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Vom 24. – 30. April 2024 findet die diesjährige Ausgabe von ALFILM – Arabisches Filmfestival Berlin statt und damit auch das 15-jährige Jubiläum des Festivals

Seit den tragischen Ereignissen im Nahen Osten am 7. Oktober ist die Notwendigkeit kultureller Räume, die es dem Publikum ermöglichen, sich mit anderen Erzählungen als denen auseinanderzusetzen, die von den westlichen Medien verbreitet werden, zu einem öffentlichen Anliegen geworden. Insbesondere in Zeiten zunehmender Zensurbestrebungen, sei es durch vermehrten Einsatz von Gerichtsverfahren zur Einschränkung der Meinungsfreiheit oder durch politische Massnahmen wie die Androhung von Streichung von Subventionen, wird eine andere Sichtweise auf die Ereignisse – eine Perspektive, die von denjenigen stammt, die direkt betroffen sind – von Bedeutung.

 

Zuschauer*innen sind hungrig nach solchen Begegnungen, nach dem Stellen von Fragen und dem gelegentlichen Nicht-Einverstanden-Sein, aber auch nach dem Austausch. Filme wie No Other Land, der auf der letzten Berlinale gezeigt wurde und den Berlinale Dokumentarfilmpreis sowie den Publikumspreis für den besten Dokumentarfilm erhielt, von Basel Adra, Yuval Abraham, Hamdan Ballal & Rachel Szor (hier die Kritik und Interview auf Französisch), oder Diaries from Lebanon von Myriam El Hajj (hier die Kritik auf Deutsch), lockten volle Säle an und sahen sehr aktive Q&A-Sessions. Diese Filme setzen ihre Reise durch internationale Festivals mit derselben Neugier fort. Beim bedeutenden europäischen Dokumentarfilmfestival Visions du Réel, das gerade in Nyon, Schweiz, zu Ende gegangen ist, war das Interesse an diesen beiden Filmen spektakulär, und No Other Land gewann dort auch den Publikumspreis.

Über arabisches Kino zu sprechen, ergibt genauso viel Sinn wie über europäisches Kino zu sprechen: keinen. Wenn man den Besonderheiten des isländischen, französischen oder ungarischen Kinos Rechnung trägt, gilt dasselbe für den Raum der sogenannten arabischen Länder, die nicht monolithisch sind. Das ALFILM Festival zeigt dies seit 15 Jahren erfolgreich auf. Auch dieses Jahr verspricht das Festival mit einer breiten Auswahl von 50 Spielfilmen, Dokumentationen und Kurzfilmen seinem Publikum ein vielseitiges Programm, das künstlerisch wertvolle Produktionen zu aktuellen Themen präsentiert.

Die Berliner Premiere des palästinensischen Dokumentarfilms Bye Bye Tiberias von Lina Soualem wird das diesjährige Festival eröffnen und damit alle drei Sektionen des Festivals – die ALFILM Selection, das ALFILM Spotlight und das Special Program 15 Jahre ALFILM.
In dem Film kehrt die gefeierte palästinensische Schauspielerin Hiam Abbas zusammen mit ihrer Tochter, der Filmemacherin Lina, in ihr Heimatdorf Deir Hanna zurück und begibt sich auf eine Reise durch die verstreuten Erinnerungen von vier Generationen mutiger palästinensischer Frauen. Durch ergreifende Zeugenaussagen, historisches Archivmaterial, Heimvideos, Fotos und Briefe bietet Bye Bye Tiberias eine fesselnde Aufarbeitung des jahrzehntelangen Leidens der Palästinenser*innen.
Hier die Kritik des Filmes und Interview mit Lina Soualem auf Französisch.

Bye Bye Tiberias von Lina Soualem
© Frida Marzouk, Beall Productions

In der ALFILM Selection wird die Vielfalt der zeitgenössischen arabischen Kinolandschaft durch Filmproduktionen der letzten zwei Jahre hervorgehoben. Ein spezielles Segment mit dem Titel persona non grata konzentriert sich auf die Darstellung individueller Schicksale, die komplexen Dynamiken von Marginalisierung, Stigmatisierung und Ausgrenzung unterliegen. Die Filme dieses Segments beleuchten einerseits die rassistischen, geschlechtsspezifischen und sozioökonomischen Strukturen, die Stigmatisierung und Marginalisierung fördern, und zeigen andererseits individuelle Bemühungen auf, Widerstand zu leisten, Barrieren zu überwinden und die eigenen Erzählungen wiederzuerlangen.

Das ALFILM Spotlight mit dem Titel Here is Elsewhere: Palestine in Arab Cinema and Beyond beschäftigt sich mit der Frage Palästinas als Ursache regionaler und globaler Auswirkungen, nicht allein in Bezug auf territoriale Souveränität. Das Filmprogramm erkundet die vielfältigen Wege, auf denen sich die Sehnsüchte und Bemühungen des palästinensischen Volkes durch mitfühlende Begegnungen, Solidaritätserklärungen und Reisen der Selbstfindung entfalten. Es präsentiert eine breite Auswahl von arabischen und internationalen Filmproduktionen, darunter Werke von Jean-Luc Godard und Costa-Gavras.

