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Visions du Réel 2025 – Blame von Christian Frei: Wissenschaft auf der Abschussliste der Fake News

Die Stellungnahmen in einer der ältesten und renommiertesten medizinischen Zeitschriften ist klar: „Disinformation has become a delibertate instrument to attack and discredit scientists and health professionals for political gains“, zu lesen in The Lancet vom 18. Januar 2025, zwei Tage vor der zweiten Amtseinführung Trumps. Mit diesem Zitat beginnt Christian Frei’s in Nyon’s Visions du Réel als Eröffnungsfilm gezeigten Dokumentarfilm Blame.

Blame von Christian Frei
Foto mit freundlicher Genehmigung Visions du Réel

In der Tat sind in Zeiten sich perfektionierende Fake News fortlaufende Anklagen gegen Wissenschaftler aller Art konsequente Strategie, den Bewusstseinszustand der Menschen zu wehrlosen Mitteilungsempfänger zu degradieren. Wissenschaft, die letzte noch funktionierende, da auf überprüfbaren Fakten basierende Institution des Widerstandes gegen eine rhetorisch sich perfektionierende, weltweite Manipulationsmaschine stört. Gewiss könnte man nun all die falschen, von Konzernen bezahlten Studien anführen, die behaupten, was gewünscht wird, bis hin zur Harmlosigkeit des Rauchens und der Pestizide. Aber sie halten eben keiner Überprüfung stand, die nur die Wissenschaft selbst leisten kann, als letzte kulturelle Form der Souveränität.  Diese zu unterminieren ist möglich, etwa durch Streichung von Forschungsmitteln für Projekte, die für Konzerne unangenehme Ergebnisse liefern könnten, bei gleichzeitiger Förderung solcher, die deren Interessen dienen. Noch aber hat wissenschaftliche Forschung die Möglichkeit, sich zu regenerieren durch einen weltweit solidarischen Zusammenschluss.

Eine solche, auf gemeinsamer Forschung beruhende internationale Freundschaft, finden wir im Mittelpunkt von Frei’s wieder einmal aufwühlenden Dokumentarfilm. Die Virologen Linfa Wand (Singapur), Zhengli Shi (Wuhan Institute of Virology  – WIV) und der britisch-us-amerikanische Zoologe Peter Daszak (New York) sind seit 2003 Ursachenforscher der SARS Erkrankung und seit 2020 der COVID-19 Pandemie. Sie gerieten in eine weltweit mediatisierte Kritik, da sie menschliches Versagen, genauer die fortschreitende Okkupation von Naturräumen und nicht eine im Labor entstandenen Virus-Waffe als Verursacher der verheerenden Todeswellen deklarierten. Das fortschreitende Eindringen zivilen Aktivitäten wie Abholzungen und Ansiedlungen mit Nutztieren in bisher unberührten Naturräumen bilden Übertragungsbrücken für Kontaminationen, die darauf durch den internationalen Warenverkehr noch vervielfältigt werden. Hier sehen sie die eigentlichen Ursachen der Seuchen der Zukunft.

Frei’s  Filmprozess wurde seinen eigenen Angaben nach von geopolitischen Interessenvertretern kontrolliert. Personen und Standorte mussten daher teilweise geschützt werden. Die drei Wissenschaftler gingen von Anfang an der These nach, dass Fledermäuse, seit 15 Millionen Jahren Teil des Ökosystems, resistent gegen alle Krankheitsformen, mit einem Herzschlag und 1000 pro Minute, ideale Viren-Speicher ist, da sie selbst nicht an ihren erkranken.

