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JFBB2023 – Der Holocaust und seine Folgen

Das grösste jüdische Filmfestival auf deutschem Boden fand vom 13.-18.Juni in Berlin und Brandenburg statt. Verteilt auf viele Kinos in Berlin und Potsdam wollte man möglichst viele Leute in ihren Kiezen erreichen. Dies gelang allerdings nur sehr bedingt, gut besucht waren vor allem die Vorstellungen im Charlottenburger Filmkunst66 und im Krokodil im Prenzlauer Berg. Man sollte versuchen, sich wieder auf weniger Spielstätten mit mehr Vorstellungen zu beschränken, und das Festival mehr zu zentrieren.

Das Programm des Festivals bot auch in diesem Jahr die gewohnt gute Mischung qualitativ starker Spiel- und Dokumentarfilme. Der Gewinner des Spielfilmwettbewerbs wurde Shttl von Adi Walter. Mendele, einst Lieblingsschüler des Rabbis in einem kleinen Dorf in Galizien (der heutigen Ukraine) kehrt nach zwei Jahren aus Kyjiw zurück. Er will Filmregisseur werden und trägt nun die Uniform der Russen. Er will mit einem Freund seine grosse Liebe, die Tochter des Rabbis zu sich holen, bevor sie mit seinem Widersacher verheiratet wird. Doch es ist 1941 und der Tag  vor dem Einmarsch der Nazis in der UdSSR. Ein starker Film, der in Schwarz/Weiss mit gelegentlichen Szenen in Farbe den Konflikt vom traditionellen jüdischen Leben in kleinen Dörfern (Shttls) mit modernen Lebensformen zeigt, das durch die Naziinvasion dann jäh beendet wird.

Shttl von Ady Walter
Foto mit freundlicher Genehmigung JFBB

Eine lobende Erwähnung erhielt der Regisseur Krzysztof Lang für March`68. Das sozialistische Polen im Jahr 1968 versucht die ihnen unliebsam gewordenen Juden loszuwerden. Schliesslich sind sie in Israel im Krieg und könnten auch den polnischen Staat zersetzen, wie die Staatsführung meint. So werden jüdische Bürger, egal ob gläubig oder nicht vom Geheimdienst und Bürgermilizen bespitzelt und unter unlauteren Vorwänden aus ihren Berufen entlassen und zum Verlassen des Staates gezwungen. Janek und Hania lieben sich und wollen für immer zusammen bleiben. Doch der Vater von Janek ist Colonel beim Geheimdienst und benutzt Studentenproteste zur Erreichung seiner Ziele. Hanias Eltern, der Vater Jude, die Mutter nicht, werden beide aus ihrer Arbeit durch konstruierte Vorwürfe entlassen. Und Hania wird ausgewiesen, nachdem sie bei Protesten festgenommen wurde. Ein starker und trauriger Film, der zeigt, wie mit Propaganda und Staatsmacht Menschen misshandelt und vertrieben werden können. Und wie der Staat, dann auch noch den Besitz beschlagnahmt, wie eine Szene sehr anschaulich zeigt.

In Farewell, Mr. Haffmann von Fred Cavaye will der jüdische Juwelier Haffmann (Daniel Auteuil) seiner Familie in die unbesetzte französische Zone folgen und macht einen Deal mit seinem Mitarbeiter (Gilles Lellouche): er verkauft ihm seinen Laden in Paris, soll ihn zurückerhalten, wenn der Krieg vorbei ist und  hilft dem Mitarbeiter dann, einen eigenen Laden zu eröffnen. Doch der Plan geht schief. Mr. Haffmann kommt nicht mehr durch die Kontrollen und muss nun versteckt im Keller seines Ladens leben. Dies wird noch riskanter, als ein deutscher Militär (Nikolai Kinski) zum Stammkunden wird. Und Kinderlos mit seiner Frau (Sara Giraudeau) soll Mr. Haffmann zum Samenspender werden. Ein sehr unterhaltsamer Kammerspielthriller, der zeigt, wie eigentlich normale Menschen durch plötzlichen Reichtum und Macht über andere skrupellos werden können und Sachen tun, die man ihnen so nicht zugetraut hätte.

Der  französische Schauspieler Stephane Freiss erzählt in seinem Film Where Life Begins die Geschichte von Ester (Lou de Laage), einer 26jährigen aus einer orthodoxen jüdischen Familie, die mit ihrer Familie im Urlaub nach Italien auf einen Obstbauerhof kommt, um dort bei der Ernte zu helfen. Sie darf nicht mit fremden Männern alleine sein oder reden. Doch ihr wird das eingezwängte, starre Leben immer mehr zur Qual und die eventuelle arrangierte Heirat möchte sie nicht. So entwickelt sich eine tiefe Freundschaft, ja mögliche Liebe zum Besitzer des Bauernhofes (Riccardo Scamarcio). Eine sehr sympathische Geschichte über eine Selbstfindung, die leider ohne Happy End bleibt.