Im Rahmen des Festivals findet am 27. April im Sinema Transtopia eine Podiumsdiskussion & Networking Session in Kooperation mit AFRIKAMERA statt– das Festival der afrikanischen Kinos, das im Herbst in Berlin stattfindet –, die sich mit der Frage nach arabischen und afrikanischen Perspektiven in der aktuellen deutschen Filmszene beschäftigt.

Einige Höhepunkte :

Inshallah A Boy von Amjad Al Rasheed : Nach dem Tod ihres Mannes kämpft Nawal darum, ihr Zuhause zu behalten und für ihre Tochter zu sorgen. Als ihr Schwager ihre Wohnung beansprucht, gerät sie in eine verzweifelte Lage. Nawal ringt mit ethischen Dilemmata, während sie für ihr Erbe und die Zukunft ihrer Familie kämpft. Der Film, der 2023 beim Cannes Film Festival debütierte, beleuchtet Nawals Kampf um Würde und Gerechtigkeit, ausgezeichnet mit dem Gan Foundation Award und dem Rail d’Or Award. Kritik auf Französisch

Goodbye Julia von Mohamed Kordofani : Mona, eine pensionierte Sängerin aus dem Nord-Sudan, verursacht versehentlich den Tod eines Mannes aus dem Süd-Sudan. Geplagt von Schuldgefühlen, bietet sie dessen Witwe Julia und deren Sohn Zuflucht an. Eine unkonventionelle Dynamik entwickelt sich, als Julia in Monas Haushalt arbeitet. Der Film feierte seine Premiere in der Sektion Un Certain Regard der Filmfestspiele von Cannes 2023, wo er mit dem Freedom Prize ausgezeichnet wurde. Kritik auf Französisch

Notes on Displacement von Khaled Jarrar ist eine bewegende Dokumentation, die die Reise einer palästinensischen Familie erzählt, die als Flüchtlinge in Syrien lebten und 2015 erneut fliehen mussten. Nadira, eine Einwohnerin von Nazareth, ist seit ihrem zwölften Lebensjahr in Yarmouk in Syrien als Flüchtling, nachdem sie während der Nakba von 1948 zum ersten Mal vertrieben wurde. Abseits der stereotypen und entmenschlichten Bilder in den Medien von überfüllten Booten und riesigen Zeltlagern führt Khaled Jarrar das Publikum in Begleitung von Nadira, ihrer Tochter und ihrem Schwiegersohn auf dieser erschütternden Flucht nach Deutschland. Kritik und Interview von Khaled Jarrar auf Französisch.

The Burdened von Amr Gamal feierte seine Premiere in der Sektion Panorama der 73. Internationalen Filmfestspiele Berlin und wurde mit dem Publikumspreis (zweiter Platz) und dem Amnesty Award ausgezeichnet. Isra’a und Ahmed leben mit ihren Kindern in Aden im Südjemen, wo sie mit finanziellen Schwierigkeiten und den Herausforderungen des Bürgerkriegs konfrontiert sind. Ahmed arbeitet nun als Fahrer, nachdem er früher für das Fernsehen tätig war. Als Isra’a unerwartet schwanger wird, stehen sie vor der Entscheidung, das Kind abzutreiben. Ihre Odyssee durch die gesellschaftlichen Tabus und religiösen Skrupel beginnt.

The Burdened von Amr Gamal
Foto mit freundlicher Genehmigung ALFILM

The First 54 Years – An Abbreviated Manual for Military Occupation von Avi Mograbi . Als Verfechter des subjektiven Dokumentarfilms erforscht Avi Mograbi in seinem ikonoklastischen filmischen Ansatz in „Die ersten 54 Jahre – Kurzanleitung zur militärischen Besatzung“ die Mechanismen der israelischen Besatzung in den palästinensischen Gebieten. Das Interview mit dem israelischen Filmemacher.

Dirty, Difficult, Dangerous von Wissam Charaf. In Beirut, Libanon, entsteht zwischen dem äthiopischen Hausmädchen Mehdia und dem aus Syrien geflohenen Ahmed eine unmögliche Liebe, während sie mit prekären Lebensbedingungen kämpfen. Trotz zunehmender Feindseligkeit in ihrer Umgebung versuchen sie, zusammenzuhalten und den widrigen Umständen zu trotzen. Wissam Charaf erzählt einfühlsam und humorvoll ihre Geschichte.

It Must Be Heaven von Elia Suleiman. Elia Suleiman porträtiert in seinem Film Palästina nicht nur als einen Ort, sondern vielmehr als einen Zustand, der überall repliziert werden kann. Sein Alter Ego, E.S., ein Regisseur aus Nazareth, reist nach Paris und New York, um seinen Film zu finanzieren. Mit einem zurückhaltenden Lächeln beobachtet er die absurde Welt um ihn herum. Suleiman kommentiert humorvoll den globalen Zustand und erhielt für seinen Film eine besondere Erwähnung beim Hauptwettbewerb der Filmfestspiele von Cannes. Kritik auf Französisch.

Das Festival findet in der ganzen Stadt statt: Arsenal Cinema, City Kino Wedding, CineStar Kino in der KulturBrauerei, Sinema Transtopia, Wolf Kino, silent green Kulturquartier, Gretchen.

https://alfilm.berlin/programm

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