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lifestyle & responsible citizenship

Auteur : Dieter Wieczorek

Cinéma / KinoCulture / Kultur

Karlovy Vary 2025 – 120 000 Vermisste des kolumbianischen Bürgerkrieges appellieren an die mögliche Einheit der Nation

In seinem komplexen filmischen Essay in Form eines seines hybriden Dokumentarfilmes kehrt der kolumbianische Regisseur Federico Atehortúa Arteaga erneut zurück zur Interferenz zwischen Kolumbiens politischen Geschichte und des Filmmediums. Bereist in Pirotecnia (auch: Mute Fire) (2019) verfolge er die Entstehung einer nationalen kollektiven Identität durch mediale Mitteln seit den Anfängen des letzten Jahrhunderts. Dort thematisiert er ebenso den Gebrauch von gefälschten Bildern, die von der Armee getötete Jugendliche als Guerillakämpfer verkleidet zeigen, um einen scheinbaren Sieg im bewaffneten Konflikt vorzutäuschen. Im aktuellen in Karlovy Varys Internationalen Film Festival im Proxima Wettbewerb gezeigten Werk Forensics (Forenses) wird die Geschichte Kolumbiens erneut erzählt, diesmal fokussiert auf die etwa 120 000 Vermissten, Opfer zumeist des zivilen Krieges zwischen der Armee und den FARC. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Karlovy Varys Hauptpreis 2025 geht an ein das Aussenseitertum zelebrierendes Werk – Better Go Mad in the Wild

Bereits die erste Einstellung verblüfft. Ein graubärtiger Mann steht in einer sehr hohen Baumkrone und deklariert einen Text, der sein Leben und seinen Tod auf unserer Erde affirmiert. Sofort werden wir Zeuge eines nicht nur alternativen, sondern wirklich aussergewöhnlichen Lebens eines Zwillingsbrüderpaares fortgeschrittenen Alters. František und Ondrej Klišík, die ihre Geburtslandschaft Šumava, ein Naturschutzgebiet im Böhmerwald im Südwesten Tschechiens, nie verlassen haben. Sie verbrachten ihr Leben in einem kleinen Landhaus ohne Heizung, zusammen mit ihren Haus- und Nutztieren, die alle ihren Eigennamen haben. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Karlovy Vary 2025 – Der Krieg gegen die Natur: Im aktuellen Kriegstreiben wird selten von der Natur gesprochen, Divia schweigt hier nicht

In den ersten Minuten scheint der Zuschauer mit einem Naturfilm konfrontiert zu sein, der die Schönheit einer noch intakten Natur beschreibt, ein ungestörtes Pflanzen- und Tierleben, beobachtet aus Dronenperspektive. Schmetterlinge, Schwalben, Rehe, Bären und Hirsche unter sich, dies könnte Teil unserer Wirklichkeit sein. Das war sie erst. Doch die Realität sieht anders aus. Erste Bombeneinschläge werden hörbar, erste Brandanschläge sichtbar. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Physische Erkrankungen als gesunde Reaktion auf erkrankte Gesellschaften – Karlovy Varys International Film Festival würdigt die fragilen „Versager“

Eine junge Frau fährt mit ihrem Fahrrad durch eine Grosstadt. In dieser ersten Sequenz wird bereits ein Unbehagen spürbar. Die potenzielle Gefahr dieser banalen Fahrt durch eine grossstädtische Normalität wird amplifiziert durch den im Off erklingenden Bericht dieser Frau über ihren Unfall. Ihren physischen Schmerz empfand sie erst Stunden später, als ihr Zustand sich bereits zunehmend verschlimmert hatte. Dieses Ereignis macht ihr plötzlich bewusst, dass Mechanismen der Verdrängung bereits seit langem ihr Verhaltensmuster bestimmen. (…)

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Cannes 2025Cinéma / KinoCulture / Kultur

Cannes 2025 – Semaine de la Critique: Imago – Eine vorsichtige Reise zu den existenziellen Fragen des Lebens

Seit nunmehr 10 Jahren realisiert Cannes Festivals auch einen  Dokumentarfilmwettbewerb L’Œil d’or. In diesem Jahr ging der Hauptpreis an ein aussergewöhnliches intimes Werk, das ohne spektakuläre Effekte oder direkte Aktualitätsbezüge auskommt und Schritt für Schritt seine ganz eigenartige, in Erinnerung bleibende Wirkung entfaltet. Déni Oumar Pitsaev tastet sich in seinem Werk Imago, präsentiert in Cannes Semaine de la critique-Sektion, sehr vorsichtig und sich Zeit nehmend an die Schlüsselfragen menschlicher Existenz. Heimat, Verortung, Familie, Generationskonflikt, Mut und Versgagen, Verantwortung, Widerstand und Anpassung, kurz, hier wird letztlich der Sinn des Lebens selbst zum Thema. (…)

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Cinéma / KinoCulture / KulturRecit / Bericht

Schweigen als Strategie – Bei den Oberhausener Kurzfilmtage 2025 bleiben viele Fragen offen 

