Schweigen als Strategie – Bei den Oberhausener Kurzfilmtage 2025 bleiben viele Fragen offen
Es war eine merkwürdige Festival-Edition. Man erinnere sich: vor einem Jahr gingen die Oberhausener Filmtage in die wohl schwerste Krise ihrer Geschichte. Nachdem der Festivalleiter Lars Henrik Gass zur Solidarität mit Israel, sowie zur Teilnahme an einer Demonstration gegen die „Hamas Freunde“ aufgerufen hatte, als Antwort auf – Gass nach „antisemitische“ – pro-palästinensische Manifestationen Tage zuvor, zu einem Zeitpunkt, wo die israelisch militärische Auslöschungsstrategie (nicht nur) des Gazastreifens unter Missachtung aller internationaler Gesetze zum Schutz der zivilen Bevölkerung sich bereits klar abzeichneten, zogen fast alle Filmemacher und Verleiher der arabischen Welt ihre Beiträge aus Oberhausen zurück. Monate darauf verliess der Festivalleiter seinen Posten. Es gibt mehrere Varianten für dessen Gründe und Hintergrundsgründe. Die offizielle ist vielleicht die uninteressanteste.
Der Posten der Festivalleitung wurde nicht öffentlich ausgeschrieben, sondern hausintern mit zwei Mitarbeiterinnen, Madeleine Bernstorff und Susannah Pollheim, über zwei Jahre hinweg neu besetzt. Nun erhoffte man sich von der Eröffnungsveranstaltung Klarheit darüber, was unternommen worden sei, um den Dialog mit der arabischen Welt wieder vermittelnd in Gang zu setzen. Es wäre an der Zeit gewesen, die von Gass mehrfach artikulierte Charakterisierung der Proteste und Manifestationen gegen die aktuelle israelische Regierung, die – man mag es nicht vergessen – auch in Israel selbst sich artikulieren, als antisemitisch, öffentlich zu korrigieren.
Doch keine einzige Bemerkung ging in diese Richtung, wie auch zu keinem anderen politisch-kulturellen oder lokal-politischen Thema. Ein erstaunliches Faktum eines Festival unserer wahrhaft konfliktdurchtränkten Welt, das sich immer wieder als politisch relevant und dialogbereit in den Festreden feiern lässt. Man konnte dem ehemaligen Festivalleiter vieles vorwerfen, auch aus den eigenen Reihen, doch sprachlos blieb er nie. Im Gegenteil wagte er permanent, kulturpolitische Entscheidungen in durchaus provokanter und amüsanter Weise in Frage zu stellen.
So verlief diese Eröffnung als eine lange Reihe von „Danke Schöns“ an alle verbliebenen Partner, Helfer und Geldgeber. Filme der arabischen Welt fand man erneut nicht im Festivalprogramm. Auch fehlten Beiträge oder auch nur filmische Reflexionen zur Situation in Gaza oder im Libanon. Bedauerlich ist auch, das in den thematischen Seiten-Programmen aktuelle Themen zur Situation von Filmemachern in aller Welt, die marginalisiert, fern jeder Filmförderung, kaum Sichtbarkeit erlangen können und oftmals politischer Oppression ausgesetzt sind, erneut ganz fehlten. Diese Filmemacher riskieren viel, um ihre Wirklichkeiten transparent zu machen und der Weltöffentlichkeit, zumeist ohne jedes kommerzielle Interesse, zur Verfügung zu stellen. Dagegen wendete man sich in Oberhausen in den letzten Jahren oftmals technologischen (Flatscreen etc.) oder historischen Themen zu, wie in dieser Edition, in einer Art Selbstbespiegelung, der Geschichte des Oberhausener Festivals hinsichtlich seiner Beziehungen zur ehemaligen DDR-Filmszene, eine Geschichte der Akzeptanz und Ausschliessung. Auch werden Filmverleihern seit Jahren Programmplätze für ihre leihgebührpflichtigen Arbeiten eingeräumt.
