j:mag

lifestyle & responsible citizenship

Culture / KulturLittérature / Literatur

19. ilb – Das Internationale Literaturfestival : Eine Veranstaltung die mehr denn je ein Echoraum der Welt ist

Der Berliner Spätsommer reimt sich auf das ilb, das Internationale Literaturfestival, sein reichhaltiges Programm, seine kulturellen und politischen Positionen und hochkarätige Gäste, die ihre Werke präsentieren und ein interessiertes und informiertes Publikum treffen. Dieses Jahr dennoch eine kleine aber bedeutende Aenderung: Für die nächsten 3 Jahre nutzt das Haus der Berliner Festspiele die Sommerpause, um die notwendigen Sanierungsarbeiten durchzuführen. Seit Jahren ist dieser Ort das pulsierende Herz des Festivals, wo sich Autoren, Leser, Presse und Fotografen in einer freundlichen Atmosphäre treffen. Das Festival hat sicherlich hervorragende Orte gefunden, die für viele von ihnen bereits in früheren Ausgaben Treffpunkte waren, aber ohne Garten, ohne “Autorenzelt” verliert das Festival leider etwas von seiner Seele des kulturellen Flanierens. Die neue Hauptveranstaltungsorte sind das Hebbel am Ufer HAU1+2, die James-Simon-Galerie auf der Museumsinsel, das Collegium Hungaricum Berlin und das silent green Kulturquartier im Wedding.

Das 19. internationale literaturfestival berlin [ilb] findet bis 21. September 2019 statt. Rund 150 Autor*innen aus über 50 Ländern in den Genres Prosa, Lyrik, Nonfiction, Graphic Novel und Kinder- und Jugendliteratur sind auf dem 19.ilb zu Gast. Drei Themenschwerpunkte prägen das Programm in diesem Jahr: Decolonizing Worlds II, About:Sex und Automatic Writing 2.0 im Rahmen des Wissenschaftsjahres „Künstliche Intelligenz“.

In der Kernsektion Literaturen der Welt finden ca. 60 Veranstaltungen statt, darunter zahlreiche Buchpremieren. Zu den Auftretenden zählen: André Aciman [Ägypten/ USA], José Eduardo Agualusa [Angola], Benyamin [Indien], Nora Bossong [D], Esi Edugyan [Kanada], Tomas Espedal [Norwegen], Sherko Fatah [D], Édouard Louis [F], Nicolas Mathieu [Frankreich], Chimamanda Ngozi Adichie [Nigeria/ USA], Tommy Orange [USA], Claudia Piñeiro [Argentinien], Rodrigo Rey Rosa [Guatemala], Karina Sainz Borgo [Venezuela/ Spanien], Dag Solstad [Norwegen], Ocean Vuong [Vietnam/ USA] u.v.m.

In der Langen Nacht der Poesie am 13. September treten Nouri Al-Jarrah [Syrien/ GB], Ghayath Almadhoun [Syrien/ S], Hussein Bin Hamza [Syrien/ D], Don Mee Choi [Südkorea/ USA], Maren Kames [D], Meena Kandasamy [Indien/ GB], Eileen Myles [USA], Que Mai Nguyen Phan [Vietnam/ Indonesien], Vera Pavlova [Russland/ USA] und Joachim Sartorius [D] auf.

Am 14. September findet eine Sinti und Roma Poetry Night mit Karl- Markus Gauß [Österreich], Dotschy Reinhardt [D], Jovan Nikolic [Serbien/ D] u.a. statt.

Ein Abend für Etel Adnan [Libanon/ F] würdigt das Werk der 94-jährigen Autorin in Gespräch und Lesung. Die Schauspielerin Corinna Harfouch wird aus den Texten Adnans vorlesen. In Abwesenheit der Autorin wird auch der neu auf Deutsch vorliegende Roman Tage des Verlassenwerdens von Elena Ferrante [I] vorgestellt und von Schauspielerin Eva Mattes gelesen werden.

Der von Lars Törne kuratierte 9. Graphic Novel Day am 15. September stellt bemerkenswerte europäische Comicneuheiten vor. Am Vorabend präsentiert der vielfach ausgezeichnete Schriftsteller Mathias Énard [F] die Graphic Novel Zuflucht nehmen – eine Liebesgeschichte, die zwischen dem Afghanistan des Jahres 1939 und dem Berlin des Jahres 2016 oszilliert, die er gemeinsam mit Comicautorin Zeina Abirached verfasste.

In der neu geschaffenen Reihe The Art of Writing lassen sich die Autor*innen Florian Illies [D], Chimamanda Ngozi Adichie [Nigeria], Maxim Biller [D] und Alain Mabanckou [Kongo/ USA] über ihr Schreiben befragen.

