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Prix Lumières für Sandra Hüller und Anatomie eines Falls

Auch das französische Kinojahr in Deutschlands steht im Zeichen starker Frauen !
Sandra Hüller kann sich jetzt auch über den Prix Lumière, den Preis der Auslandspresse in Paris, freuen. Sie wurde von den Kolleginnen und Kollegen für ihre brillante Performance in Anatomie eines Falls (Anatomie d’une chute) als beste Schauspielerin ausgezeichnet und schlug dabei sogar die grosse Catherine Deneuve.

Der Film von Justine Triet wurde zum besten Film gewählt, ausserdem erhielten die Regisseurin und ihr Lebenspartner Arthur Harari den Preis für das beste Drehbuch. Harari sorgte zum Schluss der Dankesrede für einen brisanten politischen Moment. Er sprach sich für Frieden in Gaza und den Schutz der dortigen Zivilbevölkerung aus, was ihm einige wütende Zwischenrufe von israelischen Filmritiker*innen und französischen Filmschaffenden einbrachte.

— Justine Triet – Lumière des besten Films und des besten Drehbuchs (mit Arthur Harari)
Foto: Aurore Marechal – mit freundlicher Genehmigung Académie des Lumières

Als beste Regisseurin wurde Triet nicht geehrt, sondern ein Mann Thomas Cailley für Animalia (Le Règne animal). Die Wahl kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die Regisseurinnen Frankreichs Leinwände erobern. Iris Kaltenbäck wurde mit dem Prix Lumière für das beste Debüt für Le Ravissement ausgezeichnet, Kaouther Ben Hania bedankte sich in einer emotionalen Rede für die Ehrung für Olfas Töchter (Les Filles d’Olfa) als bester Dokumentarfilm. Er ist bereits in Deutschland im Kino und kann sich Hoffnungen auf einen Oscar machen.

Starke Frauen heute

Thematisch stehen in den kommenden Monaten freiheitsliebende, auf ihre Unabhängigkeit und Selbstverwirklichung pochende Frauen im Zentrum der französischen Filme, die in Deutschland ins Kino gebracht werden und von Uni France in ihrer traditionellen Filmwoche der Presse aus aller Welt gezeigt wurden. Mehrere Dokumentar- und Spielfilme widmen sich auch dem Umweltschutz und dem Klimawandel.

Fangen wir mit der Ausnahme an. In Hors Saison von Stéphane Brizé spielt Guillaume Canet den leicht depressiven, seine künstlerische Berufung anzweifelnden Schauspieler Mathieu, der sich in ein Luxushotel an der winterlichen Atlantikküste zurückzieht. In dem Ort trifft er auf seine grosse Jugendliebe Alice (Alba Rohrwacher). Das Knistern zwischen beiden stellt sich dank der Chemie zwischen den beiden Stars des europäischen Kinos bald wieder ein. Vor allem Mathieu spielt den Gedanken durch, was wäre wenn und was könnte heute zwischen beiden beginnen.

Familienglück mit Seitensprung

One-Night-Stands machen auch Iris in Iris und die Männer (Iris et les hommes) wieder vollends glücklich. Die Zahnärztin ist Anfang 40 und hat alles, was sie sich erträumte: Eine gut gehende Praxis, einen fürsorglichen Mann, zwei tolle Töchter im Teenageralter, Freunde und eine schicke Wohnung. Nur der Sex stimmt nicht mehr. Sie findet ihn in Stelldichein in Hotelzimmern. Warum sollten sich Frauen nicht die gleichen Rechte herausnehmen, die Männer seit Jahrhunderten haben, erklärt Regisseurin Caroline Vignal, die nach dem Überraschungserfolg von Antoinette dans les Cévennes das zweite Mal mit Laure Calamy zusammenarbeitete. Die Rolle habe sie ihr aber nicht auf den Leib geschrieben, betont die Filmemacherin, die sich einen kleinen Traum erfüllen konnte. Sie wollte immer ein Musical inszenieren. Iris und die Männer würzte sie mit einigen klassischen Tanz- und Gesangseinlagen.

Martin Scorsese produzierte Funny Birds der französisch-amerikanischen Filmemacher Marco La Via und Hanna Ladoul. Seine Hinweise und Ratschläge seien wie ein Masterclass gewesen, erzählen die beiden. Auch Catherine Deneuve hätte zu ihnen gehalten, als sie den Dreh wegen Corona verschieben mussten. Die Grande Dame spielt in der zu Herzen gehenden Dramödie eine Grussmutter, die in die USA reist, um sich mit ihrer Tochter (Andrea Riseborough) auszusöhnen, die in den USA eine kleine Hühnerfarm hat. Um sie kümmert sich bereits die 20-jährige Tochter (Morgan Saylor). In den folgenden Monaten tauschen sich die Frauen aus drei Generationen über ihr Leben und die Veränderungen im Feminismus aus.