© Mikhail Zheleznikov
Wenden wir uns lieber einigen preisgekrönten Filmen zu. Mit dem Hauptpreis der internationalen Jury gekrönt wurde Mikhail Zheleznikov (*1972, Leningrad) Film The Palace Sq∞are (org. Dvorts∞vaya). Er schafft ein Werk über die Absurdität der Machtpolitik und dessen Inszenierung. Nach einer schwebenden Fahrradumkreisung des zu diesem Zeitpunkt fast leeren Palastplatzes (der ehemalige Petersplatz) in Sankt Petersburg schöpfte Zheleznikov aus einer Fülle von Archivmaterialien, um hier statthabende Massenaufläufe und Deklarationen über ein Jahrhundert hinweg zu dokumentieren. Da er sich für eine nicht-chronologische Aneinanderreihung der Manifestationen entscheidet, dechiffriert sein Werk die Inkonsistenz und Willkürlichkeit der offiziellen Machtpolitik, die andere Machtblöcke in wechselhaftem Spiel zu Feinden und Freunden erklärt. Machtpolitik erscheint als willkürliches, gewaltdurchtränktes Agieren, wie es grad gefällt. Mikhail Zheleznikov integriert auch Bildes des Protestes, selbst Versuche das Podium zu stürmen, samt deren Niederschlagung. Ist heute – diese Frage dringt sich auf – überhaupt noch eine von der „Strasse“ ausgehende Revolution denkbar? Zunehmend perfektionierte Überwachungstechnologien und militärisches Instrumentarium lassen daran zweifeln, gewiss nicht nur auf dem Palastplatz.
Im NRW-Wettbewerb (der lokalen Region Nordrhein-Westfalen) fielen zwei Beiträge auf. Bernard Mescherowsky thematisiert in seinem Werk ghosting mother die Beziehung zu seiner Mutter, derer inneren Welt, Gedanken und Wünsche er nie kennengelernt hat. Das Rollenspiel zwischen Eltern und Kindern limitiert oftmals einen wirklichen Dialog. Angesichts des Todes der Mutter wird diese erlebte Barriere zur endgültigen. Die an einem bestimmten Baum ausgestreute Asche der Mutter fällt bald der Abholzung der ganzen Waldpartie zum Opfer. Mehrfach setzt Mescherowsky sein Filmmaterial destruktiven Zufallsprozessen aus, wie der Überdosierung der Entwicklungsflüssigkeit und zufälligem Lichteinfall während der Entwicklung. Das Resultat dieses nur fragmentarischen preisgebenden Filmmaterials einer intimen Erzählung, die den mehrfachen Verlust und das Uneinholbare spürbar werden lassen, ist derart überzeugend, dass Mescherowskys eine lobende Erwähnung der Jury des NRW-Wettbewerbs zugesprochen wurde.
Todesreflexionen und Eingedenken des Verlustes politischer Utopien sind Thema im ebenfalls im NRW-Wettbewerb gezeigten experimentellen Dokumentarfilms Thinking From The End (org. Vom Ende her gedacht) des Filmemachers Tom Briele. Hier resümieren und reflektieren mittlerweile verstorbene, einst kulturell hochaktive Freunde und Kollegen, bereits gezeichnet von schweren Erkrankungen, ihre verlorenen Hoffnungen auf eine global bessere Zukunft, die heute so illusionistisch erscheinen. In Interferenz zu ihren ohne Bedauern, selbstbewusst und selbstkritisch eingefangenen Kommentaren wird der materielle Abriss einiger signifikanter Teile ihrer Lebensumgebung eingeblendet. Grosse Kohleindustrieanlagen, vor allem deren Werktürme, werden, teils unter Beifall, teils mit Trauer begleitet, gesprengt. Die Ära des industriellen Ruhrgebiets geht ihrem Ende entgegen. In dem Tumult des aufsteigenden Rauches sucht auch der Filmemacher Briele nach neuer Orientierung. Wo die Kulissen des alltäglichen Lebens wegbrechen, werden Sinnfragen besonders virulent. Brieles filmisch dichte Form-Inhalt-Symbiose bietet ein reiches Reflexionspotenzial zum Stand der Dinge.
