44. Filmfestival Kairo als traditionelle Leistungsschau der lebendigen arabischen Filmszene
Mit ihren glanzvollen Kleidern würden die Damen auch auf den Roten Teppichen von Cannes oder bei den Oscars eine gute Figur machen. Zur Eröffnung des Festivals mit Steven Spielbergs The Fabelmans traf sich die Prominenz der ägyptischen Hauptstadt in der festlich angeleuchteten Oper im Zentrum der Stadt. An den folgenden Tagen sah das Bekleidungsbild im Publikum schon etwas anders aus. Kaum eine Frau hatte ihr Haar nicht verhüllt. In den Filmen spielt die in Europa viel diskutierten Kleidungsstücke keine Rolle, wenn es um die Gleichberechtigung der Frau geht.
So auch in Houria von Mounia Meddour, eine der wenigen Frauen, die ihre neuen Filme im internationalen Wettbewerb und der „Horizons of Arab Cinema Competition“ vorstellten. Die Algerierin stellt die selbstbewusste Ballerina Houria ins Zentrum ihres komplexen Dramas. Trotz Theaterengagements in einem Hotel muss sie als Zimmermädchen jobben. Um ihrer Mutter ein Auto zu finanzieren, wettet sie in dunklen Ecken der Hauptstadt auf Ziegenböcke. Als sie ihren Gewinn einstreicht, verfolgt sie der Eigner des unterlegenen Tieres und schlägt sie nieder. Houria wird schwer verletzt und verliert ihre Sprache. Mühsam kämpft sie sich mit Hilfe einer Gruppe von Frauen ins Leben zurück, die ähnliche Erfahrungen mit männlicher Gewalt machten – als Opfer häuslicher Übergriffe, von terroristischen Attacken oder Entführungen. Im gemeinsamen Tanz geben sie sich Halt und Hoffnung. Alle machten ähnliche Erfahrungen wie die junge Tänzerin. Die Täter werden nie gefasst oder verfolgt. Polizei und Staatsanwaltschaft haben kein Interesse.
Über allem steht aber die Frage, in der korrumpierten Gesellschaft bleiben oder gehen, wie ihre beste Freundin, die von einer Zukunft in Spanien träumt. Zum Bleiben entschlossen sind dagegen die fünf Teenager im Drama Alam, der im Spielfilmwettbewerb den Hauptpreis, die Goldene Pyramide, abräumte. Bei seinem Langfilmdebüt bleibt Regisseur Firas Khoury sehr dicht an den Gefühlen einer Clique palästinensischer Teenager aus dem israelischen Haifa dran. Der geheime Wunsch der Jungen, gegen die israelischen Machthaber zu rebellieren, erhält durch eine neue Mitschülerin Aufschwung, die bereits von mehreren Schulen flog. Die Gruppe will die israelische Fahne vom Dach ihrer Schule herunterholen und dafür die palästinensische Flagge hissen. Die Gefahr, ihre berufliche Zukunft zu verspielen, ist ihnen ebenso wie die ständigen Ermahnungen der Eltern, egal.
Alam-Hauptdarsteller Mahmoud Bakri teilte sich den Preis für die beste schauspielerische Leistung mit Maher Elkheir aus The Dam des libanesischen Actionskünstlers Ali Cherri, Fünf Jahre hat er an diesem Film gearbeitet, er hat dafür lange im Sudan gelebt und ist tief in die Kultur eingetaucht.
Die metaphorische Geschichte führt zum gigantischen Staudammprojekt am Nil, durch das das arme Land seine Energieversorgung sichern will. Der Film wurde vor Ort gedreht und beginnt beinahe dokumentarisch. Maher ist einer aus einer Gruppe schlecht bezahlter Arbeiter, die auf traditionelle Weise Ziegel aus dem Nilschlamm formen, die sie in der Sonne trocknen lassen. Jeden Tag fährt Maher in die Wüste, um aus Lehm und Wasser eine Art Golem zu bauen. In der prallen Sonne könnte die Figur problemlos überleben. Bei den ersten Tropfen beginnt sie jedoch zu bröckeln und wird zum Symbol für die Zerstörung der traditionellen Lebensweise der Menschen. Denn, so Cherri im Gespräch, das gesamte Mikroklima des Gebietes ändere sich mit dem Bau.
An Kameramann Mostafa Elkashef des ägyptischen Films 19B von Ahmad Abdalla vergab die Jury unter Vorsitz der japanischen Regisseurin Naomi Kawase den Henry Barakat Award for Best Artistic Contribution. Abdallah filmte in seiner Heimatstadt Kairo in einer alten Villa, die langsam verfällt. Die Eigner scheren sich nicht um das Haus, ein riesiges Problem in Kairo. Trotzdem wird der Hausmeister jeden Monat pünktlich bezahlt. Er hat sich hier mit Hunden und Katzen häuslich eingerichtet. Seine Idylle ist durch die mit den Neubauten in der Umgebung einsetzende Gentrifizierung und ein paar Halbkriminelle bedroht, die auf der Strasse den Parkverkehr für die neuen, vermögenden Nachbarn regeln sollen. Die Männer werden von Tag zu Tag übergriffiger, lagern ihre Schmuggelware bei dem Alten und bedrohen ihn. Für Abdallah ist es nicht nur ein Film über Gentrifizierung, sondern vor allem um die Frage, warum Menschen nicht friedlich miteinander leben können. Im Kleinen wie im Grossen.
Die beiden Frauen im Film, die Tochter des Alten und eine Ärztin, verhüllen ihre Haare nicht. Der tunesische Altmeister Rahdi Behi, mittlerweile 75 Jahre alt, führt in seinem neunten Spielfilm The Island of Forgivness ins Djerba der 1950er Jahre. Wie alle seine Filme hat das Drama autobiographische Züge. Er wuchs in einer Gemeinschaft auf, in der viele Religionen friedlich miteinander lebten. Sein Vater, strenggläubiger Muslim und Koranlehrer, habe auch an christlichen Schulen gelehrt. Das Zerbrechen dieser toleranten Atmosphäre durch den beginnenden Unabhängigkeitskampf und die Repressionen der Franzosen beschreibt er aus der Sicht eines Jungen aus der italienischen Community. Der Halbwüchsige beobachtet, wie die Religionszugehörigkeit die Nachbarn entzweit. Seine Familie, vor gut 100 Jahren aus Italien eingewandert, überlegt in die alte Heimat zurückzukehren. Die Franzosen hätten damals diese Konflikte geschürt. Jetzt fürchtet Behi, dass in Tunesien die Fortschritte der vergangenen Jahrzehnte wieder zunichte gemacht werden.
Katharina Dockhorn, Cairo
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