chinesischen Minderheit in Vietnam gehörte, verschlug es so auf drei Kontinente. Nur ein Bruder blieb in Vietnam, die anderen gingen u. a. nach Amerika oder nach Deutschland. Und jeder hat andere konträre Versionen, was passiert ist, und warum sich alle nicht mehr getroffen haben. Der Regisseur versucht, die Familie bei einem Treffen wieder zusammenzuführen. Aber auch dies endet mit Streitigkeiten über das Erbe des Vaters. Eine interessante Familienchronik, die einen Preis verdient gehabt hätte.

Bianca Gleissinger schafft es, mit ihrem Dokumentarfilm 27Storeys gleichzeitig eine witzige Komödie abzuliefern. Selbst viel vor der Kamera (auch mit Regieanweisungen) überprüft sie, was von den Versprechungen des Architekten Harry Glück übriggeblieben ist. Der erschuf 1970 mit dem Wohnpark Alterlaa für 10000 Menschen auf 27 Stockwerken die Utopie „Wohnen wie die Reichen für alle“. Alterlaa war und ist wie eine extra Stadt in Wien. Da war und ist immer noch alles vorhanden, mit Schwimmbad auf dem Dach, diversen Vereinen, Balkons für jeden und Läden jeder Couleur. Die Regisseurin lebte bis zum 17. Geburtstag dort selbst und liebte es. Nun geht sie durch die Anlage, inspiziert alles und führt viele Interviews mit Anwohnern. Nur eins hat sich geändert: Es sind fast nur noch die Alten, die es wirklich gut finden, junge Leute können mit den Vereinen nichts anfangen und verlegen ihre Aktivitäten lieber auf ausserhalb. Einen besonderen Stellenwert im Film nimmt das Freddy Quinn-Museum ein. Der ist ja gebürtiger Österreicher. Das Museum hat alles, und die alten Eigentümer hätten die Regisseurin gerne als Nachfolgerin. Klasse. Nach dem Film steht zu erwarten, dass Bianca Gleissinger bald auch einen Spielfilm macht.

Im Rahmenprogramm Spotlight gefielen vor allem die Filme Ernestos Island von Ronald Vietz mit Max Riemelt, der die Asche seiner toten Mutter auf eine Insel vor Kuba bringen will, die der DDR einst geschenkt wurde und wo die Mutter lebte und 5 Seasons – Eine Reise der Schauspielerin Katja Sallay, die mit kaum Geld und vielen Helfern einen Familienfilm gemacht hat, der sehr teuer aussieht. Ernesto startet im Kino, 5 Seasons wird hoffentlich einen Verleih finden.

Harald Ringel

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