Im internationalen Wettbewerb gibt die seit 20 Jahren in Oberhausen vielfach präsente Filmbeiträgerin und zeitweise auch als Teammitglied engagierte Sylvia Schedelbauer in Mother’s Letter (org. Haha no tegami) ihrer Mutter das Wort, um ihren schwierigen Weg der Befreiung aus traditionellen Zwängen der japanischen Gesellschaft zu beschreiben, alles riskierend, mittellos, anfangs an der Hungergrenze existierend, schafft diese starke Frau nach der Flucht vor einer Zwangsehe und der konsequent folgenden eingeschränkten Existenz ihren Weg in eine selbstbestimmte Unabhängigkeit. Mehrfach mahnt die Entbehrungen durchlaufen habende Frau ihrer Tochter, den materiellen Aspekt ihres Daseins nie aus den Augen zu verlieren. Der Film wählt die Form einer Antwort der Mutter auf den Brief ihrer Tochter. Reiche Archivmaterialien fügen sich zu einem kurzen, intensiven Porträt einer bodenständigen, mutigen Frau, in das historische Panoramen und intime Empfindungen gleichzeitig einfliessen. Schedelbauer lässt auch vorsichtig Konflikte mit den Lebensweisungen ihrer Mutter anklingen. Doch ihr jetziger Film ist vor allem ein Zeugnis der Würdigung und… Liebe.
© Sylvia Schedelbauer
Die Konsequenzen der Corona-Erkrankungen haben für viele Menschen nie ein Ende gefunden. Davon zeugt Stella Traubs dokumentarisches Werk Swan Lake (org. Schwanensee). Sie beschreibt ein Leben, in dem man sich auf maximal zwei Aktionen pro Tag aus Gründen andauernder Erschöpfung beschränken muss, in dem jedoch die erzwungenen Einschränkungen auch alle Sinne aktivieren zur Feier der kleinen Momente und Beobachtungen, vor allem der Natur, wie ein gleitender Schwan in einem Teich. Das Werk macht den andauernden Schock nachvollziehbar, zu erfahren, dass alles, was Tags zuvor noch normal und nicht einmal bewusst wahrgenommen worden ist, plötzlich zu einem nicht mehr erreichbaren Paradies geworden ist.
Im internationalen Wettbewerb sei Elena Kuleshs Werk Crumb (org. Myakish) hervorgehoben, eine intensive Studie des Lebens elternloser, oftmals auch mental eingeschränkter Jugendlichen in einer russischen Erziehungsanstalt, wo sie versuchen, eine eigene Identität und Lebensorientierung zu finden. Die Fragen, die sie sich unter sich stellen, berühren. Vor allem erfasst Kulesh jedoch ihre oftmalige Hilflosigkeit in Nahansicht, ihre Suche nach Bestätigung in ihrer nahen Umgebung. Die narrative Ebene, eine glücklose Verliebtheit, wird durch eine dokumentarische Präzision potenzialisiert, die die glücklosen, kargen Lebensumstände dieser Jugendlichen spürbar werden lassen. Das Werk wurde mit dem ersten Preis der Jury des Ministeriums für Kultur und Wissenschaft des Landes Nordrhein-Westfalen geehrt.
Der höchstdotierte Hauptpreis der Stadt Oberhausen ging an Jailoogo Karay: Werk Long Way to the Pasture (org. Uzak Jol) des Regisseurs Ilgiz-Sherniiaz Tursunbek uulu. Er begleitete in diesem 24-minütigen Werk eine Hirtenfamilie in Kirgisistan während ihrer harschen Arbeit auf dem Weg zu den Sommerweiden, während dessen Tiere und Menschen über Wochen hinweg allen herausfordernden Bedingungen trotzten. Dauerregen, Flussdurchquerungen, verendete Tiere und Nächtigungen auf gefrorenem Grund zeichnen ihren Alltag aus. Es ist ein kathartischer Film für das in bequemen Sesseln sitzende Festivalpublikum. Auf einem puristischen Dokumentarfilmfestival hätte dieses Werk sicherlich seinen richtigen Ort gefunden.
Bei der Preisverkündigung der Hauptjury klangen Spannungen zwischen den „starken Jury-Charakteren“ an, bevor man sich zu den finalen Entscheidungen durchringen konnte. Allerdings kam ein Jurymitglied, die schwedisch-US-amerikanische Filmemacherin Susanna Wallin, erst gar nicht auf die Bühne. Nach der offiziellen Zeremonie sah man sie immer noch unter Schock über ihre Juryerfahrung auf der Abschlussparty.
Dieter Wieczorek, Oberhausen
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