Künstliche Intelligenz heute: ein Fokus Programm des Thessaloniki Documentary Festival Teil 3 – The Hexagonal Hive and the Mouse in a Maze von Bartek Dziadosz und Tilda Swinton
Ebenfalls integriert in Thessalonikis Filmpanorama über KI finden sich ein auf den ersten Blick lediglich ein Nebenthema behandelndes Werk, auf den zweiten führt das Thema des Lernens ins Zentrum der Reflexionen über KI. Tilda Swinton und Bartek Dziadosz fächern in ihrem Dokumentarfilm The Hexagonal Hive and the Mouse in a Maze ein multiperspektivisches Panorama zum Phänomen Lernen auf. Lernformen werden hier in den unterschiedlichsten kulturellen und sozialen Kontexten wahrgenommen. Es sind gerade die Interferenzen mit den verschiedensten, unmittelbaren Bezugsfeldern und voneinander abweichenden Intentionen, der Lernen so unterschiedlich machen können.
AI und die Formen des Lernens
Widersprochen wird hier der Ideologie einer möglichen einfachen Konstatierung von „Fakten“. Deren fragwürdige Voraussetzung wäre eine eindimensionale, eindeutig abbildbare Wirklichkeitskonstruktion, verbunden mit der Suggestion, dass Realität in Informationsbits generiert werden könnte. Es gibt jedoch keine isolierten Fakten, sondern lediglich Kontexte, die die Deutung jedes Einzelaspektes beeinflussen. Da diese Kontexte offen sind, wäre es verfehlt, von Determinationen über Kontexte zu sprechen. Tatsächlich beeinflussen die – mehr oder weniger offenen und toleranten – Kontexte jedes Denken und Handeln, jede Wahrnehmung von Einzelheiten, die stets interpretiert wird in ihrer spezifischen Umgebung.
Lernen unter Beachtung der Vielzahl der Lernformen ist das entscheidende kultur- und zukunftsbestimmende Projekt. Die Ideologie, Informationen in Computer einzuspeichern zu können im Glauben, auf diese Weise Wirklichkeit erfassen und reproduzierbar machen zu können, ist einer der fundamentalsten Fehlschlüsse unserer Gegenwart. Es ist nicht nur der Königsweg zu einer entleerten eindimensionalen Wirklichkeitsdeutung, sondern geht auch die mit der Zerstörung von essenziell humanen Fähigkeiten einher, in Widersprüchen leben zu können. Vielfalten zu geniessen, multi-identitär zu existieren, zu spielen und offene Denk- und Aktionsräume zu schaffen.
Wir wissen nicht, wie KI lernt, heisst es immer wieder aus Fachkreisen. Letztlich interpretiert auch KI Dateninputs, indem sie Kontexte ihrer Interpretation schafft. Diese Kontextualisierung der Inputs ist entscheidend für die Konsequenzen. Die Wahrscheinlichkeit, dass für AI das entscheidende Interpretationsmuster die Ähnlichkeitsabgleichung sein wird, verstärkt die Tendenz der Negation von Differenzen und Alternativen.
Neben der Klimakrise gibt es eine Krise der Unterdrückung menschlichen Fähigkeiten. Wir machen nur wenig Gebrauch von unseren Talenten. Menschen gehen durch ihr Leben ohne Bewusstsein ihrer wahren Potenziale. Sie verbringen ihr Leben in Arbeitsprozessen, die ihnen nicht nur keinen Spass machen, sondern ihnen als sinnlos erscheinen. Auf die Frage, ob ihr Beruf einen sinnvollen Beitrag für die Gesellschaft hat, antworteten in der hier zitierten Umfrage 37 % mit Nein, 13 % waren sich nicht sicher. Andere Menschen dagegen sind, was sind tun und können sich kein anderes Leben vorstellen. Ihre Arbeit empfinden sie als den authentischen Ausdruck ihres Selbst.
