IFFR 2024 – Steppenwolf: Getriebene Menschen in der Einöde
Der kazakhstanische Regisseur Adilkhan Yerzhanov hat in 12 Jahren 15 Filme gedreht und war schon mehrfach auf den Festivals Berlinale, in Cannes und in Venedig zu Gast. Nun ist er mal in Rotterdam im Wettbewerb. Seine Filme sind stets unterhaltsam, schrecken aber auch nie vor explizitem Einsatz von Gewalt zurück. Der Titel bezieht sich nicht nur auf die Titelfigur, die Steppenwolf genannt wird, dem Film ist auch ein Zitat von Hermann Hesse aus seinem gleichnamigen Buch vorangestellt. Und gegen Ende gibt es weitere Buchauszüge schriftlich im Bild, sogar in deutscher Originalsprache. Weder der Ort noch die Zeit wird spezifiziert, es spielt in einer kargen Landschaft, die wie eine Steppe aussieht. Dort herrscht ein ziviler Bürgerkrieg, bei dem die Polizei gnadenlos alles ausschaltet, was nicht spurt, und was nicht den Interessen des Oberschurken Taha entspricht. Schliesslich ist die Polizei von ihm geschmiert. Der Steppenwolf war einst selbst skrupelloser Gangster in Tahas Bande, nachdem der seine Frau und die beiden Töchter bei lebendigem Leib verbrannt hatte, weil er sich weigerte ein Kind zu erschiessen. Da wechselte er auf Rache sinnend als Spezialist gnadenloser, oft auf Folter basierender Verhöre zur Polizei.
Mitten im Schusswechsel bei einem Sturm auf das Polizeirevier stolpert die verwirrte Tamara mitten ins Geschehen und bittet Steppenwolf um Hilfe ihren Sohn zu finden. Beim Schaukeln und in einem kurzen Moment der Unaufmerksamkeit ihrerseits wurde der Junge Timka entführt. Schnell finden sie heraus, dass der Vater den Sohn entführt hat… Doch der hat ihn zu Taha gebracht, der Kinder für seinen Organhandel missbraucht. Was nun folgt ist die Jagd auf den Konvoi Tahas, bei dem der Bodycount extrem hoch ist. Doch will der Steppenwolf wirklich den Sohn finden oder will er eigentlich nur seine Rache?
Der Film verschmelzt geschickt Elemente des Western, insbesondere Motive aus John Fords The Searchers – Der Schwarze Falke, mit denen des Roadmovies und des Rache-Dramas. Auffällig ist die Anlehnung an die Struktur eines Videospiels, in dem Gewalt zwar präsent ist, jedoch meist subtil dargestellt wird – abgesehen von einigen expliziten Schiessereien, die jedoch in Hollywoodfilmen oder Adaptionen von Videospielen gleichermassen anzutreffen sind. Die beiden Hauptdarsteller*innen, Berik Aitzhanov (Steppenwolf) und Anna Starchenko (Tamara), liefern überzeugende Leistungen ab. Leider offenbart der Film jedoch ein zentrales Problem: Keine der Figuren entlockt dem Publikum wirkliche Sympathie, selbst die Mutter nicht, aufgrund einer überdrehten Charakterzeichnung. Ein herausragendes Element ist die Kameraarbeit von Yerkinbek Ptyraliyev, der geschickt die Landschaft mit den dargestellten Handlungen verwebt. Insgesamt präsentiert sich der Film als eine Art Ein Mann sieht rot-Variante, bei der selbst Charles Bronson vergleichsweise harmlos erscheint, jedoch mit einer ausgeprägt videospielähnlichen Ästhetik.
Harald Ringel
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