Filip von Michal Kwiecinski erzählt die Geschichte des Polen Leopold Tyrmands, die auf Tatsachen beruht. Filip entkommt aus dem Warschauer Ghetto und wird als vermeintlicher Franzose Zwangsarbeiter in einem Frankfurter Hotel. Sein einziges Ziel ist es, zu leben. Mit seinem Freund Pierre, einem echten Franzosen, reisst er Frauen auf. Aber Beziehungen zu deutschen Frauen sind verboten. Als er sich dann wirklich verliebt, wird es immer schwieriger seine Tarnung aufrechtzuerhalten. Als Pierre wegen einer gestohlenen Weinflasche erschossen wird, dreht er durch – ihm ist nun alles egal. Eindrucksvoll, und mal wieder der Beweis, dass die besten Filmstoffe das Leben schreibt.

Weitere interessante Spielfilme waren June Zero (siehe HOF22) und The Klezmer Project (siehe Berlinale Encounters 2023).

Den Dokumentarfilmwettbewerb gewann Knock on the Door von Aya Elia und Ohad Milstein. Die Regisseure interviewen und begleiten die sogenannten Todesengel der israelischen Armee. Dies sind Offiziere, die den Familien getöteter Soldaten die Todesnachricht überbringen müssen. Diese Arbeit muss gemacht werden, ist aber mit starken psychischen Belastungen für das Personal verbunden. Einfühlsam behandelt und ein Film zu einem selten gezeigten Thema.

Knock On The Door von Ohad Milstein und Aya Elia
Foto mit freundlicher Genehmigung JFBB

Den Preis für interkulturellen Dialog gewann Tantura von Alon Schwarz. Der Film beleuchtet eines, der schwärzesten Kapitel in der Geschichte Israels. Tantura war ein sehr europäisch anmutender Küstenort, ein Fischerdorf, hauptsächlich bewohnt von Arabern, als 1948 Angehörige der israelischen Armee im Kampf mit palästinensischen Freiheitskämpfern Erschiessungen von Gefangenen und Verscharrungen in einem Massengrab, sowie Vergewaltigungen und Plünderungen begangen. Teddy Katz, ein Student machte die Vorgänge später in seiner Diplomarbeit bekannt.  Dafür führte er Interviews mit hunderten israelischen Soldaten und betroffenen Arabern durch. Zunächst bestand er mit Bravour. Als die Arbeit durch die Presse bekannt wurde, ging ein wahrer Shitstorm auf ihn los. Der akademische Titel wurde ihm aberkannt, die Arbeit aus den Bibliotheken verbannt und ein Gerichtsurteil fiel zu seinen Ungunsten aus. Der Regisseur geht dem nun nach. Die Richterin hatte die Interviews gar nicht gehört, viele Soldaten zogen ihre Aussagen aus Angst zurück, bestätigen sie heute aber wieder. Andere, auch heutige Bewohner, leugnen, dass dies passiert sein könnte. Auch eine Ausgrabung unter einem Parkplatz, unter dem das Massengrab sein soll, wird immer noch abgelehnt. Auch durch das Verhalten der Regierung unter Ben Gurion bei den Evakuierungen/Vertreibungen der restlichen Bevölkerung wird klar, dass all dies zwar nicht wörtlich angewiesen, aber durchaus gewollt war. Psychologische Kriegsführung durch Propaganda. Ein Film der zeigt, wie sehr die Sichtweise beim selben Ereignis auseinander gehen kann und dass dies von offizieller Seite auch oft gewünscht ist.

Den Preis des filmischen Nachwuchses erhielt Closed Circuit von Tal Inbar. Sechs Jahre nach einem Terrorangriff durch zwei palästinensische Scharfschützen auf ein Cafe/Restaurant in einem beliebten israelischen Einkaufszentrum interviewt die Regisseurin Opfer und zeichnet mit verschiedenen Überwachungskamerabildern den gesamten Tathergang und die anschließende Verhaftung der Täter nach. Das ist hochinteressant, zeigt aber auch wie viel mittlerweile von Überwachungskameras aufgezeichnet wird. Und das wird bei uns auch nicht so viel anders sein.

