Die Nachstellungen des Faschismus: Fiume o morte! von Igor Bezinović
Das Rotterdammer IFFR zeigte ein überaus aufschlussreiches Werk zum Stand der nationalistischen Dinge.
Foto mit freundlicher Genehmigung IFFR
Er war ein Poet, Theaterschreiber und Aristokrat, fasziniert von Heroismus und Pathos, und in dieser Funktion kam Gabriele D’Annunzio zum ersten Mal eingeladen in die heutige kroatische Küstenstadt Rijeka, die damals sich Fiume nannte. Diese Einladung war wohl nicht die beste Idee, denn derselbe Mann inszenierte, rebellierend gegen die durch den Pariser Friedenskonferenz 1919 erfolgte Zuteilung der Stadt an Jugoslawien, einen Privatkrieg für die Verteidigung der aus seiner Sicht italienischen Stadt, die Hunderten von Italieners, die nun auf beiden Seiten kämpfen, das Leben kostete.
D’Annunzio hatte sich in die Position eines Streitkräfte-Befehlshabers katapultiert, der italienisch nationale Rechte einforderte, zunächst durchaus mit grosser Sympathie seitens Mussolinis. Getrieben vom aufkommenden Geist des Faschismus versetzte Gabriele D’Annunzio mit eigens am Ort ausgebildeten Streitkräften, neben den bereits mitgeführten professionellen Einheiten, die Stadt in ein nationalistisches Delirium und kämpfte zuletzt sogar gegen die ausgesendeten italienische Truppen selbst, die diesem Spuk nach 16 Monaten ein Ende setzen wollten. In der letzten Konfliktphase lässt er alle Brücken der Stadt zerstören, um das Vorrücken der italienischen Festlandtruppen zu verhindern. Enthusiastisch kämpfende eigene Truppen blieben, bis zum bitteren Ende auf seiner Seite.
Dies war jedoch nicht sein persönliches Ende. D’Annunzio verbrachte sein Lebensende geruhsam in einer grosszügigen, komfortablen Villa an der Riviera, seine internationalen Gäste empfangend. Mussolini wusste, fanatisch agierende Oppositionelle tötet oder vergoldet man. In D’Annunzio’s Fall entschied er sich für letztes. Auch die Stadt Fiume selbst hat ihm mittlerweile ein Ehrendenkmal errichtet, sein zerstörerisches Wirken in partieller Amnesie in Kauf nehmend.
Diese wenig bekannte bizarre Episode der europäischen Geschichte ist Anlass für den Regisseur Igor Bezinović, selbst aus Fiume stammend, das Thema in seinem hybriden Werk Fiume o morte! zu aktualisieren und zum Ausgangspunkt einer Recherche zu machen, die schnell performative Formen annimmt. Er befragt seine dortigen Zeitgenossen, ob sie sich dieser Geschichte bewusst sind und was sie heute darüber denken und empfinden. Unkenntnis oder auch Tabuisierung sind die häufigsten Reaktionen. Nicht abgeschreckt, sucht er nach Personen, die diese problematische Geschichte in der Stadt nachspielen wollen. All diese schnell gefundenen Laiendarsteller befragt er zuvor nach ihrer Sicht auf die Geschichte und welche Rolle sie dort zu spielen vorziehen. Von einfachen Soldaten bis zur Figur D’Annunzio wird alles recht rasch besetzt. Darauf beginnen die Aktivitäten auf den Strassen des heutigen Rijeka. Im öffentlichen Raum werden die skurrilsten Situationen geschaffen, die es jedoch kaum aufnehmen können mit D’Annunzio eigenen 10.000 Fotographien, die er in dieser Lebensphase selbst erstellte.
Bezinovićs Film, der Humor und Ernsthaftigkeit überzeugend und spielerisch balanciert, wie ebenso Gegenwartsaufnahmen und Archivbilder, theatralische Inszenierungen und spontane reale Reaktionen und Kommentare, wurde sowohl zum Sieger des Tiger-Wettbewerbs in Rotterdam erklärt, als auch mit dem FIPRESCI-Preis der Filmkritik ausgezeichnet, ein Zeichen, das die Konkurrenz wohl nicht gross war. Beide Juryerklärungen heben hervor, dass das eigentliche Thema neben dem anekdotisch bizarren, historischen Aspekt, der Umgang mit Nationalismus heute ist. Wie nicht anders zu erwarten, fallen die Antworten recht unterschiedlich aus. Im Jurystatement der FIPRESCI findet sich die klare Einsicht, dass Bezinovićs Werk als ein „Eine tiefgehende Kommentierung besorgniserregender gegenwärtiger politischer Entwicklungen, insbesondere des Aufstiegs der globalen extremen Rechten“ zu lesen sei.
In der Tat lässt sich Fiume o morte! als eine Art experimentelle Erforschung aktueller nationalistischer Stimmungen und Tendenzen interpretieren.
Von Igor Bezinović; Kroatien, Italien, Slowenien; 2025; 112 Minuten.
Dieter Wieczorek
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