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Werner Herzog schafft in Ghost Elephants ein erneutes Werk im Rahmen seiner transgressiven Anthropologie

Werner Herzog ist ein Filmemacher der Extreme. Um eine Wette mit dem Schicksal zu schliessen, isst er auch schon einmal seinen Schuh, steigt auf ausbrechende Vulkane, um Menschen zu reffen, die wie er ihr Leben riskieren, oder erstellt sich Dokumente mit gefälschten Unterschriften von Diktatoren, um Dreherlaubnisse in deren Ländern vorzutäuschen. Seinen Studenten rät er, irgendeinen Job zu akzeptieren, und sei es im Schlachthaus, um in der Lage zu sein, einen wirklich unabhängigen, eigenwilligen und individuellen Film zu machen.

Ghost Elephants von Werner Herzog
© The Roots Production Service

Herzog ist überzeugt, bei all den Differenzen zwischen seinen an die 70 (!) fiktiven und dokumentarischen Werken, dass sich dort gemeinsame Werte und eine homogene Weltsicht manifestieren. Seine Deklarationen „Jeder Mensch sollte einmal in seinem Leben ein Boot über einen Berg ziehen“ und „Die Zivilisation ist wie eine dünne Eisschicht auf einem tiefen Ozean aus Chaos und Dunkelheit“ sind Hinweise, diese zu kristallisieren: Herausforderung des Unbekannten, Souveränität, Unabhängigkeit, Disziplin, Härte gegen sich selbst (und andere) sowie immer wieder eine lustvolle Risikobereitschaft.

Auch in seinem nun in Venedigs internationalen Wettbewerb gezeigten Werk Ghost Elephants steht wieder ein Einzelgänger im Mittelpunkt. Der südafrikanische Umweltschützer Steve Boyes, den Herzog in einer Bar in Los Angeles zum ersten Mal traf, forscht seit einem Jahrzehnt nach der Existenz einer spezifischen Elefantenspezies, deren Körpergewicht im Vergleich zu bekannten Elefanten um 1/3 höher liegt. Der einzige bisher dokumentierte Beleg für die physische Existenz dieser Spezies ist ein im Smithsonian National Museum of Natural History in Washington, D.C., mumifierter Elephant, hier „Henry“ genannt, um den offiziellen Namen seines Abschlachters im Jahr 1955 zu vermeiden.

Herzog folgt Boyes auf seinem erneuten Anlauf der Suche nach diesem Elefanten-„Geist“, für Boyes der Traum seiner Forschungsbemühungen, für die Ureinwohner die Entität, die sie im unmittelbaren Kontakt mit dem Ursprung ihrer eigenen menschlichen Existenz hält. Von Anfang an akzentuiert Herzog die spirituelle Dimension dieser Suche, die für ihn mindestens den gleichen Stellenwert hat als ein mögliches faktisches Auffinden des Gesuchten. Er vergleicht sie mit der endlosen Suche nach dem weissen Wal in Melvilles „Mody Dick“, wo es erst auf den letzten Seiten des Romans zu einer faktischen Begegnung kommt.

Mit dem alle seine Dokumentarfilmen begleitenden suggestiven Stimme kommentiert Herzog, wie so oft extra trocken, die Szene eines archaischen Dorfbewohnern, der sein Musikinstrument stimmt:

“I know I shouldn’t romanticize him but I know that … surrounded by chickens … it doesn’t get any better than that.”

Die Vorbereitungen beginnen in Namibia, wo Boyes Kontakt mit den erfahrensten Spurenlesen, der Ju/Hoansi San Bushmen in Kalahari aufnimmt, einer der ältesten Kulturen der Erde, die als Ursprungsvolk des Homo sapiens gelten, für Herzog Ort des Erwachens der modernen menschlichen Seele. Nächtelange Rituale werden durchlaufen, die die Spurenleser in Trance versetzen, um den Geistern der Elefanten zu erlauben, in sie einzutreten und die Reise antreten zu können.

