Berlinale 2025 – Panorama: Hildegard Knef, eine taube Mutter und ein Baby wie bei Rosemarie
Nach dem schwachen Jahrgang 24, hat das Panorama in diesem Jahr wieder zu alter Kraft zurückgefunden. Mit einer Mixtur aus interessanten Dokumentarfilmen, queerer Filme, die für die Teddyawards wichtig waren und guter Spielfilme mit einer hohen Quote an Genrefilmen war das Programm in diesem Jahr so unterhaltsam wie selten zuvor.
© Privatarchiv Hildegard Knef
Ein Höhepunkt war der Dokumentarfilm Ich will alles.Hildegard Knef der Regisseurin Luzia Schmid. Der Film erzählt den Lebenslauf dieser faszinierenden Sängerin, Schauspielerin und Autorin von ihrer Kindheit im Krieg, den Jahren danach als junger Schauspielerin, die einen Skandal mit einer kurzen Nacktszene im Film Die Sünderin verursachte, nach Hollywood ging, dort aber Jahre lang mit einem Exklusivvertrag nur tatenlos herumsass, weil sie kaum eingesetzt wurde. Zurück in Deutschland machte sie, wie sie selber sagte, Filme mit grossen Regisseuren, denen man schlechte Filme nicht zugetraut hätte, dann aber den schlechten Film mit ihr machten. Ihre Hochzeit mit dem englischen Schauspieler David Cameron, die zur Scheidung führte, als er nicht mehr nur ihre Karriere betreute, sondern als Regisseur auch alleine arbeitete, ihre Krebserkrankung, viele Operationen und Konzerte und gute Filme, die sie später drehte. Dies alles sieht man vor allem durch die vielen Interviews, die sie in ihrem Leben führte und mit Aussagen von ihrer Tochter Christina und ihrem zweiten Ehemann Paul von Schell, mit dem sie ein neues Glück fand. Und immer sagte sie alles ehrlich frei heraus und schrieb so auch ihre Bestsellerbücher. Der Film verdeutlicht, wie sehr sie ihr Leben in der Öffentlichkeit lebte, wie wenig sie es aber eigentlich mochte. Auch zu Konzerten musste sie sich mental erst zwingen. Wie man den Gesprächen mit ihrer Tochter entnehmen kann, war sie aber auch eine sehr schwierige Person, die nicht mehr von ihrer Tablettensucht loskam. Ein starker Film über eine interessante Person mit vielen künstlerischen Talenten, die auch eine Ikone für die Frauen war und vor keinem Tabu zurückschreckte. Auch als sie als alternde Schauspielerin nach ihren vielen schweren Operationen freiwillig eine Schönheitsoperation machte, ging sie damit offensiv um. Schliesslich wollte sie weiter gut im Geschäft bleiben. Ein Film, der Lust macht mal wieder Lieder von ihr zu hören, in denen sie meist ihr eigenes Leben reflektierte. Der Film startet in Deutschland am 3.4. im Kino.
Der Spielfilm-Publikumsgewinner wurde der spanische Film Sorda (Deaf) von Eva Libertad. Angela ist gehörlos und glücklich mit ihrem Lebensgefährten Hector, der hören kann. Sie hat Schwierigkeiten mit ihrer Hörhilfe, was man bei den verzerrten Klangbildern gut nachvollziehen kann. Als sie schwanger wird, haben beide Angst, dass das Kind auch taub werden wird. Doch das Kind kann hören. Was eigentlich sehr schön ist, stürzt sie in eine Krise und auch ihre Beziehung steht vor dem Zerbrechen. Sie führt sich zunehmend isoliert und von Freund und Kind nicht mehr wahrgenommen. Es dauert lange, bis sie gelernt hat, ihr Kind in einer Welt grosszuziehen, wo alle anderen hören können. Ein Film, der die Probleme von Gehörlosen fühlbar macht und mit Miriam Garlo eine starke Schauspielerin in der Rolle der Angela hat.
Eröffnet wurde das Panorama in diesem Jahr mit Welcome Home Baby, einem Horrorfilm des österreichischen Regisseurs Andreas Prochaska. Der Film ist so etwas wie die deutschsprachige Dorfvariante von Polanskis Rosemarie Baby. Als der Vater stirbt, erbt die Berliner Notärztin Judith (Julia Franz Richter) das Haus ihrer Familie, die sie als Kind weggegeben hat. Als sie mit ihrem Freund im Ort ankommt, scheint sie jeder zu kennen und die Bevölkerung geht davon aus, dass sie die Praxis ihres Vaters übernehmen wird. Eigentlich will sie nur schnell den Verkauf des Hauses regeln, merkt aber bald, dass sie nicht wirklich wieder wegkommt. Ihr Freund, ein Fotograf, der nur noch merkwürdig verzerrte Fotos machen kann, will plötzlich nicht mehr weg und beginnt sich merkwürdig zu verhalten. Als sie einige Tage verschlafen hat, ist sie plötzlich schwanger. Sie beginnt Albträume zu bekommen, die alle in ihre Vergangenheit führen und das Geheimnis ihrer Mutter lüften. Der Film schafft es eine unheimliche Atmosphäre zu schaffen und variiert sein Vorbild gekonnt.
