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Berlinale 2025 – Retrospektive : Wild.schräg.blutig. Deutsche Genrefilme der 70er

Das diesjährige Thema der Retrospektive ist aus verschiedenen Gründen höchst interessant. Zum einen wurden sogenannte Genrefilme, unter die verschiedenste Filmgattungen fallen (Horror, Fantasy, SciFi, Thriller, Komödien oder Musikfilme), und nicht nur Horror, was von vielen mit Genre gleichgesetzt wird, bei Produzenten und Filmkritik oft als minderwertig betrachtet und deshalb meist gar nicht erst gedreht wurden. Bei Thrillern und Komödien hat sich dies durchaus geändert, Horror und Scifi hat auch heute noch Probleme in Deutschland. In den letzten Jahren hat sich hier einiges getan und auch bei der diesjährigen Berlinale findet man hier viele aktuelle Beispiele. Auch die Art, wie die Filme in den 70ern gestaltet wurden, ist oft sehr ungewöhnlich. Und was auch bei der Auswahl der Filme auffällt, ist der Unterschied der Genrefilme aus Ost und Westdeutschland. Gab es in der Bundesrepublik Filme aus allen Genres, gab es in der DDR eigentlich nur musikalische Komödien. Vier Scfi- Filme waren da die Ausnahme. Das wundert nicht wirklich, es gab in der DDR staatlich verordnet keine Kapitalverbrechen wie Mord. Solche wurden verschleiert und totgeschwiegen.

Nicht schummeln, Liebling! von Joachim Hasler
© DEFA-Stiftung / Klaus Goldmann

Unter den vier Filmen aus der DDR ist der Film Nicht schummeln, Liebling! Von Joachim Hasler mit dem damaligen Musikfilm-Dreamteam Frank Schöbel und Chris Doerck. Ein Film über den Kampf um Privilegien zwischen der männlichen und der weiblichen Fussballmannschaft in einem Provinzstädtchen. Und gleichzeitig zwischen der Schuldirektorin und dem Bürgermeister. Der Film ist sehr unterhaltsam und bietet eine Menge Musicalnummern mit Tanzszenen von Mitgliedern des Friedrichstadtpalastes. Die im Studio vorproduzierten Lieder sind unverkennbar, doch dies beeinträchtigt den Genuss des Films kaum.

Orpheus in der Unterwelt von Horst Bonnet bietet eine etwas veränderte Geschichte der berühmten Operette von Jacques Offenbach. Orpheus ist seiner Ehe eigentlich Überdrüssig und gar nicht so traurig, als seine ebenfalls untreue Frau Eurydike stirbt, und von ihrem verkleideten Liebhaber, der in Wirklichkeit der Fürst der Finsternis ist, in den Hades verfrachtet wird. Doch aus Angst vor Gesichtsverlust als Geiger und weniger Schülerinnen (und Geliebten) in der Zukunft folgt er ihr und will sie befreien. Doch sie will eigentlich lieber in der Hölle bleiben, dort gibt es gut zu essen und so viel Sex wie sie will. Mit schwungvollen Musiknummern und Tanzszenen (mit viel Cancan), leicht bekleideten Mädchen und Rolf Hoppe als Göttervater Zeus war der Film damals ein grosser Hit und unterhält immer noch bestens. Auch viele Anspielungen an die realen Zustände in der DDR verstärkten den Spass.

Dazu passt auch Nelken in Aspik von Günter Reisch. Der Film ist eine subversive Satire mit Armin Müller-Stahl als Werbezeichner, der ständig über alles schwadroniert und ganz zufrieden ist mit seinem Leben. Nichts liegt ihm ferner als beruflich aufzusteigen. Als er zwei Zähne verliert, die ihm aber wundersam in einigen Monaten nachwachsen sollen, will er den Sprachfehler verschweigen und beginnt nichts mehr zu sagen. Dadurch steigt er als genialer Neuerer bis zum Generaldirektor auf. Auch alle Bemühungen, die Wahrheit zu sagen, scheitern. Dass diese Satire, die die dysfunktionale Arbeitswelt des real existierenden Sozialismus aufs Korn nimmt, damals durch die Zensur gekommen ist, ist nahezu ein Wunder.

Auch bei den westdeutschen Filmen gab es Komödien. Sogar sehr viele Schlagerfilme, mit Schlagersängern wie Roy Black, die aber nicht Bestandteil der Retrospektive sind.