Erziehung entfernt oftmals Menschen von ihren eigentlichen Fähigkeiten. Zumeist liegen die individuellen Ressourcen im Verborgenen und zeigen sich nur in bestimmten Umständen. Eine Erziehung zur Wahrnehmung der eigenen Fähigkeiten aber gibt es nicht. Im Gegenteil, können wir sehr genau erkennen, wie Fähigkeiten, besonders von Kindern, vergessen und zerstört werden durch Standard-Schulen, die Lernerfolg allein an der Wiederholungskapazität von suggerieren Informationen (Lerneinheiten) bemessen. Hier ist kein Platz für neue Gedanken oder Sichtweisen verändernde Fragen und Wahrnehmungen.
Dagegen gibt ganze Industriezweige, die nutzlos sind, ginge es um eine positiv zu gestaltende Zukunft oder die Bewältigung aktuelle Probleme, zu schweigen um der Etablierung einer humanen Gemeinschaft. Ihr einziger Nutzen ist ihre Selbsterhaltung.
Daher ist Tilda Swintons und Bartek Dziados Thematisierung einer Fülle anderer Lernformen von entscheidender Bedeutung, um einer mittels AI produzierten und perfektionierten Wirklichkeitsinterpretation und der damit verbundene Kontrolle Alternativen entgegensetzen zu können. Lernen wird hier appliziert auf Körpersprachen, handwerkliche Techniken und humane Kompetenzen. Das alternative Lernziel ist die Einsicht, dass Erfolg sich nicht auf individueller, sondern auf gemeinschaftlicher Ebene misst. Wirklicher Erfolg wäre, der Gemeinschaft etwas zur Verfügung zu stellen. Nur dies könnte eine lebbare, humane Zivilisation schaffen. Das dringendste Lernziel wäre, ein kommunikatives, gemeinschaftlichen Handeln zu ermöglichen. Dagegen wird die Funktion der AI bereits heute vor allem gedeutet als Perfektionierung lediglich individueller Bedürfnisbefriedigung.
Lernen basiert auf Kommunikation, geprägten der Anstrengung, mit unserer Aussagen und Verhaltensweise im gegebenen Kontext annähernd korrekt zu erscheinen. Diese Anpassungstendenz ist Folge der Unsicherheit darüber, ob andere Individuen die Umgebung und dessen Details in der gleichen Weise wahrnehmen wie wir selbst. Das Prinzip der praktizierten Annäherung ist der wirksamste Lernimpetus. Hier liegt die Gefahr und Möglichkeit zugleich. Die Gestaltung der Kontexte sollte dem Vielfältigkeitsprinzip folgen, will man wirkliche Kapazitäten und singuläre Fähigkeiten erkennen und fördern.
KI scheint hier nicht anders vorzugehen. Die kalkuliert, wie Worte und Argumente miteinander in Beziehung stehen. Jede KI-Aussage ist Resultat dieser Wahrscheinlichkeitsrechnung. Sinn macht für eine Maschine eine Aussage noch nicht einmal, während sie sie ausspricht.
Jede Wahrnehmung ist für das menschliche Gehirn eine instruierende Lernerfahrung. Dem folgend, arbeitet die mikrologische Biologieforschung daran, durch Stimulationsprozesse synthetische Intelligenz zu erzeugen, die befähigt wird, sich selbst maschinell zu reproduzieren.
Tilda Swinton und Bartek Dziadosz geben am Ende ihres facettenreichen Werkes einer Stimme Raum, die daran erinnerte, dass auch die wissenschaftliche Methodik keine neutrale ist, sondern auf dem Glauben beruht, falsch und wahr einsinnig und permanent trennen zu können, um «Fakten» zu schaffen. Doch zwischen dem Weiss und Schwarz insistieren die Daten häufig auf dem Grau der Ununterscheidbarkeit.
The Hexagonal Hive and the Mouse in a Maze lässt eine Fülle von Reflexionen aus dem Off erklingen, die Kamera aber bleibt stets gerichtet auf Arbeits- und Lernprozesse des – so unterschiedlichen – alltäglichen Lebens, im Wechsel mit Filmzitaten und nicht zuletzt, mit spielenden Kindern.
Von Bartek Dziadosz und Tilda Swinton; Vereinigte Königreich; 2024; 92 Minuten.
Teil 1 hier zu lesen
Teil 2 hier zu lesen
Dieter Wieczorek, Thessaloniki
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