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Filmfest Hamburg 2025 – Hits aus Cannes, Locarno und Venedig und vieles mehr

Auch in ihrem zweiten Jahr als Festivalleiterin hat Malika Rabahallah mit ihrem seit Jahren erprobten Team ein erstklassiges Programm zusammengestellt. Und hat gleichzeitig auch das Rahmenprogramm für die Filmwirtschaft verstärkt. Sie hat es wieder geschafft, viele Hits der grossen A-Festivals erstmals nach Deutschland zu holen.

— Ein einfacher Unfall (Yek tasadof-e sadeh) von Jafar Panahi
© Jafar Panahi Productions/Les Films Pelleas

Einer der Hits war der Gewinner der goldenen Palme in Cannes: Ein einfacher Unfall des iranischen Starregisseurs Jafar Panahi. Wie immer weitgehend im Geheimen und ohne Genehmigung gedreht, beginnt die Geschichte als Unfall mit der Havarie mit einem Tier. Als die Familie mit dem Auto in einer Werkstatt hält, meint ein Mitarbeiter an der Stimme und der knarrenden Beinprothese seinen ehemaligen Peiniger im Untersuchungsgefängnis zu erkennen. Er entführt ihn und fragt mehrere andere ehemalige bei Verhören gefolterte Häftlinge, ob er es wirklich ist. Schliesslich will er ihn zweifelsfrei identifizieren. Doch es gibt viele verschiedene Meinungen über Schuld oder Unschuld und das weitere Verfahren: freilassen oder umbringen. Panahi schafft es, einen spannenden Thriller mit der Abrechnung mit dem iranischen Regime zu verquicken.

Der irakisch-amerikanisch-katarische Film Ein Kuchen für den Präsidenten von Hasan Hadi spielt in den 90er Jahren kurz vor dem Geburtstag des damaligen irakischen Präsidenten Saddam Hussein. Die 9-jährige Schülerin Lamia wird ausgelost, den Kuchen für die örtliche Geburtstagsfeier zu backen. Doch das ist nicht so leicht: Im Land herrscht Lebensmittelknappheit und die Zutaten sind schwer zu besorgen. Doch der Lehrer ist streng. So fährt Lamia mit ihrem Schulfreund Saeed, der Obst besorgen soll, und ihrem Hahn Hindi in die Stadt, um die Zutaten zu besorgen. Das wird zu einem grossen Abenteuer. Sie bekommen es mit der Polizei, Hühnerdieben und sogar einem Kinderschänder zu tun, sind aber erfolgreich und stärken schliesslich ihre Freundschaft. Ein schöner, warmherziger Film, bei dem man mit den Kindern mitfühlt.

Die Musikdokumentation Boy George & Culture Club von Alison Ellwood beleuchtet den Aufstieg des Sängers mit dem androgynen Look und den Weg zur Gründung von Culture Club, der Band, die bis heute noch auftritt. Die Bandmitglieder und Wegbegleiter erzählen über die ersten Jahre, die nicht nur massig Hits in Europa und Amerika brachten, sondern auch eine Liebesbeziehung zwischen Boy George und dem Drummer Jon Moss, die Jahre vieles überschattete. Viele Lieder, die Boy George geschrieben hat, handeln eigentlich von dieser Beziehung. Und Geschichten von Drogen, gegen die Boy George eigentlich immer war, dann aber plötzlich zum Süchtigen wurde. Oder unvorsichtige Äusserungen über Drag, die viele Amerikaner übelnahmen. Faszinierend, vor allem für Fans der Gruppe.

15 Liebesbeweise der französischen Regisseurin Alice Douard zeigt die Schwierigkeiten eines lesbischen Ehepaares mit dem Kinderkriegen. Celine (Ella Rumpf), Tontechnikerin und DJ, erwartet ihr erstes Kind mit ihrer Frau Nadia (Monia Chokri), die das Kind gebären wird. Celine hat durchaus Angst vor der neuen Verantwortung und übt mit der Tochter von Freunden. Aber viel schlimmer ist das französische Recht: um als „Vater“ anerkannt zu werden, muss sie dem Staat mit 15 persönlichen Briefen von Freunden und Familie beweisen, dass sie dem gewachsen ist. Ein Brief ihrer Mutter, einer berühmten Konzertpianistin, würde da sehr helfen. Doch mit der hat sie Probleme und müsste sich erst mal mit ihr vertragen. Ein sympathischer Film über Probleme, die es seit der staatlichen Anerkennung der gleichgeschlechtlichen Ehe eigentlich nicht mehr geben sollte.