Als Komödie/ScienceFiction/Sexfilm-Mix funktioniert Männer sind zum Lieben da (The Girls from Atlantis) von Eckhart Schmidt, der erst vor kurzem verstorben ist. Frauen aus Atlantis, einer Welt im Meer, die aus Nachwuchsmangel vor dem Untergang steht, schrumpfen Männer beim Beischlaf, packen sie in einen kleinen Koffer und nehmen sie als Sexsklaven mit nach Hause. Eine von Ihnen (Isi Ter Jung) kommt damit aus Mitleid nicht klar. Als sich in eines ihrer Opfer in Spe (Horst Letten) verliebt, steht die ganze Mission vor dem Scheitern. Eine gelungene Mischung der Genre und der Anfang zu vielen Genrefilmen von Eckhart Schmidt, der mit Filmen wie Der Fan zu Berühmtheit gelangte.

— Evelyne Kraft – Lady Dracula
Deutsche Kinemathek, © IKOHA Import & Export

Lady Dracula von Franz Josef Gottlieb bietet eine Horrorkomödie mit vielen bekannten Schauspielern der damaligen Zeit, wie Theo Lingen, Walter Giller, Roberto Blanco, Eddie Arendt, Christine Schubert, Heinz Riencke u. v. m. 1876 wird eine junge Comtess (Marion Kracht in einer frühen Rolle) von Graf Dracula (Italo-Star Stephen Boyd)  gebissen und stirbt. 1976 graben Bauarbeiter in Wien ihren Sarg aus. Lady Dracula (Evelyn Kraft) verdingt sich als Leichenkosmetikerin und ernährt sich dort von Blutkonserven. Doch als diese ausgehen, beginnen sich die Opfer mit Vampirbissen zu türmen. Der Kommissar (der zweite Italo-Star Brad Harris) verliebt sich in sie und glaubt zunächst nicht an Vampire. Horrormotive wie aus Hammerfilmen gemischt mit Klamauk deutscher Comedys der 70er machen auch heute noch Riesenspass.

Horror ohne Komödie ist Jonathan vom Lindenstrassen-Erfinder Hans w. Geissendörfer. Basierend auf Bram Stokers Dracula, wird ein ganzer Landstrich von einem Vampir-Grafen und seinen Leuten terrorisiert und als Nahrung eingefangen. Bis sich die Bevölkerung endlich auflehnt und Kino ganz im Stil der damaligen Neuen deutschen Welle, entschleunigt und in farblichen Pastelltönen, mit Schauspielern wie Paul Albert Krumm. Für die damalige Zeit eine andere Herangehensweise, etwa wie heute Robert Eggers andere Varianten von Klassikern zeigt.

Die Zärtlichkeit der Wölfe von Ulli Lommel kann man als Mischung von Tatsachenbericht, Krimi und Horrorfilm bezeichnen. Basierend auf den echten Verbrechen des Fritz Haarmann, der in der Nachkriegszeit als Serienmörder berühmt berüchtigt war. Der tötete und zerstückelte seine homosexuellen Opfer, oft Minderjährige, trank ihr Blut und stand im Verdacht des Kannibalismus. Fassbinderstar Ulli Lommel, der später in die USA ging und weiter kleine Independent-Horrorfilme a la The Boogeyman drehte, hatte Rainer Werner Fassbinder als Produzent und viele Schauspieler von dessen Filmen als Schauspieler. Den Film könnte auch Fassbinder selber gedreht haben. Kurt Raab gibt mit überzeugender Intensität den Serienkiller, der nur deshalb so lange unerkannt blieb, weil er auch als Polizeispitzel tätig war und den ermittelnden Kommissar mit Hehlerware bestach. Margit Carsensen, Brigitte Mira und Ingrid Caven sind in weiteren Rollen zu sehen.

Fleisch machte Rainer Erler zum weltbekannten Regisseur und Autor, sogar in Amerika. Damals noch als Science-Fiction angesehen und vor Filmen wie Coma, behandelt das Thema des illegalen Organhandels. Zwei deutsche Studenten (Jutta Speidel, Herbert Herrmann) sind auf Hochzeitsreise durch die USA. Als sie in einem kleinen Hotel in eine Falle geraten und er entführt wird, versucht sie mithilfe eines Truckers (Wolf Roth) ihn zu befreien. Der Weg dahin ist beschwerlich und sie enttarnen einen Ring der Organhändler, bei dem Krankentransportfahrer mit der Entführung von Spenderorgane viel Geld verdienen. Wie alle seine Filme und Bücher (Das blaue Palais) ist Fleisch präzise recherchiert und als erstklassiger Thriller inszeniert. In der DDR war der Film als einer der wenigen westdeutschen Filme mit 13 Millionen Zuschauern ein Riesenhit.

