Berlinale 2023 – Bericht aus der Sektion Generation
Auch die Sektion Generation hatte in diesem Jahr eine neue Leitung. Diese knüpft mit ihrer Filmauswahl nahtlos an den Stil der bisherigen Leitung an: Filme, die nur selten mit der herkömmlichen Sicht auf Kinder –und Jugendfilme zu tun haben, und vor allem Kindern einiges abverlangen. So setzt sich das Publikum bei den Vorführungen auch oft aus vielen Erwachsenen zusammen.
Der bekannte Trickfilmregisseur Enzo d’Alò hat endlich einen neuen Film gemacht. Und auch mit A Greyhound of a Girl weiss er zu begeistern. Er verfilmte einen Roman des irischen Autors Roddy Doyle in klassischem Zeichenstil mit modernen Animationseinsprengseln. Seine Figuren sehen aus wie deren Sprecher, so ist der Vater eindeutig als Brendan Gleeson zu erkennen. Mary liebt ihre Oma über alles. Von ihr lernt sie viele schöne Rezepte und will eine Meisterköchin werden. Daher will sie auf einer Kochschule aufgenommen werden. Doch das ist nicht so einfach und Oma ist eine grosse Hilfe. Doch dann wird die Grossmutter krank und immer schwächer. Als auch noch ein Geist aus der Vergangenheit auftaucht, den nur Mary sehen kann, und ihre Angst vor Hunden auf dem Prüfstand steht, überschlagen sich die Ereignisse. Der Film, der vom Umgang mit dem Tod und Träumen erzählt, ist ein starkes Beispiel für einen Familienfilm, der auch für Kinder harte Themen nicht scheut.
In Dancing Queen von Aurora Gosse geht es um ein dickliches Mädchen, das einfach nur dazugehören will. Als ein jugendlicher Musikstar an die Schule kommt und für eine Show Tänzerinnen gesucht werden, meldet auch sie sich. Als sie genommen wird, wird für sie vieles anders. Sie bekommt Hilfe bei ihrem einzigen guten Freund und von ihrer Grossmutter. Doch die Probleme werden grösser, so will der Star, dass sie abnimmt. Und sie beginnt sich von ihrer Familie und ihrem Freund abzuwenden. Die norwegische Komödie in der es um Bilder des idealen Aussehens und Selbstzweifel Jugendlicher geht, zeigt diese Probleme, aber weiss trotzdem sehr gut zu unterhalten. Er steht damit voll in der Tradition skandinavischer Kinderfilme.
Die slowakische Regisseurin Mira Fornay erzählt in Mimi von einem kleinen Mädchen, dessen Wellensittich entflogen ist. Obwohl ihre Mutter ihr einen neuen kauft, will sie ihn unbedingt wiederfinden. Als ein Nachbarsjunge ihr erzählt, dass sie mit dem neuen Vogel im Käfig den entflogenen anlocken kann, macht sie sich auf den Weg in den Wald am Rande der Stadt. Sie erlebt Abenteuer mit verschiedenen Menschen, verliert auch noch den neuen Wellensittich und sieht sich plötzlich einem bissigen Hund ausgeliefert, um ihn wiederzubekommen. Dies wird vermischt mit Traumsequenzen, in dem der Vogel eine menschliche Gestalt annimmt und sie plötzlich Auto fahren kann. Ein starker Film, bei dem es auch Erwachsenen viel Spass macht zuzuschauen.
Mit Sweet As hat die australische Regisseurin Jub Clerc ihre eigene Jugendgeschichte erzählt. Durch das Zusammenleben mit ihrer schwierigen Mutter dem Jugendamt auffällig geworden, wird die 15jährige Murra zu einem Fotokurs mit drei anderen Jugendlichen in den Outback geschickt. Dort verliebt sie sich nicht nur in ihren Betreuer, sondern entdeckt ihre Liebe zur Fotografie. Sie lernt sich mit anderen Zusammenzuraufen und nicht nur ihre Mutter als Bezugspunkt zu haben, die sie aber weiterhin liebt. Diese Selbstfindung führte später zur Karriere als Regisseurin. Sweet as ist in Australien ein Ausspruch, wie bei uns Alles wird gut.
Adolfo von Sofia Auza ist ein Kaktus. Der Kaktus von Hugo, den ihm sein durch Selbstmord gestorbener Vater mit der Nachricht vermacht hat, ein neues Zuhause für ihn zu finden. Auf dem Weg zur Beerdigung verpasst er den Bus und folgt seiner Haltestellenbekanntschaft Momo auf eine Geburtstagsparty. Momo ist den ersten Tag aus ihrer Drogentherapie entlassen, nachdem sie fast an einer Überdosis gestorben wäre.
Die folgenden Stunden verbringen sie auf verschiedenen Etappen durch die Nacht, was nicht nur dem Kaktus ein neues Heim beschert, sondern auch den beiden jungen Leuten wieder Hoffnung im Leben macht. Ein schöner Film mit zwei sympathischen Charakteren, denen man gerne zusieht.
Hummingbirds von Silvia Del Carmen Castanos und Estefania „Beba“ Contreras folgt den zwei Hauptdarstellerinnen in Laredo, Texas an der Grenze zu Mexiko. Die Regisseurinnen, die auch ihre eigenen Hauptdarstellerinnen sind und Musik, Buch, Schnitt und vieles anderes selbst gemacht haben, improvisieren viel und spielen sich eigentlich nur selbst. Den beiden quirligen Mädchen und ihren verrückten Ideen zuzusehen macht viel Spass. Und dass sie auch in der Realität so sind, konnte man bei den Berlinale- Vorführungen sehen, wo sie anwesend waren. Aber auch ernste Themen kommen vor, wie z.B. Demonstrationen gegen Abtreibungsgegner. Eine Protagonistin hatte auch wirklich eine Abtreibung. Auch Fremdenhass und Verzögerung der Einbürgerungspapiere werden nicht ausgespart.
Faszinierend war der bereits in Sundance preisgekrönte Dokumentarfilm And The King Said, What A Fantastic Machine. Die Regisseure Axel Danielson und Maximilien Van Aertryck widmen sich dem Bild. Was passiert und wer ist am Werk, wenn Fotos, Filme oder auch nur Handyvideos gemacht werden. Die Collage aus Archivaufnahmen, Dokumentarausschnitten, privatem Bildmaterial, Handy- und Computerstreams und Amateuraufnahmen zieht faszinierende Schlüsse. Warum der Film allerdings bei Generationen und nicht im Special oder dem Panorama gelaufen ist, bleibt ein Rätsel.
Harald Ringel, Berlin
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