No Mercy von Isa Willinger behandelt die Frage, ob Filme von Frauen wirklich die härteren Filme sind. Die Regisseurin, die ein grosser Fan der ukrainischen Filmemacherin Kira Muratova ist, und diese These von ihr mit auf den Weg zur Regisseurin gegeben wurde, macht sich auf verschiedenste Regisseurinnen zu diesem Thema zu interviewen.  Aus den Gesprächen mit Filmemacherinnen wie Ana Lily Amirpour, Catherine Breillat, Virginie Despentes, Alice Diop, Monika Treut,Julia Ducournau, Celine Sciamma oder Nina Menkes. Ergeben die Antworten einen bunten, vielschichtigen Bilderbogen verschiedener Meinungen, der aber immer auch auf die Frage über die Machtverhältnisse im Film heute ist. Und Nina Menkes hat dazu einen eigenen Film gemacht (Sex.Macht.Manipulation – Der männliche Blick im Film), mit dem man ein gutes Doppelprogramm machen könnte. Ein hochinteressanter Film für alle, die sich mit Film beschäftigen.

Von Julia Ducournau, die Filmmaker in Focus war, lief ihr neuer Film Alpha, der wie immer bei ihr ein Mix aus Bodyhorror und feministischer Selbstbestimmung, verquickt mit Fantasyelementen, ist. Alpha (Melissa Boros) ist 13 und lässt sich ein Tattoo stechen. Doch in den 80er Jahren grassiert eine neue Seuche, die durch Blut übertragen wird. Infizierte werden durch das Virus langsam in Marmorstatuen verwandelt. Als sie, die mit ihrer Mutter, einer Krankenschwester (Golshifteh Farahani) zusammenlebt, im Verdacht steht, sich angesteckt zu haben, beginnt in Schule und Umwelt ein Spiessrutenlauf. Als der Bruder ihrer Mutter (Tahar Rahim) bei ihr einzieht, macht das alles nicht einfacher. Tahar Rahim hat sich für die Rolle viele Kilos abgehungert, was ihm gesundheitliche Probleme verschaffte. Der Film, der eine Allegorie auf die Aids-Epidemie ist, ist ungewöhnliches, interessantes Kino, dem durch seine Zeitsprünge allerdings etwas schwer zu folgen ist.

— Tahar Rahim – Alpha
© Mandarin & Compagnie Kallouche Cinema Frakas Productions France 3 Cinéma

Der andere Filmmaker in Focus war der brasilianische Starregisseur Kleber Mendonca Filho. Sein neuer Film The Secret Agent zeigt Polizeiwillkür 1977 während der Militärdiktatur. Der Thriller folgt Marcelo (Wagner Moura, Darstellerpreis in Cannes) auf seiner Reise nach Recife: Dort will er seinen Sohn wiedersehen und Informationen über seine Mutter finden. Doch er wird von Killern verfolgt, angeheuert von einem reichen Mann, dem er in São Paulo in die Quere kam. Der Film nimmt auch Orte in Recife wieder auf, die er in seinem Dokumentarfilm über seine Heimatstadt bereits behandelte (z.B. das Kino, in dem der Onkel arbeitet). Und wie immer widersetzt er sich normalen Sehgewohnheiten. Das ist bereits in der Anfangssequenz mit der liegengelassenen Leiche an der Tankstelle so. Vor allem aber mit der Ermordung von Marcelo. Die wird nicht gezeigt, man erfährt es nur aus der Zeitung. Mit diesem Film unterstreicht Kleber seinen Status als der beste brasilianische Regisseur unserer Tage.