Einer von uns beiden zementierte Wolfgang Petersens Ruf, ein erstklassiger deutscher Regisseur zu sein. Drei Jahre vor dem Tatort: Reifezeugnis drehte er hier in seinem ersten Kinofilm bereits mit Leuten wie Jürgen Prochnow und Klaus Schwarzkopf, mit denen er später immer wieder arbeitete, bevor er dann nach Hollywood ging. Die Verfilmung des Romans von Horst Bosetky (alias ky)erzählt von einem mittellosen Studienabbrecher, der einen Soziologen und Autor wegen eines Plagiats erpresst. Es eskaliert immer mehr, inklusive Action, Schusswechseln und Mord (Elke Sommer als Prostituierte wird umgebracht). Als der Erpresser sich an die Tochter (Kristina Nel) des Professors heranmacht, zieht der Professor eine drastische Notbremse. Ein starker Thriller, der das kommende des Regisseurs bereits erahnen liess.

Blutiger Freitag von Rolf Olsen legt in puncto Brutalität und Grenzüberschreitung noch einen drauf. Ein geflüchteter Krimineller (Seewolf-Star Raimund Harmstorf) überfällt mit zwei Partnern (Amadeus August, Gianni Macchia), die nicht ganz so skrupellos sind wie er, eine Bank. Dies mündet in Geiselnahme, Flucht und wilden Schusswechseln. Die italienische Co-Produktion im Stil eines Giallo spart Blut in Mengen nicht aus, und liess einige frühere Tabus fallen. So läuft ein Kind mit scharfer Handgranate durch die Strasse, nur gerettet von einem Polizisten, der die Granate wegreisst und sich damit selbst in die Luft sprengt oder einige kurze pornografische Momente.

Blutiger Freitag von Rolf Olsen
Deutsche Kinemathek, © Lisa Film

Auch Mädchen mit Gewalt sprengt Grenzen. Roger Fritz zeigt zwei Männer (Klaus Löwisch, Arthur Brauss), die auf Mädchenjagd für Sex sind, die vor Gewalt und Vergewaltigung nicht haltmachen. Sie nehmen, nachdem sie die Bekanntschaft mit einer Studenten-klicke gemacht haben, ein Mädchen (Helga Anders) mit zu einem Badesee, wo sie angeblich die anderen treffen wollen. Die dort natürlich nicht eintreffen. Nach der Vergewaltigung beginnen die beiden Männer sich zunächst gegenseitig zu schlagen, bevor ihr einer der Beiden erklärt, was passiert, wenn sie zur Polizei geht. Denn das wird entwürdigend für sie und sie zur Schande vor Eltern und Freunden. Die Machtdemonstrationen werden immer brutaler. Ein Film, der komplett aus der Täterperspektive erzählt ist und zeigt, warum viele weibliche Opfer nicht zur Polizei gehen. Ein unangenehm anzusehender Film, in dem die Schauspieler ihre fiesen Rollen sehr überzeugend spielen und in dem einem Helga Anders als Opfer sehr leid tut. Und ein Film, der gut zur aktuellen MeToo-Debatte passt.

Ergänzt wird das Programm durch Fremde Stadt von Rudolf Thome, dem einzigen noch lebenden Regisseur der Retrospektive. Ein Schwarz/Weiss-Krimi, schön lakonisch, mit Roger Fritz als Bankräuber, in dem München aussieht, wie eine richtig gefährliche Stadt. Deadlock von Roland Klick ist ein brutaler deutscher Spätwestern mit Mario Adorf in der Hauptrolle, der immer noch öfter in kleinen Kinos läuft. Ebenfalls noch oft in Kinos und im Fernsehen ist Rocker, ein Hamburger Milieuporträt von Klaus Lemke.

Weitere Filme zum Thema gibt es noch kostenlos zum Streamen auf der Deutschen Kinemathek Internetseite.

Das Programm der Retrospektive 2025

Harald Ringel, Berlin

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Harald Ringel

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