Frauen zur Jahrhundertwende

Drei Filme korrigieren das Bild des Lebens von Frauen am Ende des 19. und zu Beginn des 20. Jahrhunderts. Regisseurin Stéphanie Di Giusto überraschte 2016 in Die Tänzerin (La Danseuse) mit dem freien Porträt der-Künstlerin Loïe Fuller, die im Paris der Belle Époque zu einer Berühmtheit wurde. Jetzt legt sie Rosalie vor, die Lebensgeschichte der „Frau mit Bart“ Clémentine Delait, gespielt von Nadia Tereszkiewicz. Sie hatte schon als Baby einen behaarten Rücken, als junge Frau hat sie einen behaarten Busen, den sie unter der Kleidung versteckt. Bis zu ihrer Hochzeit rasierte sie sich jeden Tag das Gesicht. Doch nach der Ablehnung durch ihren Mann in der Hochzeitsnacht legt sie die Vorsicht ab. Sie lässt sich einen Bart stehen.
Die Regisseurin erzählt keine Opfergeschichte, das wollte auch Léa Todorov in ihrem Biopic Maria Montessori. Sie dachte sich eine fiktive Geschichte um die Ärztin und Reformpädagogin aus, die von Jasmine Trinca gespielt wird. Gemäss ihrer Zeit und ihrer bürgerlichen Erziehung wollte sie eine freie Beziehung zu einem Mann leben. Doch erst die Bekanntschaft mit einer Prostituierten macht ihr klar, dass sie auch ökonomisch unabhängig sein muss.

Last but not least gibt Juliette Binoche in Geliebte Köchin (La Passion de Dodin Bouffant) einen Einblick in die harte Arbeit in die Kunst der Zubereitung von Gaumenfreuden in einem Restaurant zu Ende des 19. Jahrhunderte. All die Handgriffe und Rezepte haben sie gelernt, doch bereits wieder vergessen, weil sie sie nicht anwende, erzählt sie in Paris. Der Film wurde von Frankreich für den Oscar vorgeschlagen, was heftige Diskussionen auslöste. Binoche erzählt von der Präsentation in Hollywood, dass der Film hervorragend ankam. Viele Akademiemitglieder und Journalisten hätten die Kunst des Kochens und den Zusammenhang mit der Sinnlichkeit einer Beziehung erst entdeckt. Der Film wurde aber nicht in die Shortlist aufgenommen, die von der Oscar-Akademie am 23. Januar 2024 veröffentlicht wurde.

Dokfilm- und Politthriller zum Umweltschutz

Der Schauspielerin kommen beinahe die Tränen, als sie von ihrer Enttäuschung über die Politiker erzählt, die nur über Umweltschutz und Kampf gegen den Klimawandel sprechen, aber nichts tun. Auch Luc Jacquet hofft auf die kommende Generation beim Kampf gegen die Erderwärmung. 30 Jahre nach dem phänomenalen Erfolg von Die Reise der Pinguine (La Marche de l’empereur), der in Deutschland mehr als 1, 5 Millionen Zuschauer ins Kino lockte, nimmt er die Zuschauer mit bei seiner Rückkehr zum Land der Pinguine (Voyage au pôle Sud). Ein fast meditativer Trip an den unwirtlichen Ort Antarktis, wo die Veränderungen des Klimas nicht so sichtbar sind wie in der Arktis. Die Pinguine leiden unsichtbar, da ihr Gefieder sie nicht so gut vor Regen wie von Schnee schützt.

Voyage au pôle Sud (Rückkehr zum Land der Pinguine) von Luc Jacquet
© Cédric Gentil

Den unmittelbaren Zusammenhang zwischen unserem Konsum und der Abholzung der Regenwälder auf Borneo stellt Edouard Bergeon in seinem Politthriller La Promesse verte her. Nachdem ein französischer Student bei seinen Nachforschungen im Urwald die gewaltsame Vertreibung der Einheimischen dokumentierte, die sich gegen die Umwandlung des Landes in Palmenplantagen wehrten, werden ihm Drogen untergeschoben. Ihm droht die Todesstrafe. Seine Mutter (Alexandra Lamy) setzt Himmel und Hölle in Bewegung, um seine Freilassung zu erreichen. Langsam durchschaut sie die politischen und ökonomischen Zusammenhänge und die Verwicklungen Frankreichs in den neokolonialen Handel. Der Film nimmt den Zuschauer mit auf diesem Erkenntnisprozess. Er beruhe, so stellt Edouard Bergeon klar, auf Fakten, die er gründlich recherchiert habe.

Polen Hauptmarkt für Frankreichs Filme

Lange war Deutschland der wichtigste Kinomarkt für Frankreich. Im vergangenen Jahr wurden erstmals mehr Tickets in Polen verkauft. Bleibt zu hoffen, dass der Zuspruch in diesem Jahr wieder besser wird.

Katharina Dockhorn

j:mag Rezensionen und Interviews zu einigen genannten Filmen:

zwei für Anatomie d’une chute (auf Französisch): Malik Berkati und Firouz E. Pillet

Le Ravissement (auf Französisch) Firouz E. Pillet

Les Filles d’Olfa (auf Französisch) Malik Berkati

Antoinette dans les Cévennes (auf Französisch) Firouz E. Pillet.

La Danseuse (auf Französisch) Malik Berkati

Voyage au pôle sud (auf Französisch) Firouz E. Pillet

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Katharina Dockhorn

Journaliste / Journalistin (basée/based Berlin)

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