Doch Steve Bannon, früherer Berater von Trump, verbreitete die These eines geplant erzeugten Virus, die sogleich weltweit von Presse und Sendeanstalten aufgegriffen wurde, obwohl kaum ein Wissenschaftler sie ernst nahm. Als Folge konstatierte der Immunologe Dr. Fauci, Chefberater des Weissen Hauses, ein zunehmendes anti-wissenschaftliches Klima, dem er selbst schliesslich auch zum Opfer fiel. Zunehmender medienwirksam produzierter gesellschaftlicher Druck verlangte nach einfachen Erklärungen und nach einem nennbaren Verschulder der Pandemie. Die wiederholten Spekulationen in den Medien wurden zu Suggestionen und transformierten sich zu bald zu unhinterfragten „Erkenntnissen“. Hinter jeder grossen Katastrophe muss ein intelligenter und mächtiger Agent vermutet werden.

Im Juni 2023 wurde ein klassifiziertes US-Forschungsdokument freigegeben, dass die These der Fabrikation des Covid-19 Virus im Labor als evidenzlos deklariert. Doch die Laborleckhypothese nahm an Medienwirksamkeit nur zu.

Als der Forscher Peter Daszak einer getesteten Fledermaus ein Bananenstück gibt und dieses Video veröffentlicht, wird es als emotionaler Hasschub von rechtsradikalen Medien gegen den Wissenschaftler instrumentalisiert, der nun verstärkt als Labor-Verursacher des Virus, gar als Mitwirker der Erfinder einer Biowaffe angeklagt wird. Drohungen werden artikuliert und verbreitet, die in einem US-Medium in die Forderung seiner öffentlichen Exekution eskalierten. In China gerät Zhengli unter Behördendruck, an Frei’s Dokumentarfilm zu partizipieren.

Warum sind die Händler des Zweifels und der Ambiguität so erfolgreich? Der Journalist Philipp Markolin beschreibt in seinem wissenschaftlichen Blog The rise of the information pathogens: Unsicherheit und Verdacht scheinen für unser Gehirn besonders attraktiv zu sein. Wir ziehen es vor zu sehen, was wir erwarten, und nicht, was wirklich ist. Verschwörungstheorien sind willkommen. Die Krise des Vertrauens in Wissenschaft, Experten und rationales Denken dient dem Business.

Robert F. Kennedy Jr., ein einberufenes Mitglied in Trumps Horrorkabinett, aktueller Gesundheitsminister, propagierte eine globale Verschwörung mit epischer Dimension. Er folgt der alten Strategie, für Krankheiten Aussenkräfte verantwortlich zu machen, statt sich mit eigener Verantwortung und Fehlverhalten zu konfrontieren. Die Arbeitsmöglichkeiten von Wissenschaftler zu beschränken oder zu beseitigen, wird als beste Methode zur Vermeidung künftiger Epidemien suggeriert. Faktisch wird mit diesem Angriff auf die Ursachenforscher die Vehemenz und Wahrscheinlichkeit zukünftiger Epidemien nur erhöht. Auch wenn Kennedy später eingestehen muss, dass seine Behauptungen keine Evidenz haben, glauben 60 % der US-Amerikaner an einen Laborunfall und Kennedy hält an seiner Behauptung einer Biowaffenforschung in Wuhan fest. Der Virus sei ein Nebenprodukt.  Mit seiner Bestätigung als Gesundheitsminister wird das gesamte US-Gesundheitssystem durch Paranoia und Desinformation paralysiert. Als Republikaner Peter Daszak zu einer öffentlichen Anhörung laden, folgen weitere Morddrohungen gegen ihn.