Diamanti von Ferzan Özpetek war ein Riesenhit in den italienischen Kinos. 1974 in Rom. Alberta (Luisa Ranieri) und Gabriella (Jasmine Trinca) sind Schwestern, die eine erfolgreiche Schneiderei betreiben. Der Film zeigt beide und die Angestellten bei den Arbeiten an den Kostümen für einen Historienfilm im 18 Jahrhundert. Aber nicht nur die Probleme mit zwei verschiedenen Führungsstilen, den Sonderwünschen der Kostümbildnerin, die Oscar-gekrönt ist, und dem Regisseur, der vor allem für das Kleid der Hauptdarstellerin andere Vorstellungen hat, werden gezeigt, sondern auch die persönlichen Probleme der Arbeiterinnen. Da fehlt es an Geld, es gibt einen schlagenden Ehemann, der mit Mord droht, oder Probleme mit den Kindern. Der Beginn des Films und einige Momente zwischen der Handlung zeigen den Regisseur und seine Schauspielerinnen bei einem Essen in seinem Haus. Was lange etwas merkwürdig wirkt, erklärt sich am Schluss, wenn er durch die echte Schneiderei geht. Er war der Junge, der inoffiziell in der Werkstatt wohnte. Ein schön anzusehender Film, der zeigt, wie Frauen sich untereinander helfen und damit weibliche Solidarität zeigen.

Mit Made in EU bleibt der bulgarische Regisseur Stephan Komandarev seinem Hauptthema, den sozialkritischen Filmen über sein Heimatland treu. Iva arbeitet in einer Textilfabrik unter ausbeuterischen Bedingungen und näht dort Made in EU-Schilder in die Kleidung. Ihr Bruder ist dort der Supervisor und schikaniert auch sie. Als Corona ausbricht und sie krank wird, wird sie von ihrer Firma und den Medien zum Patient Null stilisiert und als schuldig am Ausbruch in der Stadt gebranntmarkt. Iva wird immer mehr zur Schuldigen gemacht, bis sie nicht mal mehr einkaufen gehen kann und die Firma Schadenersatz verlangt. Wie kann man aus dieser Situation entkommen? Der Film ist ein gutes Lehrstück über Corona Wahnsinn und Auswüchse des Kapitalismus.

Die französische Schauspielerin Hafsia Herzi beschreibt in ihrem vierten Spielfilm als Regisseurin, die Probleme der muslimischen Schülerin Fatima (Nadia Melliti). Sie ist die jüngste Tochter in einer französisch-algerischen Familie und fühlt, dass sie lesbisch ist. In der Schule tut sie alles, damit das keiner merkt, beschimpft sogar einen schwulen Mitschüler. Als sie in Paris zu studieren beginnt, ändert sich ihr Leben. Sie findet lesbische Freundinnen, geht in Clubs und findet in der Krankenschwester Ji-Na schliesslich eine Geliebte. Doch die ist depressiv und die Beziehung zum Scheitern verurteilt. Doch Homosexualität ist im muslimischen Glauben verboten. Was soll sie nun tun? Ein stark gespielter Film zu einem wichtigen Thema.

Der französische Regisseur Cedric Yiminez wird seit seinem Film November immer mehr zum Fachmann für sehr unterhaltsame Krimis über Strafverfolgung. In seinem neuen Film Zone 3, der Schlussfilm in Venedig war, geht er in die Zukunft. Paris ist in drei Zonen eingeteilt, die die sozialen Gruppen in die verschiedenen Zonen einteilen. Man kann eigentlich nur höher rutschen, wenn man bei einer Fernsehshow gewinnt. Die KI Alma ist das Programm, durch die alles bestimmt wird. Als deren Schöpfer umgebracht wird, sollen die zwei Polizisten Salia (Adele Exarchopoulos) aus Zone 2 und der abgehalfterte Cop Zem (Gilles Lellouche) aus Zone 3 ermitteln. Und sie stossen auf ein grosses Geheimnis. Ein Film als Warnung vor künstlicher Intelligenz, der wie eine neue Variante von Filmen wie Terminator oder 2001 ist.

Auch die Dardenne-Brüder, die den diesjährigen Douglas Sirk-Preis gewannen, bleiben sich seit ihrem Anfang treu. Alle ihre Filme sind wie das soziale Gewissen Belgiens, das in Varianten zeigen was im Lande nicht stimmt. Und alle gedreht in ihrem Heimatort. In ihrem neuen Film Jeunes mères – Junge Mütter (Gewinner des Drehbuchpreises in Cannes) gibt es fünf Geschichten über Teenager-Mütter, die alle im selben Wohnheim wohnen. Die Geschichte jeder Mutter ist episodisch verschieden, aber auch gleich, wenn es um Armut, familiäre Probleme und gesellschaftliche Ächtung geht. Dass sich die jeweiligen Probleme von Generation zu Generation immer wieder wiederholen, wird ebenso klar. Einen Dardenne-Film erkennt man immer und ihre Filme bleiben immer wichtig und stark.