Andere grosse Einzelgänger in Herzog Werken klingen spätestens hier an. Wohl nicht so fanatisch wie der Grizzly Man, Fitzcarraldo oder Aguirre, der Zorn Gottes, ist Boyes zweifellos undenkbar ohne diese anarchische Aufbruchsenergie.

Es beginnt eine aufreibende Reise, erst mit dem 4-Rad-Jeeps, dann mit Motorrädern, die durch Flussströmungen getragen werden müssen, und zuletzt zu Fuss, hin zu den abgelegensten, nie von westlicher Zivilisation berührten Regionen des angolanischen Plateaus, das der Grösse England gleich kommt. Wiederum wird am Ort durch ritualisierte Formen die Erlaubnis des Stammesführers, des King of Nkangala, eingeholt, der sein Volk als unmittelbare Nachkommen der Elefanten statuiert. Die angolanischen Spurenleser des Luchazi Stammes, bekannt für ihr ausgeprägtes Ökosystemwissen, speziell in der Okavango River Bucht, gesellen sich zum Team Boyes, der im ständigen Kontakt mit dem in Nigeria zurückgebliebenen, von dort den Film leitenden Herzog steht. Die Luchazi nennen das Plateau, Ziel der Expedition, „Ursprung des Lebens“.

Herzog integriert erschütternden Archivbilder und Footage des 1966 produzierten italienischen Dokumentarfilms Africa Addio in sein Werk. Hier treiben Hubschrauber völlig verstörte, panisch fliegende Elefanten vor die Flinten der Trophäenjäger, die sie dann dutzendfach abschlachten und in die Kamera grinsen. Henrys Schlächter ist einer unter ihnen. Während des 27-jährigen angolanischen Bürgerkrieges wurden zahllose Elefanten, Nilpferde und andere Wildtiere von „Sportlern“ niedergemacht. Ein anderer Teil fiel Landminen zum Opfer.

Herzogs Ausspruch: „I believe the common denominator of the universe is not harmony, but chaos, hostility, and murder“ erscheint auch hier als angemessener Kommentar. Verständlich wird hier aber auch seine Faszination für die Gegenwelt, die spirituellen und magischen Wirklichkeiten, die mit den Ursprüngen des Lebens eher zu kommunizieren vermögen als unsere verkommene Konsumkultur. Träumen nachzugehen ist kein Fehler, wird doch, wie Herzog dunkel anmerkt, die Zukunft der Tiere auch nur noch ein Traum sein, eine blosse Erinnerung. Umso mehr schätzt er die Poesie von Momenten, wie die von seiner Kamera eingefangenen unter Wasser scheinbar verspielt tänzelnden Elefanten.

Am Ende der Expedition stehen einige flüchtige, mit dem Smartphone Boyes hastig eingefangene Sequenzen mit wenigen Exemplaren der gesuchten Elefantenspezies. Anscheinend wurde dann die weitere Verfolgung abgebrochen. Wieder kommentiert Herzog extra nüchtern: „Steve would have to live with his success.“

Werner Herzog schafft einen Film über die vergebliche, beschränkte und zweifelhafte Suche im Dienst einer analytischen Erfassung der Wirklichkeit. Doch was ihn daran interessiert ist das immanente Begehren, das Aufbrechen, der Einsatz und die vitalisierende Dimension der Träume. Immerhin, erinnert Boyes in der Presskonferenz, gelang es ihm, auf dieser Expedition in Angola fast 270 bisher unbekannte Spezies zu sichten. Auch dies mag ein vergebliches, aber bewundernswertes Aufbegehren gegen den Tod sein, für das Herzogs Werk ebenso steht. Und Boyes stimmt wiederum dem Stammesglauben zu, der das Verschwinden dieser Elefanten als Vorbote für die Auslöschung auch des Menschen deutet.

Von Werner Herzog; Vereinigten Staaten; 2025; 99 Minuten

Dieter Wieczorek

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Dieter Wieczorek

Journaliste/Journalist (basé/based Paris-Berlin)

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