Die Forschungseinrichtung EcoHealth Alliance, dem Daszak vorstand, verteidigt sich in 8 Prozessen und riskiert den Verlust seiner Förderungsmittel. Selbst wenn bisher 6 Prozesse gewonnen wurden, ging hier viel Zeit und Energie verloren. Das Hearing selbst wird mit den Worten Michael Hiltziks (LA Times) zur bekannten Clown-Show, in der die abstrusesten Behauptungen und Vorwürfe von Komiteemitgliedern wiederholt werden, die von wissenschaftlicher Forschung keine Ahnung haben. Daszaks Antworten werden blockiert. Seinem Institut, das seit gut 20 Jahren untersucht, wie Wildtierhandel und Abholzung die Entstehung gefährlicher Erreger begünstigt, werden die Fördermittel entzogen.  Da jede Evidenz für wissenschaftliches oder sicherheitstechnisches Versagen fehlt, wird die EcoHealth Alliance und Peter Daszak angeklagt, nicht mit Fördergeldern umgehen zu können. Selbst das übergeordnete National Institut of Health assistiert dieser Strategie, um ihre eigenen Fördermittel zu schützen. US-Demokraten nehmen an dieser erneuten Einmischung der Politik in wissenschaftliche Forschung teil. Der Hintergrund: sie können Wahlen nicht gewinnen, wenn sie eine Organisation unterstützen, die mit China zusammen arbeitet. Daszak selbst wird als warnender Virenforscher zum Verursacher der Covid-19 Pandemie dämonisiert.

Wir leben, resümiert Frei, auf einem Planeten, der aus dem Gleichgewicht geraten ist, bedroht von Viren, die wir nicht wirklich verstehen oder kontrollieren können. Wiederum konstatiert Michael Hiltziks die Tatsache, dass der Förderungsabbruch für die EcoHealth Alliance jahrelange wichtige Forschung zur Vermeidung künftiger Epidemien zerstört. Erneut geht hier eine auf Fakten und Evidenz beruhende Weltsicht zugunsten von Machtpolitik und Populismus unter.

Christian Frei legt von Anfang an explizit offen, dass sein Film der Perspektive der drei Forscher folgt. Auch deren Lebensgeschichten und Überzeugungen wird Raum gegeben, um die sie nicht als graue Eminenzen erscheinen zu lassen.

Oft tritt Christian Frei auch selbst ins Bild, meistens als nachdenklicher, schweigender Teilnehmer. Auf seine Initiative hin wird für Daszak, als die Medienangriffe und körperliche Bedrohungen ihren ersten Höhepunkt erreichen, ein Treffen in Thailand organisier. Hier formuliert die eingeladene chinesische Journalistin Jane Qiu auch Vorbehalte gegen Daszaks Stellungnahmen in den Medien, ohne dass Frei diese Kritik im Film weiter verfolgen würde. Immerhin integriert er den Vorwurf der Journalistin, dass er naiv der Naturhypothese als Virusursache folge. Die gleiche Journalistin verteidigte gleichzeitig jedoch Zhengli gegen ebenso vereinfachen Vorwürfe gegen ihre Forschung.

Nun schreibt Johannes Boie in der NZZ vom12.03.2025: „Eine vom Bundeskanzleramt initiierte Gruppe spezialisierter Forscher traf sich mehrfach beim Bundesnachrichtendienst. Nach ausgiebigen Untersuchungen liegen zahlreiche Indizien für eine Laborherkunft vor.“ Nicht definitive Erkenntnisse, aber – und das ist entscheidend – wissenschaftliche Zweifel an der Übertragungsthese durch Fledermäusen sind nun artikuliert. Trotzdem wird die Behauptung einer Biowaffenforschung allgemein verworfen. Zweifel an hinreichenden Sicherheitsvorkehrungen im Labor dagegen gewinnen an Wahrscheinlichkeit. Mangelnde Transparenz seitens der chinesischen Institutionen helfen hier kaum, Klärung zu schaffen.

Dem entscheidenden Fokus von Frei’s kritischen Werk wird hier jedoch kaum Abbruch getan. Die Antwort auf den Ursprung des Virus kann nur eine wissenschaftliche sein. Die von Frei minuziös aufgezeichnete politische und interessengeleiteten Angriffe auf die Forschung, die die Rolle der Wissenschaft als solcher zu unterminieren suchen, sind von brennender Aktualität, wie auch die letzten Tage der Angriffe Trumps auf US-Eliteuniversitäten nachdrücklich verdeutlichen.

Von Christian Frei; Schweiz;  2025; 122 Minuten.

Dieter Wieczorek

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