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Achtung Berlin Filmfestival 2022 – Eine Filmschau des jungen berlinbezogenen Films

Zum 18ten Mal fand vom 20.-27. 4. in mehreren Berliner Kinos das Achtung Berlin Filmfestival statt. Augenmerk liegt hier im Berlinbezug: Entweder der Film ist in Berlin gedreht oder der Regisseur oder die Produktion stammen aus Berlin. Die meisten Filme hatten bereits vorher ihre Weltpremiere beim Wettbewerb um den Max Ophüls- Preis, liefen in Hof, Leipzig oder in Zürich. Das tut der Sache aber keinen Abbruch, sollen die Filme einem grösseren Publikum näher gebracht werden. Die Filme sind dabei in verschiedene Sektionen eingeteilt, die teilweise auch in Wettbewerben laufen.

Ladybitch von Paula Knüpling und Marina Prados
©Ladybitches Productions

Der grosse Gewinner bei den Spielfilmen mit den Preisen für den besten Spielfilm und die beste Schauspielerin (Celine Meral) ist Ladybitch von Paula Knüpling und Marina Prados. Er basiert auf eigenen Erfahrungen der beiden Regisseurinnen mit sexuellen und psychischen Übergriffen am Theater. Ela ergattert die Rolle der Lulu bei einem Theaterregisseur, der ein Star ist. Nach anfänglicher Freude werden die Probleme mit dessen unflexiblen Ansichten und unangenehmen Annäherungsversuchen immer stärker. Doch wie eine selbstbewusste Figur spielen, wenn man sich selbst nicht traut dagegen anzugehen?  Die filmische Lösung ist interessant, wird aber in der Realität eher selten funktionieren, da die Angst dann keine Rollen mehr zu bekommen meist doch grösser ist. Ein guter Beitrag zur #metoo- Debatte.  Zum selben Thema gab es auch den Dokumentarfilm Machtkritik und Theater von Mathias Söhn. Das Porträt des Berliner Ringtheaters, das im Kollektiv betrieben wird, zeigt, wie schwer, wenn nicht nahezu unmöglich es ist, ein Theater zu betreiben, das alle gleichwertig behandeln will, und was im praktischen Betrieb dann doch nicht so funktioniert, wie man eigentlich wollte.

Youth Topia von Dennis Stormer zeigt eine Fantasiewelt, in der Algorithmen ausrechnen, welchen Traumjob man bekommen kann. Fünf Protagonisten versuchen weiter Langzeit- Jugendliche bleiben zu können, in dem sie sich allem widersetzen und mit asozialen Äusserungen in den sozialen Medien genau dies zu verhindern suchen. Aber als Wanja, eine von ihnen, Arbeit in einem Architekturbüro bekommt und diesen Erfolg auch noch mag, gibt es ein Problem. Ist ihr ihr neues Leben wichtiger oder doch die Beziehungen zu ihren alten Freunden. Der Film bekam die Preise für die beste Produktion und die beste Regie.

Hier finden Sie eine Kritik auf Französisch sowie ein Interview, das Malik Berkati nach dem Gewinn des Jugendpreises beim Filmfestival Cottbus 2021 mit Marisa Meier, Ko-Drehbuchautorin und Ko-Produzentin des Films, geführt hat.

Stille Post erhielt die Preise für das beste Drehbuch und den besten Hauptdarsteller. Khalil (Hadi Khanjanpour) ist Kurde, Lehrer und eigentlich zufrieden mit seinem Leben mit der Journalistin Leyla (Kristin Suckow). Als er denkt, dass seine totgeglaubte Schwester auf Kriegsvideos aus Cizre zu sehen ist, dreht er völlig durch. Um Hilfe bei einem kurdischen Verein zu erhalten, seine Schwester zu finden, sollen die Videos ins Fernsehen kommen. Doch wegen grossem Desinteresse, klappt es nur als sie die Videos manipulieren. Aber es kommen immer weitere Forderungen und man will ihn nur ausnutzen. Regisseur Florian Hoffmann realisierte den Film, um das Desinteresse in den Medien an eigenen Dokumentarbildern, die das Fernsehen ablehnte, weil anderes höheren Nachrichtenwert hatte, zu zeigen. Der Film startet im Herbst im Kino.

Leider nur eine lobende Erwähnung für das Drehbuch erhielt Jessy von Rebeca Ofek. Als der Vater (Hannes Wegener) den sie kaum kennt aus dem Gefängnis zurückkehrt, muss sich Jessy (Pola Geiger) neu im Leben zurechtfinden. Ein schöner, ruhiger Film um Familienbeziehungen und das Finden der eigenen Unabhängigkeit. Ein Film, der einen Verleih verdient hätte.