Den stygge stesosteren (The ugly stepsister) der Norwegerin Emilie Blichfeldt stellt das Märchen vom Aschenputtel gehörig auf den Kopf und vermischt die Geschichte mit einer gehörigen Portion Body-Horror. Elvira (Lea Myren) kommt mit ihrer Schwester und deren Mutter ( Zdf-Sonntagskrimistar Ane Dahl Torp) in das Schloss ihres neuen Stiefvaters. Sie verschlingt Bücher von einem Prinzen, den sie unbedingt heiraten will. Als der Stiefvater stirbt, müssen sie mit dessen Tochter, einem schönen, blonden Mädchen klarkommen. Die treibt wild mit dem Stallburschen. Als der Prinz zum Ball für das Finden seiner zukünftigen Frau lädt, gehen alle hin und die schöne Tochter muss um Mitternacht gehen und verliert ihren Schuh. Das Märchen mit seinen umgekehrten Rollen spart nicht an blutigen Szenen und zeigt immer wieder Bilder des mit Würmern verwesenden Stiefvaters. Ein Film für Horror- und Märchenfreunde, die etwas ungewöhnlicheren Ideen offen gegenüberstehen. Der Film kommt im Sommer in die deutschen Kinos.
In Huem kaere Hjem (Home Sweet Home) zeigt der dänische Regisseur Frelle Petersen die Geschichte einer normalen Pflegekraft. Sofie (Jette Sandergaard), geschieden und mit einer Tochter, beginnt eine neue Arbeit als mobile Seniorenpflegerin. Anfangs noch mitfühlend und enthusiastisch unterliegt sie immer mehr dem Stress mit Zeitdruck, meckernden Angehörigen und störrischen Patienten und den fehlenden Kollegen. Schliesslich leidet auch die Beziehung zu ihrer Tochter immer mehr und sie beginnt in die Depression abzurutschen. Eine sehr realistische Geschichte, die überall spielen könnte. Ein sehr ähnlicher Film war der Schweizer Film Heldin von Petra Volpe, der im Special lief.
L’Incroyable femme des neiges (The Incredible Snow Woman) ist der neue Film des französischen Autors und Regisseurs Sebastien Betbeder. Coline Morel (Blanche Gardin) ist Forscherin auf der Suche nach dem Yeti und schreckt vor nichts zurück. Sie reist alleine durch Grönland und kämpft auch mal mit einem Bären. Sie kehrt plötzlich zu ihren Brüdern (Philippe Katherine, Bastien Bouillon) in ein kleines französisches Bergdorf zurück. Die Brüder, die Jahre nichts von ihr gehört haben, sind von ihrem Verhalten irritiert, vor allem als sie versucht ihren alten Freund wiederzubekommen, der aber nicht will und mit Tochter verheiratet ist. Als sie morgens in die Berge aufbricht, ist sie verschollen und gilt als tot. Jahre später werden die Brüder nach Grönland geholt, wo sie inzwischen wieder lebt und sterben will, denn sie ist unheilbar krank. Ein typischer Betbeder-Film mit guten Schauspielern, schrägen Ideen und einer Art selbstbestimmten Sterbens, die sehr interessant ist.
© Envie de Tempête Productions
1001 Frames von Mehrnoush Alia ist eine iranisch-amerikanische Co-Produktion, die beim Casting-Prozess eines Films über Tausend und eine Nacht im Iran spielt. Ein bekannter Regisseur testet Schauspielerinnen für einen Film über Scheherazade. Darunter seine Ex-Frau, die seit der Trennung keine Rollen mehr bekam. Die glaubt, dass er die ganzen jungen Mädchen nur castet, weil er mehr von ihnen will. Und im Laufe der Zeit wird dies auch eindeutig klar. Unter den Mädchen ist alles vorhanden, von der empörten Frau bis zum Mädchen, das weit gehen würde, um Karriere zu machen. Ein Film, der am Schluss als Film im Film abstrahiert, hier aber allgemeingültig zeigt, wie Filmschaffende ihre Machtposition ausnützen. Ein gelungener Beitrag zur MeToo-Debatte.
In Schwesterherz von Sarah Miro Fischer geht es um die Beziehung von Geschwistern, die sich eigentlich sehr lieben. Rose (Marie Bloching) kriecht wieder mal in der Wohnung von ihrem Bruder Sam (Anton Weil) unter, als sich ihre Freundin von ihr trennt. Als sie mitbekommt, wie Sam eine Frau mit in die Wohnung bringt, die ihn später wegen Vergewaltigung anzeigt, soll sie gegen ihn aussagen. Doch das führt in ein Dilemma: einerseits will sie die Beziehung zu ihrem Bruder nicht beschädigen, anderseits hat sie Probleme mit ihrem Gewissen, nicht die Wahrheit auszusagen. Ein Film, bei dem man sich die Frage stellt, wie man selbst handeln würde.
Weitere interessante Filme waren die Dokumentation Monk in Pieces von Billy Shebar über die Komponistin und Performerin Meredith Monk, Olmo von Fernando Eimbcke über einen Teenager, der auf eine Party mit dem angebeteten Nachbarsmädchen gehen will, sich aber um seinen behinderten Vater kümmern soll und die Dokumentation Bajo las banderas, el sol (Under The Flags, Under The Sun) von Juanjo Pereira über die 35-jährige Alleinherrschaft Alfredo Stroessners in Paraguay.
Hier eine ausführliche Kritik von Schwesterherz auf Französisch (Firouz E. Pillet)
Harald Ringel, Berlin
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