Sektion: Reflections

Politische Gesprächsrunden widmen sich aktuellen Themen der Weltgeschichte: von Bolsonaros Brasilien (mit Perry Anderson, Djamila Ribeiro und Luiz Ruffato], den Regierungskrisen in Venezuela und Nicaragua (mit Sergio Ramírez und Karina Sainz Borgo), bis zur Situation in Saudi- Arabien nach dem Mord an dem Journalisten Jamal Kashoggi (u.a. mit Susanne Koelbl, Guido Steinberg, Madawi Al-Rasheed).

Für die politische Kraft der Literatur stehen auch der Philosoph Didier Eribon [F], die Schriftsteller Édouard Louis [F] und Tash Aw [Malaysia/ GB] sowie der Philosoph Geoffroy de Lagasnery [F]. Sie alle werden vom 19. – 21. September zu Gast beim 19. ilb sein und neben der Vorstellung eigener Werke über ihre Haltung zur Gelbwesten-Bewegung und Frankreich unter Macron Auskunft geben.

Die Politisierung der Literatur zeigt sich paradigmatisch auch in der Form der lateinamerikanischen Crónicas. Die Autor*innen Leila Guerriero [Argentinien] und Oscar Martínez [Venezuela] stellen ihre ebenso wirklichkeitsgesättigten wie poetischen Reportagen vor. Robert Habeck [D] und Joschka Fischer [D] sprechen am 16.09. im HAU1 über 40 Jahre Die Grünen – und die aktuelle politische Situation.

Die Sektion: Erinnerung, sprich richtet ihren Blick auf Paul Bowles [USA/ Marokko] Tanger, James Baldwins [USA] Essayband Nach der Flut das Feuer, Jörg Fausers [D] rauschhafte Beat- und Reportage-Literatur und Boris Poplawskis [Russland] russische Emigrantenszene im Paris seines lyrisch-überbordenden Romans Apoll Besobrasow.

— James-Simon-Galerie
© Malik Berkati

Sektion: Science and the Humanities

Hier treffen sich Wissenschaft und Literatur. Der Schriftsteller David Wagner [D] und der Arzt Michael de Ridder [D] sprechen über Literatur und Medizin. Um die Folgen von Flucht und Trauma auf die menschliche Psyche geht es im Gespräch zwischen Andreas Heinz [D], Direktor der Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie an der Charité, und dem Autor Mustafa Khalifa [Syrien/ F], der in Das Schneckenhaus seine langjährige Inhaftierung in Aleppo verarbeitet.

Im Rahmen des Wissenschaftsjahrs 2019 widmet sich die Spezialreihe Automatic Writing 2.0 sprachlichen, gesellschaftlichen und philosophischen Aspekten der Künstlichen Intelligenz. Ausgehend von exklusiv für das Festival verfassten Kurzgeschichten tauscht sich ein internationales Gästeensemble über aktuelle und zukünftige KI-Anwendungen aus — von alltäglichen Implementierungen bis hin zu transhumanistischen Visionen. Neben den Lesungen thematisieren Paneldiskussionen die Wechselwirkungen von Ideen- und Technikgeschichte sowie die Nuancen einer stets komplexer werdenden Mensch-Maschine-Interaktion. Zu den Teilnehmenden zählen u. a. die Experimentalpoetin Ann Cotten, Afrofuturist Jonathan Dotse, Cyberpunk-Romancier Simon Ings, die barbadische Fantastikautorin Karen Lord, der Essayist Mark O’Connell, die schwedische Weird- Fiction-Erneuerin Karin Tidbeck, sowie der Bewusstseinsforscher Uziel Awret, die Medienphilosophin Sybille Krämer, der Gründungsdirektor des Max-Planck-Instituts für empirische Ästhetik Winfried Menninghaus, die Professorin für Gehirnsimulationen Petra Ritter und der Mathematiker Marcus du Sautoy.

Sektion: Specials

Das Festival setzt auch in diesem Jahr wieder eigene thematische Akzente in Veranstaltungsreihen, die Paneldiskussionen und Lesungen verknüpfen.