(…)Wenden wir uns lieber einigen preisgekrönten Filmen zu. Mit dem Hauptpreis der internationalen Jury gekrönt wurde Mikhail Zheleznikov (*1972, Leningrad) Film The Sq∞are (org. Dvorts∞vaya). Er schafft ein Werk über die Absurdität der Machtpolitik und dessen Inszenierung. Nach einer schwebenden Fahrradumkreisung des zu diesem Zeitpunkt fast leeren Palastplatzes (der ehemalige Petersplatz) in Sankt Petersburg schöpfte Zheleznikov aus einer Fülle von Archivmaterialien, um hier statthabende Massenaufläufe und Deklarationen über ein Jahrhundert hinweg zu dokumentieren. Da er sich für eine nicht-chronologische Aneinanderreihung der Manifestationen entscheidet, dechiffriert sein Werk die Inkonsistenz und Willkürlichkeit der offiziellen Machtpolitik, die andere Machtblöcke in wechselhaftem Spiel zu Feinden und Freunden erklärt. Machtpolitik erscheint als willkürliches, gewaltdurchtränktes Agieren, wie es grad gefällt. Mikhail Zheleznikov integriert auch Bildes des Protestes, selbst Versuche das Podium zu stürmen, samt deren Niederschlagung. Ist heute – diese Frage dringt sich auf – überhaupt noch eine von der „Strasse“ ausgehende Revolution denkbar? Zunehmend perfektionierte Überwachungstechnologien und militärisches Instrumentarium lassen daran zweifeln, gewiss nicht nur auf dem Palastplatz. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Die Nachstellungen des Faschismus: Fiume o morte! von Igor Bezinović

Das Rotterdammer IFFR zeigte ein überaus aufschlussreiches Werk zum Stand der nationalistischen Dinge.
Er war ein Poet, Theaterschreiber und Aristokrat, fasziniert von Heroismus und Pathos, und in dieser Funktion kam Gabriele D’Annunzio zum ersten Mal eingeladen in die heutige kroatische Küstenstadt Rijeka, die damals sich Fiume nannte. Diese Einladung war wohl nicht die beste Idee, denn derselbe Mann inszenierte, rebellierend gegen die durch den Pariser Friedenskonferenz 1919 erfolgte Zuteilung der Stadt an Jugoslawien, einen Privatkrieg für die Verteidigung der aus seiner Sicht italienischen Stadt, die Hunderten von Italieners, die nun auf beiden Seiten kämpfen, das Leben kostete. (…)

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Cinéma / KinoCulture / KulturRecit / Bericht

Das Tampere Film Festival 2025 – Der verletzbare Einzelne in destruktiven Umwelten

Es gibt zwei Argumente, die besondere Bedeutung des Tampere Film Festival gegenüber den beiden anderen internationalen Kurzfilmfestival in Oberhausen und Clermont-Ferrand hervorzuheben. Zunächst einmal der Verzicht auf eine Premiereanforderung. Dieser destruktive Mechanismus, der im kommerziellen Eingang zwischen (immer mehr) Filmfestival und Distributoren betrieben wird, führt zur zeitlichen Blockierung der möglichen Präsentation relevanter Filme an Hunderten von Festivalorten. In Tampere (Finnland) aber kann sich das Publikum auf eine wirkliche „Best-of-the-Year“ Auswahl freuen. Filme kommen von unterschiedlichen Festivals, einschliesslich Cannes, nach Tampere. Natürlich gibt es auch viele Premieren zu sehen. Die Dinge schliessen sich nicht aus. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Visions du Réel 2025 – To Use a Mountain von Casey Carter: Die tödliche Atomtechnologie und die Missachtung konstitutioneller Rechte

Nyons Vision du Réel Festival offeriert ein weiteres Beispiel autodestruktiver Tendenzen in den USA: Sie waren eine glückliche und autonome Gemeinde auf indianischen Grund. Eingekauft werden musste lediglich Zucker, Pfeffer und Salz. Doch dann kam der Tag im Jahr 1982, als sie erfuhren, dass ihr Land als mögliche dauerhafte Stätte für 77000 Tonnen atomaren Müll des höchsten Gefährdungsgrades deklariert worden war. Der Zerfall ihrer sozialen Gemeinschaft begann. Servicestationen wurden aufgegeben, Arbeitsplätze verschwanden, Anbauflächen gingen verloren. Hinzu kommt, dass der Wind den radioaktiven Staub über die Grenzen der Sicherheitszonen hinweg hinein auch in benachbarten Zonen treiben würde, darunter auch Nationalparks. Die nächsten 400 Generationen werden mit einer gefährlichen Ausstrahlung des Materials konfrontiert bleiben. (…)

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Cinéma / KinoCulture / Kultur

Visions du Réel 2025 – Blame von Christian Frei: Wissenschaft auf der Abschussliste der Fake News

Die Stellungnahmen in einer der ältesten und renommiertesten medizinischen Zeitschriften ist klar: „Disinformation has become a delibertate instrument to attack and discredit scientists and health professionals for political gains“, zu lesen in „The Lancet“ vom 18. Januar 2025, zwei Tage vor der zweiten Amtseinführung Trumps. Mit diesem Zitat beginnt Christian Frei’s in Nyon’s Visions du Réel als Eröffnungsfilm gezeigten Dokumentarfilm Blame. (…)

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