Berlinale 2024 – Generation; Von Krankheiten und Geistern der Vergangenheit
Generation besteht in diesem Jahr aus 8 Filmen für Kinder (K+) und 9 Filmen für Jugendliche (14+). Dies sind deutlich weniger Filme als in den Vorjahren, aber auch diesmal ist nicht bei allen Filmen klar, warum sie nicht eher ins Forum oder Panorama gepasst hätten.
Eröffnet wird 14+ mit dem englischen Drama Last Swim. Der Musikvideoregisseur Sasha Nathwani, der vorher nur einen Kurzfilm drehte, erzählt die Geschichte von Ziba (Deba Hekmat), einem intelligenten Mädchen iranischer Abstammung mit guten Noten, die ihren Traum Astrologie zu studieren wahr machen möchte. Und das Vorstellungsgespräch an der Universität lief erfolgreich. Doch sie hat Angst, dass daraus nichts mehr wird. Ihr Arzt hat eine schwere Krankheit bei ihr diagnostiziert, die oft schnell tödlich verläuft. Auch die Operation, die sie möglichst sofort machen soll, hat ein hohes Sterberisiko. Sie trotzt ihrer Mutter einen Tag mit ihren Freunden ab, die selber alle Probleme haben, um sich ein seltenes Himmelsereignis anzusehen. Zuvor ziehen sie In London herum, trinken, essen und haben Spaß. Doch über allem schwebt für sie der Plan eines selbstbestimmten Endes am Ende des Tages. Der Film schafft es, die Ängste und Hoffnungslosigkeit gut einzufangen und bietet einen überraschenden Schluss. Die jungen Schauspieler machen ihre Sache gut und zeigen mal nicht das typische Abziehbild von Jugendlichen auf einem Roadtrip. Und ganz nebenbei fängt die Kamera (Olan Collardy) gute Bilder aus London ein, auch mit Orten, die man sonst nicht in Filmen mit Drehort London sieht.
Krank sind auch die Mädchen in Carlo Sironis Film Quell’estate con Irene (My summer with Irene). Der Regisseur, der 2019 mit Sole Ruhm in Venedig einheimste, erzählt von Irene (Frankreichs Jungstar Noee Abita) und Clara (Maria Camilla Brandenburg). Es ist 1997 und die beiden Siebzehnjährigen sind auf einer Ferienverschickung, wo sie mit anderen Patientinnen einer Krebsklinik Urlaub machen. Aus der schüchternen Clara und der unternehmungslustigen Irene werden schnell Freundinnen, die alles zusammen machen. Als sie nach Hause zurückkehren sollen, setzen sich auf eine Insel an der Küste Siziliens ab. Dort wollen sie als junge Frauen einen normalen Urlaub verbringen, mit allem was man als Siebzehnjährige so macht. Sie träumen, lieben, leben in den Tag hinein. Aber natürlich holen sie die Gedanken an die Krankheit und die Angst vor der Zukunft immer wieder ein. Die beiden Schauspielerinnen glänzen mit ihrem Spiel des Alltäglichen und haben für ihre Rollen sichtlich abgenommen, um nicht zu gesund auszusehen. Ein starker Film, in dem aber nur alltägliches passiert. Wenn man sich als Zuschauer darauf einlässt, erhält man als Lohn einen bewegenden Film.
Huling Palabas von Ryan Machado führt auf die Philippinen. Der 16 jährige Andoy (Shun Mark Gomez) ist grosser Filmfan. Mit seinem besten Freund Pido (Bon Andrew Lentejas) sieht er sich VHS-Kassetten an und erfindet dazu jeweils eigene Geschichten. Für die teureren VCDs reicht das Geld nicht. Und seinen Vater hat er auch immer noch nicht gefunden. Doch da sind auch noch andere Gefühle für seinen Freund. Als er die transsexuelle Friseuse Ariel kennenlernt und ein immer offener agierender schwuler Lehrer sich mit ihm befreundet, driftet der Junge immer mehr in eine für ihn neue Welt. Doch sein Freund Pido fühlt sich langsam vernachlässigt. Die Geschichte vor exotischer Kulisse zeigt das Finden und Annehmen von Homosexualität, aber auch die damit verbundenen Probleme und die Frage, inwieweit Freundschaft über allem steht. Und muss man dem Geist des Vaters nachhängen oder sollte man einfach loslassen.
Disco Afrika: une histoire malgache (Disko Afrika: A Malagasy Story) von Luck Razanajoana ist eine afrikanische Produktion mit Beteiligung von Frankreich und Deutschland. Kwame (Parista Sambo) schürft in geheimen Minen in Madagaskars Inland nach Saphiren. Als Milizen seinen Freund erschiessen, überführt er diesen nach Hause und kehrt zu seiner Mutter zurück. Viel verdient hat er dabei ohnehin nicht. Doch zu Hause erwartet ihn nicht viel. Das Land ächzt unter der überall herrschenden Korruption und auf ehrliche Weise Geld zu verdienen ist schwer. Um für sich und seine Mutter sorgen zu können und nicht selber Krimineller zu werden, verdingt er sich als Spitzel für einen Polizisten. Doch das ist gefährlich. Der Film verbindet eine gute Geschichte mit den Überbleibseln des Kolonialismus und der Geschichte des Widerstands, die in den 70er Jahren ihre Blütezeit hatte. Und zeigt, wie übel der Zustand in afrikanischen Ländern auch heute noch ist.
Der neue Film des kanadischen Regisseurs Philippe Lesage (The Demons, Genesis) Comme le feu (Who by Fire) führt tief in die kanadischen Wälder. Der Erfolgsregisseur Albert (Paul Ahmarani) fährt auf einen Kurzurlaub mit seinen zwei Kindern und deren Freund Jeff zur versteckten Luxushütte seines einstigen Partners Blake (Arieh Worthalter). Doch sehr schnell wird klar, dass sich beide nicht mehr viel zu sagen haben. Albert macht jetzt Serien, was er früher immer verpönt hatte, Blake ist immer noch sauer, dass Albert ihn und seine intellektuellen Filme verlassen hatte. Dazu stossen eine Starschauspielerin (Irene Jacob) und deren Mann (Laurent Lucas) aus Frankreich. Und auch unter den Kindern rumort es: Jeff ist verliebt in Aliocha, die Schwester seines Freundes Max. Doch Aliocha steht mehr auf den ehemaligen Partner ihres Vaters und Max fragt sich, ob Josh nur wegen seiner Schwester mitgekommen ist und eigentlich gar nichts mit ihm unternehmen will. Der 161 Minuten lange Filme kommt einem über weite Strecken wie die Verfilmung eines Theaterstücks vor, mit wenigen Szenen ausserhalb des Hauses uns sehr viel Dialogen. Und ist der einzige Film im Programm mit bekannten Schauspielern. Ein Film für Freunde dialogreicher Szenen. Fraglich ist jedoch, was Jugendliche davon halten werden.
[Hier die Kritik von Comme le feu von Firouz E. Pillet, auf Französisch]
Harald Ringel, Berlin
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