Das Special About Sex beleuchtet die Geschichte der menschlichen Sexualität, stellt neurologische Forschung und künstlerische Auseinandersetzungen mit Begehren und Sexualität vor. Unter anderem wird André Aciman [Ägypten/ USA], Autor der Romanvorlage des Kino-Erfolgs Call Me By Your Name, über schwules Begehren sprechen. Eileen Myles [USA] stellt ihr autobiografisch-queeres Kultbuch Chelsea Girls vor, das vor dem Hintergrund der New Yorker Literaturszene der 1970er Jahre spielt. Die Autorin von Sexuell verfügbar, Caroline Rosales [D] spricht über Sex heute. Anna Gien [D] und Marlene Stark [D] lesen aus ihrem vieldiskutierten Roman M. John Danaher [Irland] und Sophie Wennerscheid [D] werfen einen Blick in die Zukunft der Sexualität: Robot Sex, und Joseph Vogl gibt Auskunft zu Philosophie und Sex bei Michel Foucault. Zuletzt werden in einer langen Lesenacht gute und schlechte Sex-Szenen der Literaturgeschichte von Schauspieler*innen vorgetragen. Alle Veranstaltungen finden im silent green Kulturquartier im Wedding statt.

Mit dem Special Decolonizing Worlds II setzt das ilb seine 2018 begonnene und auf Jahre angelegte Veranstaltungsreihe zum Dekolonisierungs-Komplex fort. Zur Frage der Restitution äussern sich Guido Gryseels vom Königlichen Museums für Zentralafrika in Tervuren, Belgien und Wiebke Arndt vom Übersee-Museum Bremen, Lars Christian Koch vom Humboldt-Forum und Dan Hicks von der Universität Oxford. Die Schriftsteller José Eduardo Agualusa [Angola] und Luiz Ruffato [Brasilien] sprechen darüber, welche Spuren der portugiesischen Kolonialherrschaft bis heute in der kulturellen und biologischen DNA Brasiliens zu finden sind. Dipesh Chakrabarty spricht über Dekolonisierung der Geschichtswissenschaft. David Diop stellt seinen für den Prix Goncourt nominierten Roman Nachts ist unser Blut schwarz vor, der senegalesische Soldaten im französischen Heer des Ersten Weltkriegs sprachmächtig in Szene setzt. Dieses Special findet in der James-Simon-Galerie statt.

— Christoph Rieger (Leiter der Festivalsektion Internationale Kinder- und Jugendliteratur) Ulrich Schreiber (Direktor des Festivals)
© Malik Berkati

Internationale Kinder- und Jugendliteratur

In der Festivalsektion Internationale Kinder- und Jugendliteratur treten unter anderem Elizabeth Acevedo [USA], Erin Entrada Kelly [USA], Enne Koens [NL], Xun Liu [China], Rose Lagercrantz [S], Iain Lawrence [Kanada], Sebastian Meschenmoser [D], Mårten Sandén [S], Tobias Steinfeld [D] und Rafael Yockteng [Peru/ Kolumbien] auf. Sie stellen ihre neuen Bücher als Premierenlesungen und bei verschiedenen Workshops vor.

Aus Anlass des Ehrengastauftritts Norwegens bei der Frankfurter Buchmesse 2019 veranstaltet die Sektion einen Spotlight Norwegen, bei dem Gro Dahle, Linde Hagerup, Sissel Horndal, Torun Lian, Gry Moursund sowie Svein Nyhus beim Literaturfestival auftreten. In der Buchhandlung Krumulus werden Illustrationen aus den Böckchen-Bande-Bücher von Gry Moursund ausgestellt.

Im Projekt Automatic Writing 2.0 stellen Noelia Blanco [Argentinien/ F], Bernard Beckett [Neuseeland] und Karl Olsberg [D] exklusiv für das junge Programm des ilb geschriebene Kurzgeschichten zum Thema Künstliche Intelligenz vor und sprechen ebenfalls über ihre Bücher, die sie zu diesem Thema schrieben.

Bei LesArt – Berliner Zentrum für Kinder- und Jugendliteratur findet eine Ausstellung mit Begleitprogramm zu Michael Endes Buch Die Unendliche Geschichte statt, das Sebastian Meschenmoser neu illustriert hat.

Ausserdem werden die beim jungen ilb-Programm ausgezeichneten Aussergewöhnlichen Bücher in der Bezirkszentralbibliothek Philipp Schaeffer ausgestellt. Daneben findet zum 17. Mal das Familienfest in der gelben Villa statt, zum zehnten Mal der ilb U20 Poetry Slam, zum fünften Mal das Finale des Lesefüchse-Debattierwettbewerbes und zum zweiten Mal eine Kooperation mit dem THEO-Preis für Junge Literatur.

Das Programm auf Deutsch und Englisch

Malik Berkati

© j:mag Tous droits réservés

Malik Berkati

Journaliste / Journalist - Rédacteur en chef j:mag / Editor-in-Chief j:mag

Malik Berkati has 847 posts and counting. See all posts by Malik Berkati

Laisser un commentaire

Votre adresse e-mail ne sera pas publiée. Les champs obligatoires sont indiqués avec *

*