Film:Schweiz – vom 14. bis 21. September 2022 ist im Eva Lichtspiele das Schweizer Kino in Berlin zu geniessen! Gespräch mit der Festivalleiterin Teresa Vena
Das Festival, das das Schweizer Kino in Berlin in den Fokus rückt, kehrt für seine vierte Ausgabe an einen neuen Ort zurück, die Eva Lichtspiele, eines der ältesten Kinos in Berlin.Wie bereits Tradition am Festival wird den Langfilmen, jeweils ein Kurzfilm vorangehen. Vertreten sind dabei fast alle Filmgenres von Komödie über Drama, Liebesgeschichte, Coming-of-age bis Horror. Das Augenmerk liegt auf dem Spielfilm, doch bietet ein Programmblock mit zwei mittellangen Werken auch Einblick ins Dokumentarfilmfach.
Eröffnen wird das Festival am 14. September die Komödie Moskau einfach! (2020) von Micha Lewinsky (die Kritik auf Französisch). Darin geht es um den Fichenskandal von 1989. Die Polizei bespitzelte für sie als subversiv geltende Bürger und legte eine Fiche über sie an. Ein besonders linientreuer Beamte soll Mitglieder eines Theaterensembles aushorchen und muss sich dazu unter sie mischen.
Wie gewohnt präsentiert das Festival verschiedene Genres des Schweizer Films sowie Klassiker, in diesem Jahr Dällebach Kari (1971) von Kurt Früh. Dieser sowohl todtraurig und wunderschön lustiger Film erzählt von einem Aussenseiter, der um mit der Ablehnung der Menschen umzugehen, sich zum Clown hat machen lassen.
Das Dokumentafilm-Trio ist zwei Schweizer Persönlichkeiten gewidmet. Die erste ist der Künstler HR Giger (HR Giger Sanctuary, Nick Brandestini, Steve Ellington) der für seine Alien-Gestaltung einen Oscar erhielt und eigentlich viel bekannter sein könnte. Und der zweite ist Swiss Elvis von Olmo Cerri, der die Geschichte eines der besten und offiziellen Elvis Presley-Imitatoren erzählt, der nach kurzem Erfolg ein halbes Leben in einem kleinen Schweizer Bergdorf verbracht hat. Der Essay-Landschaftsfilm Vierzehn Bilder von Erich Busslinger ergänzt die Auswahl.
Alle Filme werden in der schweizerdeutschen, französischen oder italienischen Originalfassung mit deutschen oder vereinzelt mit englischen Untertiteln gezeigt.
Es ist die 4. Ausgabe des Film:Schweiz. Spüren Sie ein wachsendes Interesse am Schweizer Kino, seit Sie das Festival ins Leben gerufen haben?
Das ist schwierig zu sagen, denn bereits bei der ersten Ausgabe haben wir erfreulicherweise ein reges Interesse am Festival vermerkt. Das blieb in der zweiten Ausgabe so, wir haben sogar Stammbesucher gewonnen. Dann kam Corona und hat die Durchführung der dritten Ausgabe um ein Jahr verzögert. Der Termin, den wir dann im 2021 dafür gewählt haben, war unglücklich, genau zum erstmöglichen Zeitpunkt nach dem Lockdown. Das war ein zu unsicherer Moment. Deswegen fangen wir dieses Jahr auf gewisser Weise nicht vollständig, aber doch wieder von vorne an mit der Werbung. Dass wir ein neues Kino haben, wird sich ebenfalls auf den Publikumszuspruch auswirken. Ich hoffe, eigentlich im positiven Sinne. Es sollte zu einer Publikumszusammensetzung kommen und durch die Lage des Kinos sollten auch mehr Menschen unseres Zielpublikums erreicht werden.
Abgesehen davon, merke ich, dass sich im persönlichen Gespräch über das Festival und den Schweizer Film grosses Interesse bemerkbar macht. Es ist immer noch so, dass viele sich wenig unter Schweizer Filmschaffen vorstellen können, aber dann erstaunt sind, wie vielfältig es ist.
Von Anfang an war es Ihnen ein Anliegen, Filme aus den verschiedenen Sprachregionen des Landes zu zeigen: Interessiert sich das Berliner Publikum für Filme aus der Romandie und dem Tessin?
