Berlinale 2025 – Panorama: Yalla Parkour von Areeb Zuaiter, Lebensriskante Sprünge für die Freiheit
Ein junger Mann macht einen Handstand auf einem 20 cm breiten Mauervorsprung. Auf der anderen Seite befindet sich der Abgrund von ca. 15 Stockwerken in die Tiefe. Jede falsche Schwankung würde seinen Tod bedeuten.
© PK Gaza
Dies ist nur eine der atemraubenden Szene in Areeb Zuaiter Dokumentarfilm Yalla Parkour, präsentiert in der Panorama Dokumente Sektion der 75. Berlinale. Wir sind ununterbrochen konfrontiert mit einer Fülle von hochriskanten Sprüngen von und über Mauern hinweg in den Ruinen Gazas, darunter die des ehemaligen Flughafens. Die meisten dieser Sprünge vollziehen sich in grosser Höhe. Ein Bewegungsfehler könnte schwerste Verletzungen zur Folge haben. Areeb Zuaiter erspart dem Zuschauer nicht, auch diese Unglücksfälle zu sehen.
Die in Palästina geborene, nun in den Staaten lebende Areeb hat nur vage Erinnerungen an ihre Heimat, wie eine Reise ans Meer und das Lächeln ihrer Mutter. Seither manövriert sie zwischen zwei Identitäten und Gefühlszuständen, zwischen Nostalgie und Entfremdung. Sie lebt ihren Mangel an einer wirklichen Zugehörigkeit. Als sie im Internet auf die Filmsequenzen der palästinensischen Jugendlichen stösst, die lachend und gutgelaunt, scheinbar angstfrei, in überwältigender Vitalität ihre akrobatischen Sprünge zeigen, während man im Hintergrund einschlagende Bomben sieht, entschliesst sie sich, mit ihnen Kontakt aufzunehmen. Wir befinden uns in der Mitte der 2010 Jahre. Die Grenzen werden nur noch selten geöffnet. Eine systematische Zerstörung deutet sich bereits an.
Ihr Doppelpass ermöglicht es Zuaiter, vor Ort in Kontakt mit Ahmed Matar zu kommen, der zu ihrem wichtigsten Informanten über Motive, Träume und Intentionen dieser permanent ihren Körper riskierenden Freundesgruppe wird, die ihre Aktivitäten systematisch ins Internet stellt. Doch neben der enormen rebellierenden Vitalität dieser Jugendlichen, die ihre ungebrochene Lebenslust den zermürbenden militärischen Angriffen entgegenstellen, wird ein eher tragisches Motiv ihrer gewagten Aktivitäten deutlich, die für sie die einzige Möglichkeit sind, auf ihre Existenz aufmerksam zu machen und darüber hinaus auf eine Einladung zu Sprungakrobatik-Wettbewerben wo auch immer in der Welt zu hoffen, um zumindest für eine kurze Zeitspanne ihrem Gefängnis zu entfliehen, das gleichzeitig ihre geliebte Heimat ist.
Schliesslich erfüllt sich ihr Begehren durch eine Einladung nach Schweden, und nun erneut, zumindest für Ahmed Matar, auch zur Berlinale. Auf der Bühne spürt man erneut diese unglaubliche Kraft des Widerstandes gegen alle Okkupations- und Zerstörungsversuche, doch man erfährt auch, dass viele der jungen lebensdurstigen Männer nicht mehr am Leben sind.
Von Areeb Zuaiter; Schweden, Katar, Saudi-Arabien, Palästina; 2024; 89 Minuten.
Dieter Wieczorek, Berlin
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