Berlinale 2020 – Panorama: Futur Drei (No Hard Feelings)
Parvis (Benjamin Radjaipour) ist in Deutschland geboren, als Sohn iranischer Eltern, die vor 30 Jahren vor der iranischen Revolution geflohen sind. Und er ist schwul. Er hat sich mit dem Leben in der niedersächsischen Kleinstadt Hildesheim arrangiert und lebt aus Bequemlichkeit im Dachgeschoss des Hauses seiner Eltern, für die er auch in deren Lebensmittelladen arbeitet. Eigentlich lebt er nur für seine Raves und Sex-Dates. Als er beim Stehlen erwischt wird, wird er zu 120 Sozialstunden verurteilt. Die soll er als Farsi-Deutsch- Dolmetscher in einer Flüchtlingsunterkunft ableisten. Schnell wird klar, dass er Farsi und vor allem die verschiedenen Dialekte nicht wirklich beherrscht. Er freundet sich mit dem Geschwisterpaar Banafshe Arezu (Banafshe Hourmazdi) und ihrem Bruder Amon (Eidin Jalali) an. Sie verbringen ihre Zeit beim Basketball, beim Chillen und vor allem bei ausgiebig langem Feiern in den Nächten. Als sich Parvis immer mehr in Amon verliebt, beginnen die Probleme. Denn Parvis Eltern tolerieren zwar seine Homosexualität, aber die anderen Bewohner des Flüchtlingsheims sind in ihren Traditionen und Vorurteilen verwurzelt. So versucht Amon zunächst, zu vermeiden, dass es Jemand merkt, dies wird aber schnell zu offensichtlich und führt zu Anfeindungen und tätlichen Angriffen. Als das Asylverfahren von Banafshe Arzu negativ beschieden wird, müssen alle eine Entscheidung treffen.
Regisseur Faraz Shariat, hat mit Futur Drei seinen ersten Spielfilm gedreht. Das Drehbuch stammt von ihm, basierend auf eigenen Erfahrungen und weitgehend autobiografisch, und wurde zusammen mit seiner Partnerin Paulina Lorenz, mit der er zusammen die Produktionsfirma Jünglinge Film betreibt, geschrieben. Die Firma hat sich zum Ziel gesetzt, anders als andere Produktionen, mit Themen wie Migration umzugehen, gleichzeitig aber auch unterhaltsame Filme zu machen.
Der autobiografische Charakter des Films wird noch verstärkt, weil Faraz seine eigenen Eltern als Eltern im Film besetzt hat und originale VHS-Aufnahmen aus seiner Kindheit im Film verwendet. Neben der Liebesgeschichte ist das zentrale Thema, wie lange man fremd ist und wie stark das Bleiberecht das Leben bestimmt. Parvaz ist hier geboren, muss sich keine Sorgen um sein Leben in Deutschland machen, spürt aber doch immer eine gewisse Fremdheit. Bei seinen Eltern tritt dies noch stärker zu Tage. Obwohl 30 Jahre in Deutschland, und durch harte Arbeit zu Haus und eigenem Laden gekommen, empfinden sie den Iran immer noch als ihre eigentliche Heimat. So sucht die Mutter abends auf der Couch nach Apartments in Teheran, weil sie sich da zur Ruhe setzen will. Bei Amon und Banafshe Arezu sieht die Sache noch schwieriger aus Nach der Flucht sitzen sie im Flüchtlingsheim und sind auf Gedeih und Verderb auf die deutschen Behörden angewiesen. Denn nur mit positivem Bleiberechtsbescheid dürfen sie in Deutschland bleiben. Als Benafshe Arezu den Abschiebebescheid erhält, kann man das selbst als Zuschauer kaum glauben, spricht sie doch perfektes Deutsch (vielleicht schon ein wenig zu perfekt, um wirklich glaubhaft zu sein) und hat einen Job in einem Büro.
Und schon versucht ihr Chef (Jürgen Vogel, der in letzter Zeit immer häufiger in kleinen, oft unangenehmen Gastauftritten auffällt) ihre Situation auszunutzen. Er wäre ja bereit mit ihr eine Scheinehe für den Pass einzugehen, aber dafür müsse sie nicht nur viele persönliche Daten von ihm wissen, sondern natürlich auch seine Schwanzgrösse.
Für mich eine der stärksten Szenen des Films ist die Sitzung mit ihrer Therapiegruppe im Wohnheim. Als die anderen Asylbewerber vom Abschiebebescheid erfahren, schwenkt die Kamera (Simon Vu) ruhig über die Gesichter. In diesem Moment wird nicht nur die Empathie für Benafshe Arezu sichtbar, sondern auch die Angst um ihre eigene Zukunft. Und dies ohne Worte.
Ein Satz, kurz vor dem Ende des Films beschreibt den Zustand seiner geflüchteten Hauptfiguren perfekt.
“Seit wir hier sind, habe ich das Gefühl, alles immer doppelt zu erleben: Als die, die ich hätte sein können, und die, die ich bin.“
Die Schauspieler sind sehr gut gewählt, und durchaus überzeugend. Die beiden männlichen Hauptdarsteller gehen auch bei den schwulen Sexszenen sehr weit. Dies ist allerdings auch ein Manko des Films, das für seine Auswertung ein breiteres Publikum etwas abschrecken könnte. Wenn die Sexszenen etwas kürzer ausgefallen wären, wäre dies für den Gesamteindruck des Films noch besser. Dies schien die Jury des First Steps Award 2019 nicht weiter zu stören. Der Film gewann noch vor seiner Weltpremiere (im Panorama der Berlinale) sowohl den Preis für den besten Spielfilm als auch sein Darstellerensemble den Götz-George- Nachwuchspreis.
Von Faraz Shariat; mit Benjamin Radjaipour, Banafshe Hourmazdi, Eidin Jalali, Jürgen Vogel (als Gast); Deutschland; 2020; 92 Minuten.
Kinostart in Deutschland: voraussichtlich ab Ende Mai
Harald Ringel
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