Bisher kann das Publikum nur schwer einordnen, ob ein Film auf Französisch oder Italienisch aus der Schweiz kommt, wie leider überhaupt nur wenige Menschen einen Schweizer Film nennen können, wenn sie danach gefragt sind. Ich muss leider auch sagen, dass bisher die französischsprachigen und italienischsprachigen Filme am wenigsten Resonanz erfahren haben. Aber das ist, denke ich, in erster Linie Zufall.
Doch sie gehören absolut dazu. Mir geht es darum, die Vielfalt des Schweizer Filmschaffens aufzuzeigen, einen Kanon zu bilden und das Bewusstsein für den Film aus der Schweiz zu schärfen. Das ist an sich ein schweres Unterfangen, in Deutschland kommen nur sehr wenige Filme aus der Schweiz in die normale Kinoauswertung. Der Film hat einen schweren Stand, zumindest bis jetzt.
Sie mögen Genrefilme und haben jedes Jahr mehrere Genrefilme in Ihrem Programm. Was gefällt Ihnen an Genrefilmen?
Wenn man es genau betrachtet, sind fast alle Filme in meinem Programm Genrefilme. Komödien, Dramen oder Spannungsfilme, alle orientieren sich an den mehr oder weniger an festen Regeln eines Genres und variieren dann inhaltlich oder auch gezielt auf formaler Ebene. Ich zeige auch experimentellere Filme, doch es stimmt, dass ich eine besondere Vorliebe für Genrefilme habe. Mir gefällt daran besonders, dass dadurch, ist er gut gemacht natürlich, am zugänglichsten gesellschaftskritische Themen besprochen werden können. Das müssen sie aber auch nicht immer. Und auch das gefällt mir sehr. Gerade bei einem Film wie Wer hat die Konfitüre geklaut? von Cyrill Oberholzer und Lara Stoll steht in erster Linie die Lust am Absurden im Vordergrund. Der Rahmen der Handlung ist eine Kriminalgeschichte, Konfitüre aus dem Keller wurde geklaut und der Dieb soll gefasst werden. Doch darüber hinaus wartet der Film mit einer derart einfallsreichen und intelligenten Fülle an originellen Ideen. Der Film hat mich stark an Pipilotti Rists Pepperminta erinnert, den ich auch schon in früheren Ausgaben des Festivals gezeigt habe.
Ist es schwierig, schweizerische Genrefilme zu entdecken?
Es gibt eine kleinere Anzahl von Schweizer Genrefilmen im Bereich des Horror oder Spannungsfilms. Komödien gibt es etwas mehr. Aber Humor ist ja bekanntlich Geschmackssache, mich spricht mehr surrealistischer, absurder Humor an. Davon gibt es nicht viel im Schweizer Film. Dafür braucht es Mut und Selbstbewusstsein, die dem Schweizer Film bisher etwas fehlen, meiner Meinung nach. Beim Spannungsfilm würde ich das ähnlich beurteilen.
Sie zeigen vor jedem Spielfilm einen Kurzfilm: Sind das Abschlussfilme? Wurden sie bereits auf Festivals gezeigt?
Das ist sehr unterschiedlich. Ich habe auch schon als Vorfilme Musikvideos, zum Beispiel von Yello, Werbespots oder auch die Titelsequenz von der Kindersendung Scacciapensieri, die immer auf dem Tessiner Sender lief, als ich klein war, gezeigt. Es ist eine Möglichkeit, noch mehr von der Vielfalt des Schweizer Filmschaffens in der weitesten Definition zu präsentieren. Für mich gibt es keine Hierarchie zwischen Filmemachern und Filmemacherinnen nach Alter oder Erfahrung. Meist merke ich gar nicht, wer genau dahintersteckt, wenn ich den Film zum ersten Mal sehe. Es gab sicher ein paar Mal Abschlussfilme, die ich ins Programm genommen habe wie Yori von Hae-sup Sun, den ich letztes Jahr gezeigt habe. Dieses Jahr sind es Phlegm von Jan-David Bolt.
Die meisten Kurzfilme wurde auch an Festivals gezeigt. Es gibt einige, die allerdings noch nicht im Kinokontext gezeigt wurden. Das hängt davon ab, wie ich sagte, dass sie nicht spezifisch fürs Kino gemacht wurden. Das ist dieses Jahr beispielsweise mit Vierzehn Bildern von Erich Busslinger der Fall. Busslinger ist ein Kunst-Experimental-Filmemacher, der hier vierzehn Landschaftsbilder jeweils für eine Minute eingefangen hat. Ich habe in früheren Ausgaben des Festivals sein Langzeitprojekt Landarchiv in 15-Minuten-Abschnitten gezeigt, in dem er über Jahre durch die Schweiz gereist ist und Impressionen unkommentiert eingefangen hat. Eine herausragende Arbeit.