Das komplette Gegenteil bot Sweet Disaster der finnischen Regisseurin Laura Lehmus. Als Frida (Friederike Kemper) von ihrem neuen Freund (Florian Lukas) trotz Schwangerschaft verlassen wird, versucht sie ihn mit allen Mitteln zurückzubekommen. Hilfe findet sie bei der 15 jährigen Nachbarin (Lena Urzendowsky), die Probleme mit ihrer über protektiven Mutter hat und nach Kanada zum Studium will und vier Karten spielenden Rentnerinnen. Ein bonbonbunter Film mit vielen witzigen Ideen und sogar  musikalischen Einlagen. Sehr unterhaltsam. Auch dieser Film startet regulär im Kino.

Im Dokumentarfilmwettbewerb gewann Anima – Die Kleider meines Vaters von Uli Decker. Im sehr persönlichen Film geht es um ihre eigene Familie und sich selbst. Als sie beim Tod ihres Vaters erfährt, dass dieser heimlich Transvestit war und sich immer vor der Dorfgemeinschaft verstecken musste, beginnt sie auch ihre eigene rebellische Kindheit, die Anziehung zu Frauen und Männern und das Dorf anders zu reflektieren. Die Mischung aus Dokumentaraufnahmen, Interviews und Animationsszenen ist ein sehr sympathisches Plädoyer für Offenheit und Toleranz und wird hoffentlich auch beim Kinostart viele Zuschauer begeistern.

Als Susan Sontag im Publikum saß von RP Kahl ist die Nachstellung der Podiumsdiskussion A dialogue of womens liberation aus New York vor 50 Jahren. Autor Norman Mailer diskutierte mit Protagonistinnen der feministischen Bewegung der 70er Jahre. Der Regisseur als Norman Mailer und Schauspielerinnen wie Saralisa Volm und Luise Helm spielen in Klärchens Ballhaus die Diskussion nach und in dazwischen geschnittenen Gesprächen zwischen den Schauspielern wird dies auf das Heute reflektiert. Eine immer noch aktuelle Diskussion und mal etwas völlig anderes von RP. Die Doku startet am 5.5. im Kino.

In Zwischensaison von Tina Tripp porträtiert die Regisseurin vier Jugendliche, die in Hotels auf der Insel Usedom ihre Ausbildung und Praktika erhalten. Alle hängen zwischen der Entscheidung im Gaststättengewerbe zu bleiben oder doch etwas anderes zu machen. Und will man auf der Insel bleiben, welche zwar ein schöner Ort für Feriengäste ist, aber für die Einheimischen wenig bietet? Und auch Corona wird eingearbeitet, wo die Azubis plötzlich ausbildungsfremde Dinge wie Renovierungen machen sollen, wo alle anderen auf Kurzarbeit sind. Verstärkt wird dieses interessante Porträt der jungen Leute durch den gewohnt guten Schnitt von Maja Tennstedt.

Die Dokumentationen Lo que queda en el camino und Nasim befassen sich mit dem Thema Flucht. Lo que queda en el camino von Jakob Krese und Danilo Do Carmo zeigt die Flucht von Lillian mit ihren vier kleinen Kindern aus Guatemala in Richtung USA. 4000 Kilometer zu Fuss, per Anhalter und gefährlichen Bahnfahrten. Und am Ende bleibt nur das Bleiben in Mexiko, da die Grenzmauer unüberwindbar erscheint. Aber wenigstens die Kinder können  dort zur Schule. Nasim von Arne Büttner und Ole Jacobs porträtiert die 36-jährige Afghanin, die dort zwangsverheiratet wurde, und nun mit ihrer Familie in Griechenland für lange Zeit im Auffanglager Moria strandet, um auf den Entscheid ihres Asylantrags zu warten. Doch dann wird das Lager in Brand gesteckt. Beide Filme haben sympathische und zum Oberhaupt der Familie gewordene Frauen im Zentrum, für die man hofft, dass sie bald ein besseres Leben haben werden.

Das Highlight im Spotlight war der neue Film von Schauspieler und Regisseur Timo Jacobs Stand up! Was bleibt, wenn alles weg ist. Der Dauergast des Festivals spielt diesmal den Comedian Charlie Schwarzer, der an einer Form von Demenz leidet und sich keine neuen Witze mehr merken kann. Gleichzeitig verlässt ihn seine Frau (Pegah Ferydoni), eine ständig unter Drogen stehende Malerin. Sein Schwiegervater verwickelt ihn in einen Kunstraub und auch ansonsten hat er genug Probleme. Timo Jacobs schafft es in seinem gleichzeitig tragischem wie witzigem Film das Porträt eines Mannes zu zeigen, der sich beim Versuch zu retten, was zu retten geht, nicht unterkriegen lässt und hat dabei die Unterstützung vieler bekannter Schauspieler. Und findet ein schönes Ende für den Film. Hoffen wir, dass er beim Kinostart am 16.6. viele Zuschauer finden wird.

Abgerundet wurde das Programm mit Kurzfilmen, mittellangen Filmen, Serienfolgen und der Retrospektive mit Filmen der verstorbenen DDR-Dokumentarfilmregisseurin Petra Tschörtner.

Harald Ringel

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