Berlinale 2023 – Bericht aus der Sektion Forum
Das Forumsprogramm hat mittlerweile ein Problem: durch die Einführung von Encouters vor einigen Jahren, sind einige der Regisseure, die zu den Highlights des Forums gehörten nun dort zu finden. Dadurch rücken immer mehr Experimentalfilme ins Programm, für die vor einigen Jahren extra die Sektion Forum Expanded gegründet wurde, was nicht wirklich Sinn macht. Trotzdem sind auch weiterhin einige sehr gute Filme zu finden. Die drei besten Filme in diesem Jahr waren auch gleichzeitig die längsten (Alle um die 3 Stunden).
Notre Corps von der französischen Regisseurin Claire Simon, einer Qualitätsgarantin im Dokumentarfilm, begibt sich diesmal in eine gynäkologische Klinik in Paris und zeigt in interessanten Begegnungen mit Patienten und Personal tiefe Einblicke in den täglichen Ablauf eines solchen Krankenhauses. Da gibt es Geburten, Untersuchungen aller Art und interessante Informationen über künstliche Befruchtung. Immer sind die Probleme und Gegebenheiten der Frauen im Vordergrund. Später werden auch Probleme mit dem ärztlichen Personal und andere Personalprobleme anhand einer Demonstration thematisiert. Persönlich wird es, als Claire Simon selbst an Brustkrebs erkrankt und auch dies mit Ernst und ohne Verschleierungen in den Film integriert. Ein Film, mit dem man mit dem Spielfilm Sages-Femmes von zu sehen war , ein erstklassiges Doppelprogramm machen könnte. , der im Panorama
Mit Gehen und Bleiben widmet der deutsche Dokumentarfilmer Volker Koepp dem deutschen Schriftsteller Uwe Johnson einen Film. Johnson, der wie Koepp in Pommern lebte und aufwuchs, wurde einer der wichtigsten Schriftsteller der DDR, dort aber nicht wirklich verlegt und nur durch seine Publikationen im Westen richtig bekannt. Schliesslich ging er nach Westdeutschland, dann nach Amerika und lebte seine letzten Jahre in einem englischen Seebad. Mit Fotos, Bildern von Häusern, wo er lebte und vor allem vielen Interviews mit Lesern, alten Weggefährten oder Bekannten wie dem Regisseur Hans- Jürgen Syberberg und anderen Nachbarn, erschafft er einen informativen und durchaus unterhaltsamen Bilderbogen, mit dem man dem Autor nahekommt. Der Film startet in Deutschland am 20.7.23.
El Juicio (The Trial) ist quasi der Dokumentarfilm zum für den Oscar nominierten Spielfilm Argentinien ,1985 von Santiago Mitre (hier die Kritik von Firouz .E. Pillet auf Französisch). Der Regisseur Ulises de la Orden montierte aus zwei Kopien von über 530 Stunden Länge, die aus dem Originalmaterial, der beim Prozess, zwei Jahre nach dem Ende der argentinischen Militärjunta gedreht wurde, bestehen, einen dreistündigen Film. Er konzentriert sich dabei auf die Aussagen der Opfer und ihrer Angehörigen, die dem Staatsterror zum Opfer fielen. Das ist teils schockierend anzuhören, ist aber laut Regisseur schon eine gesoftete Version, da die kompletten Aussagen viele nicht aushalten würden. Trotz einiger technischer Unzulänglichkeiten, die am Originalmaterial liegen, ein kraftvolles und starkes Zeitdokument.
The Bride von Myriam U. Birara behandelt das Thema des Brautraubs. In Ruanda 1997 wird Eva von einem fremden Mann entführt und vergewaltigt. Ihre Tanten tun nichts dagegen, als der Mann sie gegen ihren Willen heiratet. Solche Vorgänge kamen und kommen in Afrika immer wieder vor, und es ist schockierend, wie auch die eigenen Angehörigen dabei einfach mitspielen. Verquickt ist dies im Film mit der Vergangenheit des Vergewaltigers. Der Genozid an den Tutsis ist hier im Hintergrund. Im Film kann sie dem mit Hilfe der lesbischen Cousine des Mannes entkommen. In der Realität dürfte dies nicht so oft der Fall sein.
W Ukraine von Piotr Pawlus und Tomasz Wolski zeigt die Ukraine im Krieg. Aber nicht wie sonst mit Bildern von Kampfhandlungen, sondern mit eher ungewöhnlichen Bildern. Hier wird ein Land im Krieg gezeigt und wie die Bevölkerung damit umgeht. Da sieht man wie auf der Strasse ständig Autos halten, Leute aussteigen und Selfies auf Kaputten Panzern machen, auch später in einer Stadt wo ganze Familien sich kaputtes Kriegsmaterial ansehen. Man bekommt Bilder zu sehen, wie es in den UBahn-Tunneln wirklich zugeht, wo die Schutzkeller sind. Man ist Zeuge bei Essensverteilungen oder Leuten, die dort wirkllich mit Feldbett und Hausrat leben. Oder wie bei Frühstücksflockenverteilungen einer grossen Schweizer Firma jeder mit der Packung fotografiert wird. PR mal anders.
Mit Dearest Fiona legt Fiona Tan den einzigen guten Film aus einer Reihe von Filmen vor, wo der Ton und das Bild nicht zusammengehören. Bei anderen gab es oft gute Bilder mit unerträglich monotoner Erzählebene, hier aber nicht. Sehr gute Originalaufnahmen aus der Niederlande von 1912 werden hier gepaart mit Briefen holländischer Einwanderer in Australien in den 90er Jahren. Die Briefe eines Vaters an seine Tochter sind schön und gut vorgelesen und passen überraschend gut zu den Bildern.
Weitere erwähnenswerte Filme waren der ungewöhnliche französische Krimi Le Gang des Bois du Temple von Rabah Ameur- Zameche, das kanadische Einwandererdrama Concrete Valley von Antoine Bourges und Cidade Rabat, ein portugiesischer Film über Tod und das eigene Wiederfinden von Susana Nobre.
Harald Ringel, Berlin
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