j:mag

lifestyle & responsible citizenship

Berlinale 2025Cinéma / KinoCulture / KulturRecit / Bericht

Berlinale 2025 – Wettbewerb: Grössere filmische Vielfalt als zuvor

Die neue Festivalchefin Tricia Tuttle hatte bei der Pressekonferenz eine grössere Bandbreite in der Auswahl angekündigt als bisher. So liefen in diesem Jahr auch Horror, Agentensatire, Komödien und Thriller im Programm, auch ein Dokumentarfilm war vorhanden. Es fehlte eigentlich nur ein Animationsfilm im Wettbewerb, es gab aber in den anderen Sektionen gleich mehrere verschiedener Machart. Die Öffnung für Wettbewerbs unüblichere Filmformate kam unterschiedlich an, war aber auch bei vielen Zuschauern durchaus beliebt. Nur grössere Regienamen waren rar gesät, die gehen dann doch lieber nach Cannes oder Venedig.

— Ella Øverbye et Selome Emnetu – Drømmer [Dreams (Sex Love)]
© Motlys
Den Goldenen Bären als bester Film gewann verdient der norwegische Beitrag Drømmer (Dreams (Sex, Love), der Mittelteil der filmischen Trilogie von Dag Johan Haugerud. Der erste Teil Sex lief im Berlinale- Panorama im letzten Jahr, der letzte Teil Love, der aber früher fertig war als Drømmer war im Wettbewerb in Venedig zu sehen. Johanne (Ella Overbye) verliebt sich in ihre Lehrerin, die die Liebe aber nicht erwidert und schreibt ein Buch mit erotischen Ausschmückungen. Damit schockt sie vor allem zunächst die Mutter (Ane Dahl Torp), ihre Oma, selbst Schriftstellerin, will, dass sie das Buch veröffentlicht. Die Haltung von Mutter und Grossmutter kehren sich um, als sich beide über ihre eigenen Träume und Sehnsüchte klar werden. Und auch für Johanne deutet sich ein Happy End mit einer neuen Liebe an. Ein Film mit schönen Bildern und einer berührenden Geschichte, die wohl jeder in Varianten schon mal selbst erlebt haben könnte. Und ein FFilm,der dem Jurypräsidenten Todd Haynes mit seiner eigenen Filmografie sehr gefallen haben dürfte. Die Trilogie kommt in Deutschland ins Kino.

O ultimo azul (The Blue Trail) des brasilianischen Regisseurs Gabriel Mascaro war der allgemeine Liebling vieler im Publikum und gewann den Grossen Preis der Jury. In Form von Science Fiction und Roadmovie wird die Geschichte von Tereza (Denise Weinberg) erzählt. Im Brasilien der Zukunft werden alte Menschen in Resorts umquartiert, um die Produktivität junger Menschen nicht zu stören, ob sie wollen oder nicht. Tereza will nicht und eigentlich nur ihren alten Traum erfüllen, einmal zu fliegen. Als ihre Tochter dazu ihre Zustimmung geben muss, was sie aber nicht tut, fährt sie mit einem Schmugglerboot in ein abgelegenes Dorf um dort ohne Genehmigung fliegen zu können. Schliesslich landet sie auf dem Boot einer Bibelverkäuferin und erfährt, dass sich die Reichen mit Geld freikaufen können. Ein starker Film über das Älterwerden und damit verbundene Probleme, das zeigt, wohin es mit dem profitgesteuerten Leben führen kann. Mit einer erstklassigen Hauptdarstellerin, der man stets wünscht, dass es gut für sie ausgeht.

Den Jurypreis erhielt El mensaje (Die Nachricht) des Argentiniers Ivan Fund. In schönen schwarz/weiss- Bildern und langsamer Erzählform zeigt der Regisseur die Geschichte der kleinen Anika (Anika Bootz), die die Gabe hat gedanklich mit Tieren zu kommunizieren. Mit ihren Pflegeeltern (die Mutter ist in einer psychiatrischen Klinik) fährt sie in einem Karavan durch Argentinien und hilft als Tiermedium Geld zu verdienen. So kann sie z. B. der Besitzerin eines Igels sagen, dass dieser einsam ist und seine Brüder vermisst. Die Darsteller spielen so überzeugend, dass man über weite Strecken denkt, dass es sich um einen Dokumentarfilm handelt. Wer sich auf den Film einlässt, wird mit einer faszinierenden Geschichte belohnt.

Der Chinese Huo Meng wurde für Sheng Xi Zhi Di (Living The Land) mit dem Regiepreis belohnt. In den 90er Jahren lebt der zehnjährige Chuang bei Verwandten auf dem Land, weil seine Eltern in der Stadt arbeiten und nur selten Zeit haben sich um Ihn zu kümmern. Der Film zeigt die Kollision zwischen jahrtausendealten bäuerlichen Traditionen mit dem immer  moderneren ökonomischen Wandel im kommunistischen China. Oft mutet es an, als ob die Handlung Jahrzehnte früher spielt. Dies wird noch verstärkt durch die Schauspieler, die alle Laiendarsteller sind. Auch unmenschliche Praktiken, wie die Zwangssterilisation vieler Frauen und Mädchen, wegen der Einkindpolitik der Staatsführung werden thematisiert.