Queen of the Deuce von Valerie Kontakos porträtiert Chelly Wilson. Als vor den Nazis geflohene Frau landete sie schliesslich in Amerika und wurde erfolgreiche Geschäftsfrau. Sie war die Besitzerin diverser Pornokinos in Manhattan, produzierte Pornofilme und eröffnete später ein berühmtes griechisches Restaurant, bei dem viele Stars zu Gast waren. Sie hatte Beziehungen zu Männern und Frauen, spielte leidenschaftlich Poker und war trotz allem ein Familienmensch. Ein faszinierendes Porträt einer ungewöhnlichen Frau und ihrer Familie

Auch in Kino Fermished, einer Art Panorama des jüdischen Films, war gutes zu entdecken. In Filmmakers for the Prosecution erzählt der renommierte französische Dokumentarfilmregisseur Jean- Christoph Klotz über die Arbeit der Brüder Budd und Stuart Schulberg, die im Auftrag der amerikanischen Militärpolizei eine Dokumentation aus deutschen Originalfilmbildern für die Nürnberger Prozesse zusammenstellten. Sie arbeiteten dafür im Team mit John Ford. Später sollte ein Film fürs Kino entstehen, der aber in Amerika nicht gezeigt wurde. Die Russen waren mit ihrem Film schneller und dann passte der Film nicht mehr in die Zeit des kalten Kriegs mit verändertem Feindbild. Merkwürdig nur, dass beide Brüder sich kaum zu dieser Arbeit äusserten. Und das obwohl Budd berühmter Drehbuchautor in Hollywood wurde und Stuart Filmproduzent. Ein interessanter Film über etwas, was kaum jemand weiss.

In A Pocketful of Miracles berichtet Regisseurin Aviva Kempner aus ihrer Familiengeschichte. In Teilen aus langen Interviews von Steven Spielbergs Shoah-Foundation, verquickt mit historischen Originalbildern und Bildern der Nachkommen von heute, entfaltet sich die Historie der Familie vor, während und nach dem Zweiten Weltkrieg. Die Geschwister Hanka und Dudek Ciesla erzählen wie sie ein Wunder den Krieg in KZs überlebten und was sie nach dem Krieg weiter machten. Das ist faszinierend und zeigt wieder einmal, dass das Leben die besten Geschichten schreibt.

Burning Love von Alberto Caviglia ist eine Fake-Doku. Ein berühmter Antisemit und Comiczeicher, der in seinem Werk Bloody Mario den jüdischen Mitschüler Mario tausend Tode sterben lässt, ist verschwunden. In Rückblicken wird sein Leben aufgerollt, dies bietet viel satirische Beobachtung über Rechtsradikalismus, Fake News und falsche Toleranz. Dies ist zugleich kritisch und vergnüglich, bietet Gastauftritte italienischer Stars wie Margarita Buy oder Tinto Brass, die alle ohne Gage mitmachten, ist aber ein wenig lang geraten.

Abgerundet wurde das Programm durch 4 Sonderreihen.

In der Hommage an den Regisseur Jack Garfein, der einer der Väter des amerikanischen Independentfilms war, aber nur zwei Filme drehen konnte, der mit Carroll Baker verheiratet war, dann ihr Manager und später wieder Theaterregisseur und Schauspiellehrer wurde, liefen seine beiden Filme Something Wild und The Strange One, sowie drei Dokumentarfilme über ihn. Der neueste davon, The Wild One von Tessa Louise-Salome, zeichnet seinen Lebensweg von der Jugend über das Leben im KZ bis zu seinem Tode nach. Auch mit Interviews von Leuten wie Peter Bogdanovich. Der interessante Film wird in Deutschland auch ins Kino kommen.

Jewcy Horror Movies bot 4 Filme, die jüdische Mythen in den Mittelpunkt stellen. Drei der Filme (Dibbuk, Golem-Wiedergeburt und The Vigil) liefen bei uns bereits regulär im Kino. Nur der dänische Attachment war neu, bot aber eher eine harmlosere Exorzisten-Variante.

Das kanadische Komikerduo Eli Batalion und Jamie Elman (aka Yidlife Crisis ) hatte einen Auftritt im jüdischen Museum und zeigte in einer von ihnen zusammengestellten Kanadareihe neben eigenen Internetcomedys auch andere Filme, wie die Leonard Cohen-Doku Hallelujah und mit The Rhapsody von David Hoffert die Geschichte des Holocaust-Überlebenden Leo Spellmann, über den Roman Polanski bereits Der Pianist drehte. Seine Musik wurde erst in hohem Alter gewürdigt. Eine Entdeckung war Lies My Father Told Me von Jan Kadar aus dem Jahre 1975, dem eine richtige Wiederaufführung zu gönnen wäre. Das witzigste war Dreaming of a Jewish Christmas von Larry Weinstein, der nicht nur Parallelen zwischen Juden und Chinesen zeigt, und warum Juden Weihnachten meist in chinesischen Restaurants feiern, sondern vor allem die Geschichte der populärsten Weihnachtslieder erzählt, deren Autoren allesamt jüdischen Glaubens waren. Der Film wird auch auf Arte laufen. Ausserdem gab es einige Filme zur  75-jährigen Filmgeschichte Israels, die aber alle bereits zu sehen waren.

Harald Ringel

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