Mir gefällt die Idee, Kurzfilme nicht in einem eigenen Programmblock zusammenzufassen, sondern sie wie es einmal üblich war, sie als Vorfilm zu nehmen. Ich finde, das gibt dem Format Kurzfilm eine grössere Aufmerksamkeit. Zudem ist die Kombination natürlich nicht willkürlich gewählt, sondern die beiden Komponenten Vor- und Hauptfilm sollen zusammenpassen. So habe ich vor dem Langfilm Das Fräulein von Andrea Štaka, der in Zürich spielt und wo die Protagonistinnen versuchen, sich durch den Alltag zu kämpfen Menschen am Samstag von Jonas Ulrich programmiert. Ulrich hat einen kurzen Dokumentarfilm gedreht, der Menschen in Zürich an einem Samstag durch die Stadt gehen, ein sehr poetischer Film, der den anderes ansprechen wird. Mich hat er aber daran erinnert, wie wir zwar physisch oft über den Weg laufen, aber emotional meistens aus dem Weg gehen.
Schweizer Film aus seinem Alltagstrott herauskommt; neben einigen anerkannten Figuren treten Filmemacher ohne Komplexe auf, und Schweizer Filme behaupten sich auf der internationalen Bühne. Sehen Sie diese Entwicklung auch?
Ja, ich freue mich auch, dass zumindest auf Festivals Schweizer Filme vertreten sind. Immer noch mehr Dokumentarfilme als Spielfilme, aber auch im Fiktionalen zeigen sich Entwicklungen. Schön war es beispielsweise zu sehen, dass dieses Jahr bei der Berlinale gleich so unterschiedliche Filme aus der Schweiz vertreten waren (u.A. Drii Winter von Michael Koch, Kandidat für die Schweiz an den Oscars 2023; Unrueh von Cyril Schäublin; La Ligne von Ursula Meier; [die drei Kritik sind auf Französisch], Anm. d. Red.). Bisher sehe ich es als die Leistung von Einzelpersonen, noch nicht unbedingt als allgemeine Entwicklung. Was mir fehlt, ist, dass sich die Filme nur am Rande mit der Schweiz identifizieren lassen. Es gibt nichts dagegen zu sagen, dass sich die Schweiz finanziell breitflächig an internationalen Produktionen beteiligt. Offiziell sind diese Filme alle Schweizer Filme, doch nach meiner Einschätzung nach, tragen sie nur wenig dazu bei die Besonderheit des Schweizer Filmschaffens herauszustellen.
Dieses Jahr gibt es einen neuen Veranstaltungsort für das Festival: die Eva Lichtspiele, eines der ältesten Kinos in Berlin. Können Sie uns etwas über diesen neuen Ort sagen?
Die Eva Lichtspiele befinden sich in Berlin-Wilmersdorf im Westen der Stadt. Das Kino ist ein Programmkino mit einem schönen Saal, der ungefähr 200 Sitzplätze hat. Es wird intim von seinem Leiter Karlheinz Opitz und seinen Mitarbeitern geführt. Neben den Neuerscheinungen zeigt das Kino einzelne Sonderveranstaltungen. Es wird sich herausstellen, wie empfänglich das Publikum, das eher etwas ältere und gutbürgerlich ist, auf unser Programm reagieren wird.
Wird das Publikum das Vergnügen haben, Gäste zu treffen?
Ich freue mich sehr, dass das Team des Coming-of-age-Films Sami, Joe und ich nach Berlin reisen wird. Anwesend werden die Regisseurin Karin Heberlein, eine der Hauptdarstellerinnen, Jana Sekulovska, die Schnittmeisterin Marion Tuor sowie die Kostümverantwortliche Regina Gyr. Eventuell wird auch der Regisseur des Eröffnungsfilms Moskau Einfach!, Micha Lewinsky kommen können, das wird sich aber erst kurzfristig zeigen. Auf jeden Fall laden wir alle auf eine tolle Eröffnung, bei der es Schweizer Käse geben wird, ganz im Einklang mit der diesjährigen Gestaltung des Festivals.
Malik Berkati
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