Karlovy Vary 2025 – Der Krieg gegen die Natur: Im aktuellen Kriegstreiben wird selten von der Natur gesprochen, Divia schweigt hier nicht
In den ersten Minuten scheint der Zuschauer mit einem Naturfilm konfrontiert zu sein, der die Schönheit einer noch intakten Natur beschreibt, ein ungestörtes Pflanzen- und Tierleben, beobachtet aus Dronenperspektive. Schmetterlinge, Schwalben, Rehe, Bären und Hirsche unter sich, dies könnte Teil unserer Wirklichkeit sein. Das war sie erst. Doch die Realität sieht anders aus. Erste Bombeneinschläge werden hörbar, erste Brandanschläge sichtbar.
Foto mit freundlicher Genehmigung Gogol Foundation
Dmytro Hreshko dringt in seinem Dokumentarfilm Divia, präsentiert in Karlovy Varys Crystal Globe Wettbewerb immer weiter vor zu einer Wirklichkeit, in der Lebewesen aller Art nicht nur um ihr Überleben kämpfen, sonders es auch bereits teilweise verloren haben. In beeindruckender kinematografischer Ästhetik, die selbst als Kontrast zu den gezeigten katastrophalen Zerstörungen wirken kann, offerieren die Kamera Volodymyr Usyks und Dmytro Hreshkos bombardierte Städte, die teilweise nur noch aus Ruinen bestehen, abgefackelte Panzer und Überbleibsel von Kriegsgerät, verkohlte und aufgerissene Menschen- und Tierkörper. Am Ort ihres Todes gelassen haben sich bereits Assfresser bei den Kadavern eingefunden. Die Kamera gleitet an all dem vorbei, aus grosser Höhe oder in Nahansicht, schwebend und souverän.
Die weiten zerstörten Landschaften, abgebrannte Wälder und amputierten Städte und Ortschaften schaffen ihr eigenes, autochthones Szenarium der Zerstörung und des Todes. Sie bedürfen keiner Deutungsrethorik. Sie sind selbstevident. Divia hat sich jedes Dialoges oder Kommentares entledigt, Mittelmarkierungen oder Ortsangaben fehlen, lediglich sporadisch erklingen einmal Militäranweisungen aus dem Off.
Eine der wenigen ins Bild kommenden Personen ist ein Wissenschaftler, der Bodenproben entnimmt, oder Minensucher und -Entschärfer, die ihre hunderte Funde zusammentragen, um sie unter kontrollierten Bedingungen explodieren zu lassen.
Eine besondere Bedeutung kommt in diesem schweigsamen Werk den Soundkompositionen Sam Slaters in Zusammenarbeit mit den Sounddesignern Vasyl Yatsushenko und Mykhailo Zakutskyi zu. Während der ersten Minuten noch harmonischer Klänge mischen sich dezent elektroakustische Sounds zu Naturlauten. Doch in die Todeszonen eintretend, die die Kamera nun in Bodenhöhe einfängt, erklingt ein schnarrend metallischer Sound, der Rost und Blechsplitter assoziieren lässt, begleitet von Tönen, die an Tieftöne modellierenden Posaunen und Alpenhörner erinnern. Diese permanent eine bedrohliche Spannung haltenden Klangteppiche vermeiden jedoch jede Dominanz, sie oszillieren mit Stille und den am Ort eingefangenen Lauten einer immer wieder aufflackernden Natur, die wieder zum Leben erwachen will, darunter Insekten, doch ebenso natürlich, umherstreifende Katzen, die – eines der milden filmischen Sequenzen – von einem herbeigeeilten Helfer mit Nahrung versorgt werden. Die instrumentale Soundkulisse Sandes fängt sie ein und gibt ihnen Raum.
Überschwemmte Landzonen und aus den Ufern getretene Flüsse reissen alles Zersplitterte und Losgelöste mit sich. Ein ausgespültes Leben geht weiter, jenseits der temporären Kriegsszenearien.
In Dmytro Hreshks Divia gibt es keine namhaft gemachten Schuldigen, sondern lediglich Opfer. Er erodiert nicht die Gründe, sondern die Konsequenzen eines Krieges. Er gibt denen eine Stimme, die keine haben, der Pflanzen- und Tierwelt. Es ist ein Antikriegsfilm per se. Es ist ein mahnendes Dokument einer übergreifenden Umweltzerstörung, die über Jahrzehnte hinweg ihre Wirkung entfalten wird. Hier wird ein Krieg gegen die Natur, der nicht mit einem Waffenstillstand enden wird, zur eindringlichen Erfahrung gemacht.
Wieder realisiert der ukrainische Filmdirektor ein Werk, das das Leben selbst zelebriert. In Snow Leopard of the Carpathians (2019) waren es die Rettungskräfte in der Bergwelt der Karpaten, die um jedes Leben kämpfen, in Mountains and Heaven in Between (2021) die Paramediziner, der während der Covidkrise weite Bergstrecken zurücklegten, um zu Kranken zu eilen und in King Lear: How We Looked for Love During the War (2023) ist es die Theaterkunst, die Menschen zusammenbringt, um zu widerstehen und sich untereinander Hilfe zu leisten, in Zeiten eines ihre ganze Vergangenheit zerstörenden Krieges auf ukrainischem Grund.
Von Dmytro Hreshko; Polen, Ukraine, Niederlande, USA; 2025; 79 Minuten.
Dieter Wieczorek, Karlovy Vary
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