Amrum von Fatih Akin
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Es gab auch einige gute deutsche Filme zu entdecken. Amrum ist ein Hark Bohm-Film von Fatih Akin. Hark Bohm wollte seinen autobiografischen Roman über seine Kindheit verfilmen, konnte das aus gesundheitlichen Gründen aber nicht tun und bat seinen Freund Fatih Akin, die Regie zu übernehmen. Auf Amrum im Frühjahr 1945. Den meisten ist klar, dass der Krieg verloren ist. Der Hass auf ankommende Flüchtlinge ist gross. Ist das Leben und die Lebensmittelbeschaffung nicht einfach. Man fängt nachts Robben oder fischt, auf den Äckern wird geschuftet. Dinge wie Zucker sind Mangelware. Janning (aka Hark), eine Entdeckung: Jasper Billerbeck, versucht zu helfen, wo er kann. Er lebt mit seiner Mutter Hille (Laura Tonke) und seiner Tante (Lisa Hagmeister) zusammen. Als die fanatische Hitler-Anhängerin Hille das Essen verweigert, will er ihr ein Honigbrot beschaffen. Doch das ist nicht so einfach. Und nach dem Zusammenbruch des Dritten Reichs will keiner mehr etwas mit ihr zu tun haben. Eine gute Mischung von gut bebildertem Inselleben und dem Innenleben des Jungen, auch mit Gaststars wie Diane Krüger und Detlev Buck.

Der neue Film von Julian Radlmaier Sehnsucht in Sangerhausen zeigt den Ort im Harz im Wandel der Zeiten. Ursula (Clara Schwinning) ist eine Kellnerin aus Ostdeutschland, die gerade von ihrem Freund sitzengelassen wurde. Sie lernt in ihrem Café eine Frau (Henriette Confurius) kennen, der sie den Ort zeigt und sich mit ihr verabredet. Aber auch sie lässt sie sitzen. Da ist der ausländische Touristenfahrer, der sein Auto verkaufen will, aber noch eine letzte Tour mit Neda (Meral Keshavarz) macht, die einen Film für YouTube mit den Sehenswürdigkeiten der Gegend drehen will und einen gebrochenen Arm hat. Mit an Bord ist sein Sohn und die Orte, die er zeigt, haben eigentlich nichts mit normalen Touristenzielen zu tun. Ursula, die das Auto eines Nachbarn geklaut hat, um zur Burg, dem vermeintlichen Ziel ihrer Bekanntschaft, zu kommen, trifft unterwegs auf die Anderen. Als alle von der Polizei verfolgt werden, geht es schliesslich auf eine Gespensterjagd in den Bergen. Was sich recht absurd anhört, ist eine sehr unterhaltsame Geschichte, die zwar Radlmaiers immer vorhandene Kultur- und Kapitalismuskritik im Hintergrund hat, aber diesmal sehr viel angenehmer anzusehen ist.

In Als wäre es leicht von Milan Skrobanek treffen die Gehörlose Kati (Cindy Klink) und der Blinde Florian (David Knors) aufeinander. Als er vom Jobcenter gezwungen wird, bei den Gehörlosen im Verein mitzuhelfen, geht zunächst alles schief. Und doch verlieben sich beide ineinander. Doch im Lauf der Zeit haben beide immer mehr Mühe, den anderen wirklich zu verstehen. So will Kati auf keinen Fall eine Hörhilfe, was weder ihre Eltern (Marion Kracht, Joachim Raaf) noch Florian verstehen. So kommt es zur Trennung. Werden sich beide noch zusammenraufen können? Ein sympathischer Film, der zeigt, dass Behinderte leben wollen, wie alle anderen und genau wie diese auch ihren eigenen Kopf haben. Und wie Liebe alles besiegen kann, wenn man sich nur Mühe gibt.

Fast alle besprochenen Filme werden in Deutschland ins Kino kommen.

Bei der hohen Qualität des diesjährigen Programms kann man sich schon auf das nächste Festival vom 24.9. bis 3.10.2026 freuen.

Harald Ringel, Hamburg

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Harald Ringel

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