Sheng xi zhi di (Living the Land) von Huo Meng
© Floating Light (Foshan) Film and Culture

Die Australierin Rose Byrne wurde als beste Hauptdarstellerin im amerikanischen Psychoporträt If I Had Legs I’d Kick You von Mary Bronstein ausgezeichnet. Linda (Byrne) ist Psychiaterin und hat viele Probleme in ihrem Leben. Von ihrem Mann, einem Militärangehörigen, weitgehend alleingelassen, muss sie sich um ihr krankes Kind kümmern, das nicht isst und auf einen Ernährungsschlauch angewiesen ist, von dem sie denkt, dass er überflüssig ist. Als Teile der Wohnzimmerdecke herunterstürzen und sie in ein Hotelumziehen muss, eine Patientin ihr ihre Tochter in der Praxis hinterlässt und spurlos verschwindet und sie Krach mit ihrem Vorgesetzten und Psychiater bekommt, dreht sich die Spirale immer weiter, bis es zu einem katastrophalen Ausbruch kommt. Ein faszinierendes Porträt, mit einer herausragenden Darstellerin.

Regisseur Richard Linklaters Film Blue Moon spielt 1943 auf der Premierenfeier des Musicals Oklahoma! Der berühmte Songtexter Lorenz Hart, von dem sich sein langjähriger Partner, der Komponist Richard Rogers, wegen dessen Alkoholproblemen getrennt hat, ist von Neid geplagt in einer tiefen Lebenskrise, weil das Stück mit dem neuen Texter Oscar Hammerstein ein Riesenerfolg wurde. Ethan Hawke spielt diesen Lorenz Hart in herausragender Weise. Man wähnt sich hier in einem Theaterstück. Ethan Hawke der lange als Favorit für den Darstellerpreis galt, ging allerdings leer aus. Stattdessen bekam Andrew Scott, der Richard Rogers spielt, den Preis als bester Nebendarsteller. Eine Folge der Preisänderung vor einigen Jahren, dass es nur noch geschlechtsneutrale Preise gibt.

Den Preis für das beste Drehbuch bekam verdientermassen der rumänische Regisseur Radu Jude, der sich selber darüber wunderte, da er ein mässiger Drehbuchautor ist, wie er selber meinte. In Kontinental’25 gerät eine Gerichtsvollzieherin in eine Krise, als sich ein armer Mann, der aus seiner Kellerwohnung geworfen werden soll, weil Luxusapartments gebaut werden sollen, erhängt. Der Film folgt ihr einen Tag und eine Nacht, und zeigt, wie sie die Krise überwindet. Gleichzeitig ist der Film aber auch eine Anklage, wie mit Menschen im heutigen Wohnungsmarkt umgegangen wird.

Einen Preis für das kreative Ensemble rund um die französische Regisseurin Lucile Hadzihalilovic gab es für La Tour de glace (The Ice Tower). In den 70er Jahren reisst Jeanne (Newcomerin Clara Pacini) aus dem Waisenhaus aus und kommt in eine kleine Stadt. Dort übernachtet sie in einem Gebäude, das sich als Filmstudio herausstellt. Sie gibt sich als Komparsin aus und gerät so in die Dreharbeiten zu Hans Christian Andersens Märchen Die Schneekönigin. Sie verfällt der Anziehungskraft der Darstellerin Cristina (Marion Cotillard), die sie beginnt zu fördern, aber eigentlich andere Ziele verfolgt. Der Film fasziniert mit seiner langsam-verästelten Machart und einer Mischung aus Märchengeschichte und Dreharbeiten, bei der sich die Grenzen immer mehr vermischen. Auch an Verfremdungen, Horrorelementen und Filmzitaten wird hier nicht gespart.

Preislos, aber ein noch faszinierenderes Verwirrspiel aus Giallo und Agentenfilm mit vielen Filmzitaten, blutigen Horrorszenen und satirischen Elementen bot Reflet dans un diamant mort (Reflection In a Dead Diamond) des französisch/italienischen Regieduos Helene Cattet und Bruno Forzani. Da wechseln Zeitebenen, Film im Film, Comic und Agentengeschichte wild durcheinander, dass man oft nicht weiss, in was man sich gerade befindet. Und wie immer wird das italienische Giallogenre gemischt mit anderen Filmgenres. War dies im letzten Film der beiden Leichen unter brennender Sonne der Western, ist es nun also der Agentenfilm. Und natürlich spielt die Hauptrolle ein Schauspieler, von dem man lange nichts mehr gehört hat, nämlich der italienische Altstar Fabio Testi. Vielen wird der Film zu brutal sein, aber man darf das ganze nicht zu ernst nehmen.

Das Gegenstück zu Living The Land war der andere chinesische Wettbewerbsbeitrag.Xiang Fei De Nv Hai (Girl on Wire) von Vivian Qu. Tian Tian ermordet einen Drogenhändler und flieht. Sie sucht ihre Cousine und findet diese in der chinesischen Filmstadt. Sie ist allerdings keine Schauspielerin, sondern ein Stuntdouble. In vielen Rückblenden entblättert sich die Vorgeschichte der beiden und führt mit viel Krimiaction zum tragischen Ende. Ein sehr moderner Film, der überall auf der Welt spielen könnte. Man merkt, dass die Regisseurin auch eine der wichtigsten Filmproduzentinnen in China ist, nimmt sie doch Marotten und Rücksichtlosigkeiten ihrer Kollegen aufs Korn.

Hier eine ausführliche Kritik (auf Französisch- Malik Berkati) von Drømmer

Hier eine ausführliche Kritik (auf Französisch – Malik Berkati) von El mensaje

Harald Ringel, Berlin

© j:mag Tous droits réservés

Harald Ringel

Rédacteur / Reporter (basé/based Berlin)

Harald Ringel has 54 posts and counting. See all posts by Harald Ringel

Laisser un commentaire

Votre adresse e-mail ne sera pas publiée. Les champs obligatoires sont indiqués avec *

*